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Rezension des Buches “Die Fertigmacher” von Werner Rügemer und Elmar Wigand



Rügemer, Werner / Wigand, Elmar:
Die Fertigmacher
Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung

Neue Kleine Bibliothek 202, 238 Seiten

Die Autoren untersuchen jene Schattenseiten des vermeintlichen deutschen Jobwunders,
die in den Medien weitgehend ausgeblendet bleiben. Sie stoßen auf die
Verletzung von Menschenrechten und geltenden Gesetzen durch aggressive
Unternehmer und ihre Berater. Zu den Leidtragenden gehören Beschäftigte in
Branchen und Unternehmen wie Discountern, Paketdiensten, Speditionen oder
Systemgastronomie und im Niedriglohnsektor sowie Arbeitssuchende, die mit Hilfe
der Jobcenter in miserable Verhältnisse gepresst werden. Die Gründung von
Betriebsräten ist heute, in Zeiten von sogenanntem Union Busting, der
professionellen, bisweilen kriminellen Bekämpfung von Gewerkschaften, oft ein
gefährliches Abenteuer. Diese Verhältnisse sind nicht alternativlos, weil
politisch gewollt oder toleriert und mitunter brutal durchgesetzt. Rügemer und
Wigand nehmen Netzwerke einschlägiger Akteure (Arbeitsrechtler,
Medienkanzleien, PR-Agenturen, Unternehmensberater, Detekteien,
Personalmanager, gelbe Pseudo-Gewerkschaften) in den Blick. Sie schildern deren
Methoden und Strategien anhand von Fallbeispielen und Personenporträts.




Auf der Seite von Dr. phil. Rügemer heißt es zu diesem
Werk:
„In aller Stille hat sich eine professionelle
Dienstleistungsbranche entwickelt: Professionelle Bekämpfer von unliebsamen
Beschäftigten, Betriebsräten und Gewerkschaften: Wirtschafts- und
Medienkanzleien, Wirtschaftsdetekteien, PR-Agenturen, verdeckt von Unternehmen
finanzierte Universitäts-Institute und Unternehmens-Stiftungen sowie
Psycho-Strategen für „Human Resources“. „Christliche“ und „gelbe“
Gewerkschaften erfahren ebenso Auftrieb wie neue Arbeitgeberverbände. Die
Autoren schildern Vorbilder aus den USA und die staatliche Unterstützung durch
die deutschen Regierungen unter Kohl/Lambsdorff und Schröder ebenso wie durch
die EU. 13 Personenporträts der wichtigsten „Macher“ runden das Bild ab
zusammen mit 9 Betriebskonflikten. Wer im heutigen Kapitalismus seine
Interessen nachhaltig vertreten will, braucht diese Kenntnisse über die
Gegenseite.“
Auf den Nachdenkseiten.de findet sich auch ein
aufschlussreiches Interview mit Dr. phil. Werner Rügemer.

Auch
der Kabarettist Georg Schramm zitiert ihn gern: Warren Buffet, den
drittreichsten Menschen der Welt. Denn er sagte einmal: „Es
herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der
Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.” Auch wenn Krieg aktuell jedoch
immer öfter zum Thema wird: Von Klassenkampf oder -analyse will heute kaum mehr
wer etwas wissen. Da sind es dann dumme oder korrupte Regierungen, die sich den
falschen Theorien verschrieben oder Herren angedient haben, da kritisieren
Konservative ggf. „Verschwörungen“ gegen das Volk oder sprechen Marxisten vom
„stummen Zwang der gesellschaftlichen Verhältnisse“. Dass die herrschenden
Verhältnisse, die seit vielen Jahren auch in Deutschland durch massiven
Sozialabbau – also den Kampf gegen Arme statt etwa Armut – gekennzeichnet sind,
jedoch auch Profiteure und konkret Agierende kennen, deren „Geschäft“ das Elend
der anderen ist, gerät dabei schnell aus dem Blick. Zu eben diesen, zur Praxis
des „Klassenkampfes“ in Deutschland also, sprach Jens Wernicke mit Werner
Rügemer
, Co-Autor des soeben bei PapyRossa erschienenen Buches „Die Fertigmacher: Arbeitsunrecht und professionelle
Gewerkschaftsbekämpfung
“.

Herr Rügemer, in Ihrem neuen Buch „Die Fertigmacher“ werfen Sie einen Blick
hinter das vermeintliche Jobwunder in Deutschland. Dasselbe soll ja mit der
Agenda 2020 alsbald sogar zum Vorbild für Reformen auch in anderen
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union avancieren. Wenn aber doch alles so
toll ist – wozu dann das Buch? Und wer sollen diese „Fertigmacher“ sein, die da
im Hintergrund agieren und bisher, wie Sie behaupten, öffentlich wenig beachtet
worden sind?

Nun,
das „Jobwunder“ ist schlicht keines, sondern eine Propagandafigur der
herrschenden Politik. Dahinter verbergen sich ungleiche Kämpfe, Verarmung,
Leiden und schmutzige Tricks. Also zum Buch… Ich habe es gemeinsam mit meinem
Kollegen Elmar Wigand verfasst. Es geht auf eine mehrjährige Zusammenarbeit
zurück. 2009 haben wir die Konferenz „Arbeitsunrecht in Deutschland“
organisiert und anschließend einen Sammelband mit demselben Titel veröffentlicht.
Danach hat uns die Otto-Brenner-Stiftung der Industriegewerkschaft Metall
unterstützt, um die Profis zu untersuchen, die aus dem Arbeitsunrecht
inzwischen ein lukratives Geschäft machen. Das ist bis dahin noch nie
systematisch untersucht worden.
Das
Buch hat also eine Vorstufe?
Ja,
2014 brachte die Stiftung unsere Studie „Union
Busting in Deutschland
“ heraus. Da haben wir uns an der neuen
Dienstleistungsbranche des „Union Busting“ orientiert, die seit anderthalb
Jahrhunderten in den USA den Unternehmensvorständen anbietet, Gewerkschaften
und Beschäftigtenvertretungen kaputt zu machen.
Union
busting heißt schlicht und geradeheraus: Gewerkschaften und
Beschäftigtenvertretungen kaputt machen. Heute tritt die Branche dort zwar
vielfach gemäßigter auf, es geht jedoch noch immer um dasselbe, auch wann man
es „Gewerkschaftsvermeidung“ nennt. Zu diesen Praktiken gibt es in den USA viele
Unterlagen. Wir haben untersucht, wie diese Branche gegenwärtig in Deutschland
aussieht und agiert. Im Buch „Die Fertigmacher“ haben wir nun alle Erkenntnisse
veröffentlicht, die wir seit 2009 erarbeitet haben.
Und
wer sind nun die Akteure in diesem „Geschäft“?
Diese
„Fertigmacher“ sind die „Hilfstruppen“, ohne die im heutigen Kapitalismus kein
größeres Unternehmen mehr auszukommen meint. Wir haben sie in verschiedene
Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe sind diejenigen, die direkt mit den
Beschäftigten, Betriebsräten und Gewerkschaftern zu tun haben:
Arbeitsrechtsanwälte, Wirtschaftsdetektive, Überwachungsspezialisten, auf
Medienrecht spezialisierte Kanzleien, Unternehmensberater, „christliche“
Gewerkschaften und „gelbe“ Betriebsräte.
Die
zweite Gruppe besteht aus dem großen Spektrum der Unternehmerlobby:
Unternehmens-Stiftungen, verdeckt finanzierte Universitätsinstitute für
Arbeitsrecht und andere. Die machen wissenschaftliche Zuarbeit, veranstalten
Konferenzen, bilden Arbeitsrichter und Arbeitsrechtsanwälte aus. Zu dieser
Gruppe gehören auch die traditionellen Unternehmerverbändewie BDI, BDA und
Gesamtmetall, die politische Lobbyarbeit am Regierungssitz machen, allerdings
gehören dazu auch neue Arbeitgeberverbände, die sich zum Beispiel im Bereich der
Postzustelldienste, der Leiharbeit und der Werkvertragsarbeit etabliert haben.
Die
dritte und letzte Gruppe wird vom Staat selbst gebildet. Er verändert
Rahmenbedingungen, zum Beispiel durch die vier Hartz-Gesetze, die sich zudem
laufend weiter verändern. Die Agentur für Arbeit und die Jobcenter
disziplinieren dabei einen Teil der Reservearmee der Niedriglöhner und
Arbeitslosen sind die größten Zulieferer der Leiharbeitsbranche. Und auch die
Europäische Kommission fördert europaweit prekäre Arbeitsverhältnisse. Sie
setzt zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie der
Europäischen Zentralbank (EZB) Tarifverträge außer Kraft und beschränkt die
Handlungsfreiheit von Gewerkschaften, etwa bei der „Sanierung“ von
Staatshaushalten.
Und
hier besteht inzwischen auch in Deutschland wirklich eine Art „Markt“, auf dem
die Unternehmensleitungen die Bekämpfung der eigenen Betriebsräte einkaufen
können?
Genau.
Die Profis können bei Bedarf engagiert werden. Sie werden sehr gut bezahlt.
Durch ihren Einsatz ist heute die gesetzlich garantierte Wahl eines
Betriebsrates zu einem riskanten Abenteuer geworden. Wer etwa in einem Call
Center, einiger Reinigungsfirma, einer Gastronomiekette oder in einem
patriarchalisch geführten, bisher betriebsratsfreien Unternehmen einen
Betriebsrat gründen will, dem drohen Strafversetzung, Kündigung und
Arbeitslosigkeit.
Und
den Unternehmen ist es heute sehr viel wert, einen Betriebsrat zu verhindern
oder wenigstens zu in seiner Arbeit zu behindern. Das rentiert sich für sie.
Sie zahlen die Honorare schließlich dafür, dass auf unbezahlte Überstunden,
hohe Flexibilität, Kürzungen von Urlaubs- und Weihnachtsgeld und anderes keine
betriebsrätliche Gegenwehr einsetzen und somit die Profitmaximierung ungestört
funktionieren kann.
Was
man heute „Globalisierung“ und „Deregulierung“ nennt, ist auch eine riesige
„Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ für die genannten Hilfstruppen. Ob bei Kauf und
Verkauf von Unternehmen, bei der Aufspaltung in kleinere Einheiten, bei der Auslagerung
ins Ausland oder bei Aufträgen an Subunternehmen – die Unternehmenschefs suchen
immer nach neuen und besseren Möglichkeiten, um Löhne zu drücken, Arbeitsplätze
abzubauen, neue Lohnsysteme einzuführen, Sozialpläne knapp zu halten usw. usf.
Und überall da werden die genannten Profis eingeschaltet; also 
auch, aber nicht
nur bei der Betriebsratsbekämpfung.
Können
Sie ein Beispiel skizzieren, wo das konkret geschehen ist?
Im
Buch haben wir neun ausführliche, exemplarische Porträts von betrieblichen Konflikten,
in denen derlei Profis engagiert worden sind. Das ist beispielsweise bei
Legoland, TNT Post, nora systems, United Parcel Systems, dem Berliner
Klinikkomplex Charité und bei Edeka der Fall.
Ein
lehrreiches Beispiel gibt aber auch die Steakhauskette Maredo ab. Sie hat in
Deutschland 57 Filialen, von denen in nicht einmal einem Zehntel ein
Betriebsrat existiert. Maredo wurde als Mittelstandsunternehmen groß und
lukrativ und wurde deshalb wie viele vergleichbare Unternehmen auch dann von
dem Private Equity-Fonds ECM, also einer „Heuschrecke“, aufgekauft. Solche
Investoren wollen die Kosten rigoros senken, worunter auch die Löhne der
Beschäftigten fallen. Und das ist umso leichter, je weniger Betriebsräte es
gibt.
Einer
der wenigen Betriebsräte bei Maredo hatte sich in der Frankfurter Filiale an
der Geschäfts- und Flaniermeile „Fressgass“ etabliert. Die meisten der
Beschäftigten dieser Filiale waren Mitglied in der Gewerkschaft Nahrung
Gaststätten Genuss (NGG). Die Löhne waren im Vergleich mit anderen Betrieben
der Systemgastronomie hoch, Mitglieder des Betriebsrats sorgten zudem in der
Tarifkommission der NGG auch überbetrieblich für eine starke
Interessenvertretung.
Hier
engagierte die Geschäftsleitung nun der Reihe nach folgende Profis: Zunächst
zwei Wirtschaftsdetekteien, die mit einem verdeckten Ermittler und mit
einer heimlichen Videoinstallation Belege für Kündigungen beschaffen sollten,
etwa wegen eines „Diebstahls“ von Brotkanten oder ähnlichem. Eines Abends nach
Betriebsschluss half dann eine Sicherheitsfirma bei der überraschenden
Einsperrung der Beschäftigten im Restaurant. Dann trat die Arbeitsrechts-Kanzlei
Buse Heberer Fromm auf, die die eingesperrten Beschäftigten dazu brachte,
vorbereitete Selbstkündigungen zu unterschreiben. Als Beschäftigte und
Betriebsräte hiergegen dann gerichtlich vorgingen und es zu öffentlichen
Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht kam, kümmerte sich die PR-Agentur
Alt/Cramer darum, die Beschäftigten öffentlich mit Schmutz zu bewerfen und ihre
Anliegen in Misskredit zu bringen. Der Agentur-Mitarbeiter war dabei bereits
während der Einsperrung der Beschäftigten anwesend gewesen. Die spezialisierte Medienkanzlei
Schertz Bergmann wirkte schließlich auf Redaktionen ein, um unter anderem die
Wiederholung eines kritischen TV-Berichts auf RTL zu verhindern sowie einen
Beitrag des ZDF bereits während der Vorbereitungsphase zu vereiteln.
Gleichzeitig hatte Maredo eine weitere PR-Agentur namens Faktenkontor
beauftragt, das Unternehmen in die Umfrage „Berlins beste Arbeitgeber“
einzubeziehen Das führte dann dazu, dass Maredo von Faktenkontor das Zertifikat
bekam, zu „Berlins besten Arbeitgebern“ gezählt werden zu können. Dieses
Umfrageergebnis ließ die in ihrem Image angeschlagene Firma sofort per
Pressemitteilung verbreiten. Nach einem quälenden Jahr war der Betriebsrat
zerschlagen, die Beschäftigten wurden weitgehend ausgetauscht und die Löhne
sind heute niedriger als vorher.
Sie
meinen ja, dass derlei Praktiken – wie andere Übel auch – sozusagen „aus den
USA“ zu uns herüberschwappen. Hier bin ich immer wieder verwundert, dass der
Hort des Bösen von Deutschen und auch von deutschen Linken so oft und gern in
die USA verlegt wird. Ist das „Das Böse kommt von außen“ denn nicht ein
ausgemacht einfaches Weltbild, das vor allem der Komplexität kapitalistischer
Logiken nicht gerecht zu werden vermag? Was meinen Sie?
Also,
das ist natürlich Quatsch, das mit dem „Das Böse kommt von anderswo“. Solches
Gerede von „Alles Übel kommt aus den USA“, „Die USA sind der Hort des Bösen“
und anderes – also, solches moralische Gerede ist in der Regel die Begleitmusik
von Leuten, die vor allem die Fakten verdrängen und zudem historisch blind
sind. Der westliche Kapitalismus hat ja bekanntermaßen auf beiden Seiten des
Atlantiks diverse Ungeheuer geboren, denken Sie nur an den Faschismus in
Westeuropa, insbesondere in Italien und vor allem in Deutschland.
Und
denken Sie auch an die vielen diktatorischen Regimes, die von den US-Eliten
gestützt oder installiert worden sind. Und beispielsweise Henry Ford mit seinem
Antisemitismus und seiner Autofabrik und Adolf Hitler mit seinen
Vernichtungsfeldzügen gen Osten haben bekanntlich für beide Seiten zwei
Jahrzehnte lang gut und gewinnbringend kooperiert. Was ich sagen will:
Keinesfalls steht hier der westeuropäische Kapitalismus als unschuldig da und
es gilt daher auch nicht, „die USA“ zu kritisieren, sondern eben die konkreten
Akteure, die in den verschiedenen Ländern eben je verschiedene Praxen von
Ausbeutung und Unterdrückung zu installieren vermocht haben. Konkret also die
jeweiligen Regierungen, Konzern- und Bankenchefs, Militärs, Medien und andere
Hilfstruppen.
Wie
sieht es jetzt aber bei den professionellen Gewerkschaftsfeinden aus?
Da
ist es nun einmal so, dass in den USA hier im Vergleich zu allen anderen
entwickelten Industriestaaten die weitaus längste Tradition besteht und reiche
Erfahrung angesammelt wurde. Die Tradition beginnt dabei bereits ab Mitte des
19. Jahrhunderts mit bewaffneten, antigewerkschaftlichen Schlägertrupps vom Typ
Pinkerton und geht weiter über Großlieferanten von Streikbrechern vom Typ Pearl
Bergoff und Spionage-Agenturen vom Typ William Burns.
Nach
dem 2. Weltkrieg sind dies dann beispielsweise die Firma von Nathan Shefferman
– zu seinen Methoden gehörte die Bestechung von Gewerkschaftsfunktionären –,
die Kanzlei Jackson Lewis und das Labor Relations Institute. Gegenwärtig sind
auch Psychoingenieure aus der Wissenschaftsrichtung „Human Resources“ im
Einsatz. Wegen dieser Kontinuität, verbunden mit einer hohen Wandlungsfähigkeit,
ist die Beschäftigung mit dieser Branche sehr lehrreich.
Und
in der Bundesrepublik ist derlei also eher .. neu?
Auch
in der Bundesrepublik Deutschland gab es natürlich schon lange Anwaltskanzleien
und Professoren, die im Bereich Arbeitsrecht offen auf der Seite der
Unternehmer standen. Eine ausdifferenzierte und vernetzte Branche von
professionellen Gewerkschafts- und Betriebsratsbekämpfern bildete sich
allerdings erst um die Jahrtausendwende heraus. Privatisierungen öffentlicher
Leistungen, Deregulierungen in Unternehmen, der Aufkauf von lukrativen
Mittelstandsfirmen durch Private Equity-Investoren, der flächendeckende
Einstieg von angelsächsischen Aktionären und Kapitalmanagern in die Konzerne in
Deutschland, Richtlinien der EU und schließlich auch die seit 2004 wirkenden
Hartz-Gesetze – all dies eröffnete Geschäftsfelder für eben diese Akteure.
Dabei
wurde nichts unmittelbar aus den USA übernommen. Allerdings wirkte der in den
USA wesentlich ruppigere Umgang mit Beschäftigten („hire and fire“), verbunden
mit dem Prinzip des „shareholder value“, durchaus als ermutigendes Vorbild.
Pioniere des offenen Union Busting in Deutschland waren zunächst kleinere
Kanzleien wie Naujoks sowie Schreiner+Partner, die öffentlich Betriebsräte als
Störfaktoren bezeichneten und im mittelständischen und provinziellen
Unternehmermilieu hinterhältige und aggressive Fertigmacher-Methoden
erfolgreich anboten.
Inzwischen
beherrschen allerdings Großkanzleien das Geschäft. Seit etwa einem Jahrzehnt
haben nun auch US-Wirtschaftskanzleien wie Freshfields, Clifford Chance, Hogan
Lovells, White & Case, DLA Piper und Squire Patton Boggs in Deutschland
große Abteilungen mit bis zu 60 Arbeitsrechts-Anwälten aufgebaut – nachdem sie
zuvor ausschließlich in den typischen Bereichen wie Fusionen, Kartell- und
Wettbewerbsrecht tätig waren. Übrigens haben auch britische
Wirtschaftskanzleien wie Allen & Overy und Taylor Wessing in ihren
deutschen Niederlassungen neuerdings arbeitsrechtlich aufgerüstet. Thomas Ubber
von Allen & Overy gilt in Deutschland als Staranwalt, wenn es um das Verbot
oder die Einschränkung von Streiks geht. Dem stehen aber deutsche Kanzleien wie
CMS Hasche Sigle und Gleiss Lutz nicht nach. Nichtsdestotrotz gilt heute ein
LLM-Abschluss einer US-Universität als ein karriereförderndes „Muss“ für
Arbeitsrechtler in Deutschland.
Natürlich
gibt es in den USA einen längeren Vorlauf auch in anderen einschlägigen
Bereichen, etwa bei Konzern-PR und Human Resources; die Profis passen die
Konzepte den besonderen Bedingungen in Europa und in Deutschland an. Der
westliche Kapitalismus hat Varianten der Bekämpfung von Arbeitnehmer-Interessen
hervorgebracht. Die Tendenz geht allerdings zur Vereinheitlichung.
In
Summe brachte es also bereits Erich Fried mit einem Gedicht, das ich sehr
liebe, auf auch Ihren Punkt? Ich zitiere kurz: „Was den Armen zu wünschen wäre
für eine bessere Zukunft? / Nur, dass sie alle im Kampf gegen die Reichen so
unbeirrt sein sollen / so findig / und so beständig wie die Reichen im Kampf
gegen die Armen sind.“
Ja,
dem Impuls des Gedichtes stimme ich zu. Aber ich spreche nicht von „den Armen“,
sondern von allen, die um den Ertrag ihrer Arbeit gebracht werden und nicht
menschenwürdig zu leben vermögen. Und ich spreche auch nicht von „den Reichen“,
denn Reichtum kann gesellschaftlich ungefährlich sein; es kommt darauf an, wie
er erworben wurde und wozu er eingesetzt wird. Reichtum ist für mich dann
asozial und gefährlich, wenn er als Kapitaleigentum eingesetzt wird, Menschen
äußerlich und innerlich abhängig und krank macht, ausbeutet, unterdrückt und
beispielsweise auch zu Arbeitslosigkeit, Unterentwicklung, Hunger und Kriegen
führt.
Es
geht meiner Auffassung nach auf beiden Seiten des Atlantiks und überall auf dem
irdischen Planeten darum, diesen gefährlichen Reichtum zu bekämpfen. Und
ich bin auch nicht so bescheiden wie der von mir geschätzte Dichter Erich
Fried. Denn ich wünsche und hoffe, dass diejenigen, die Fried als „Arme“
bezeichnet, in diesem Kampf letztlich bzw. in Bälde findiger, beständiger und
vor allem erfolgreicher sind als diejenigen, die er als „Reiche“ bezeichnet.
Das ist übrigens einer der Gründe dafür, dass ich mich mit dem Thema „Die
Fertigmacher“ so intensiv beschäftige. Denn erfolgreiches Handeln setzt zuerst
einmal die Kenntnis aller Fakten und der Gegenseite voraus. Und, nebenbei
bemerkt, und um zum Thema nationalistischer und daher schnell fehlgeleiteter
„linker“ Kritik zurückzukommen: Zu diesen Fakten gehört auch die Tatsache, dass
sich die Klasse der Besitzenden längt viel mehr international als national
versteht und auch entsprechend agiert.
Wen
genau meinen Sie – und wie agieren diese Leute? Da können wir wahrscheinlich in
Thomas Pikettys vieldiskutiertem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ die
Informationen finden?
Im
westlichen Kapitalismus agiert und führt inzwischen eine transnationale
kapitalistische Klasse. Politiker wie Barack Obama, David Cameron und die
deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verwenden für diese 0,0001 Prozent
unterwürfig den anonymen Begriff „die Märkte“. Der gegenwärtig in linken und
liberalen Kreisen überschwänglich gelobte französische Starökonom Thomas
Piketty hat interessanterweise in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“
hierzu keine Angaben gemacht.
Er
kennt die international capitalist class nicht. Er begnügt sich als
Datengrundlage mit der Liste der reichsten Milliardäre aus der US-Zeitschrift
Forbes. Er rechnet zu deren Vermögen alles möglich zusammen, Kontostand,
Immobilien, Yachten und Unternehmensanteile. Das bewegt sich auf BILD- und
Illustriertenniveau. Ihn kümmert nur die Verteilung des Reichtums, nicht aber
seine Organisationsform und sein Machtgeflecht, zu dem übrigens auch die
hochbezahlten, professionellen Hilfstruppen gehören wie u.a. die von uns
geschilderten „Fertigmacher“.
Piketty
schreibt: „Es ist nicht meine Absicht, im Namen der Arbeitnehmer gegen die
Besitzenden zu Felde zu ziehen.“ Mit diesen Begriffen diskreditiert er zudem
die Problemlage, vor der wir heute stehen: Es geht nämlich nicht nur um
Arbeitnehmer-Interessen, sondern um die Interessen der Mehrheit, und es geht nicht
um einen altertümlichen Feldzug, sondern um eine umfassende Strategie.
…das
meint?
Ich
kann das hier nur andeuten, mit einigen trockenen Angaben. Zum Beispiel heißen
die gegenwärtig zehn größten Kapital-Knubbel, in der Reihenfolge ihres
Eigentumsvolumens: Blackrock, AXA, JP Morgan Chase, Capital Group, Fidelity
Investments, BPCE, Legal & General Group und State Street Corporation. Sie
organisieren das Eigentum der transnationalen kapitalistischen Klasse an Konzernen,
Banken, Versicherungen, Staatsanleihen und anderen Wertpapieren. Keine dieser
Organisationen hat ihren Sitz in Deutschland, sie verfügen aber auch in
Deutschland über viel Unternehmenseigentum. Aus Platzgründen spare ich mir die
nächsten 50 dieser Kapital-Knubbel.
Die
Genannten sind wiederum eng untereinander verflochten und organisieren wiederum
die Kapitalverhältnisse der wichtigsten Konzerne, Banken und Versicherungen
weltweit. So ist beispielsweise Blackrock Miteigentümer von 282 der 500 größten
Unternehmen der Welt und Großaktionär – neben anderen der Genannten – in allen
30 Dax-Konzernen in Deutschland. Blackrock ist beispielsweise auch
Miteigentümer der beiden größten Ratingagenturen Standard & Poor’s und
Moody’s. Blackrock wickelte für die US-Regierung die Rettung oder Verwertung
von bankrotten Banken und Versicherungen nach der „Finanzkrise“ ab und hatte
entsprechende Berateraufträge für die verschuldeten EU-Staaten Spanien,
Griechenland und Irland. Jetzt bekam dieser größte Kapitalorganisator der Erde
von der Europäischen Zentralbank (EZB) zudem noch den Auftrag, den Handel mit
Asset Backed Securities (ABS) zu organisieren, damit die EZB statutenwidrig den
EU-Krisenstaaten Schuldforderungen abkaufen kann, die in Wertpapieren verpackt
sind.
Das
heißt mit anderen Worten: Es gibt kein national organisiertes Kapital mehr?
Doch,
in politischem Sinne schon. Wie ich am Beispiel Blackrock schon dargestellt
habe, legen die Organisatoren des transnationalen Kapitals enormen Wert darauf,
gute Beziehungen zu den nationalen Regierungen und internationalen staatlichen
oder staatsnahen Institutionen zu pflegen, also etwa zur Bundesregierung, zur
US-Regierung, zur Europäischen Kommission und zur EZB. Umso mehr muss sich das
Privatkapital – und gerade das transnationale – politisch absichern, je weniger
es sich um die nationalen Volkswirtschaften kümmert. Um nennenswerte Aufstände
zu verhindern, sind die national organisierten Herrschaftsapparate dabei heute
immer noch unverzichtbar.
Zugleich
gilt jedoch: Konzerne, Banken und Versicherungen, die wir immer noch
nostalgisch gewohnt sind, als „deutsch“ zu bezeichnen, etwa die Deutsche Bank,
Siemens, VW, Bayer, Allianz und so weiter – sie sind längst nicht mehr
„deutsch“, sondern haben lediglich ihren traditionellen operativen Hauptsitz am
Standort Deutschland. Die großen Umsätze werden jedoch meist ganz woanders
gemacht, die Mehrzahl der Beschäftigten arbeitet außerhalb Deutschlands. Die
Gewinne der Aktionäre landen in hunderttausenden von anonymen Tochterfirmen in
Delaware, auf karibischen Inseln oder in der größten EU-Finanzoase Luxemburg.
Die Haupteigentümer der wichtigen Unternehmen heute sind übrigens weniger an
Aktiendividenden interessiert, sondern am Geschäft mit Aktienschwankungen, die
sie selbst am besten beeinflussen können. Ebenso spekulieren sie mit
Staatsanleihen und anderen Wertpapieren. Hinter Blackrock und Konsorten stehen
natürlich jeweils zehntausende Privateigentümer, von denen wir bisher nur ein
paar wenige Namen an der Oberfläche kennen.
Die
transnationale kapitalistische Klasse hat dabei tatsächlich viel weniger
Interesse als früher, dass die nationalen Volkswirtschaften funktionieren, dass
möglichst Vollbeschäftigung herrscht und dass die nationalen öffentlichen
Infrastrukturen einigermaßen in Ordnung sind. Deshalb verarmen gerade die
Staaten und Bevölkerungen, die man bisher als „reich“ bezeichnet hat.
Was
also können wir hiergegen tun? Was meinen Sie?
Also,
wir müssen uns diesen Realitäten überhaupt erst einmal stellen.
„Verantwortliche“ Politiker, Starökonomen und Leitmedien blenden das alles ja
gern aus. Dass der neue Papst mit seiner übergroßen Barmherzigkeit gegenüber
den Allerärmsten davon auch keine Ahnung hat, sei ihm halbwegs verziehen.
Ansonsten aber: Die große Frage, was wir „dagegen tun können“, lassen Sie uns
bitte ein andermal erörtern. Denn das schlüge ein neues und für hier und heute
zu umfangreiches Kapitel auf.
Vielen
Dank für das Gespräch.


Werner
Rügemer

(Dr. phil.), interventionistischer Philosoph, ist tätig als Publizist, Berater
und Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied im deutschen
PEN-Club, im wissenschaftlichen Beirat von Attac und bei Business Crime
Control. 2002 erhielt er den Journalistenpreis des Bundes der Steuerzahler NRW,
2008 den Kölner Karlspreis für kritische Publizistik. Bei transcript ist von
ihm u.a. erschienen: »›Heuschrecken‹ im öffentlichen Raum« (2. Aufl. 2011)
sowie »Die Berater« (2004).
Beschreibung: http://vg02.met.vgwort.de/na/42ee74642fd9401db4b6159f06f77480
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