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Interkulturelle Kunst mit Memduh Kuzay aus Istanbul


Liebe Leserinnen und Leser,
wie Sie wissen, bedeutet uns Kunst sehr viel. Kunst ist der
Spiegel der Seele und interkulturell und interreligiös der Ausdruck unserer
Identität im Austausch mit dem Anderen und im Dialog mit dem Anderen.
Ästhetik ist vor allem in der muslimischen Kultur sehr
wichtig. Denn in einer Tradition des Propheten Muhammad heißt es: „Allah ist
schön und liebt die Schönheit“.
Nun die Praxis: Bei einem Spaziergang durch das Zentrum von
Istanbul bin ich ganz zufällig auf eine Bilderausstellung des türkischen
Künstlers Memduh Kuzay gestoßen. Es ist eine kleine Ausstellung mit etwa  zwei Dutzend Gemälden, die fast nur die Stadt
Istanbul in außergewöhnlichen Farbkombinationen thematisieren. Ich war von der
Verarbeitung des Themas und der Mitteilung der Vision der eigenen Stadt
begeistert. Ich finde Künstler wie Memduh Kuzay wichtig für den
interkulturellen und interreligiösen Dialog. Daher habe ich mich auch dazu
entschieden, ihn zu interviewen.
Freue mich sehr auf Ihre Kommentare hierzu an info@promosaik.com
Aygun Uzunlar – ProMosaik e.V. Istanbul
Aygun Uzunlar:  Guten Tag Herr Kuzay, wir von ProMosaik
Istanbul sind Ihnen für dieses Interview sehr dankbar.  Für Promosaik ist die Kunst eine universelle
Umgangsform, die Völker und Religionen verbinden kann. Was denken Sie darüber?
Memduh Kuzay: Ich
danke dem Verein ProMosaik Istanbul für sein Interesse an meinen Gemälden. Ich
werde versuchen, alle Ihre Fragen zu beantworten. Die Kunst fokussiert in ihrer
gesamten Vielfalt auf den Menschen und hat eine einzigartige, universale Sprache.
Eine oberflächliche, lokale oder regionale Annäherung an die Kunst würde die
Gemeinsamkeiten der Menschheit vollkommen ausblenden. Alle Gemeinsamkeiten
würden abhandenkommen. Zudem sollte man die Kultur, in der man das eigene Leben
verbringt, versuchen, mit einer gemeinsamen Einheitssprache, in diesem Falle
mit Hilfe der universalen Sprache der Kunst, zu vermitteln. Das größte  Geschenk der Kunst an die Menschheit besteht
gerade in diesem ständigen Brückenbau zwischen allen Religionen und Kulturen
dieser Welt, um sie miteinander zu vereinen. Denn nur die Kultur hat es in sich,
die Wahrheit so prägnant zum Ausdruck zu bringen. Für Künstler wie wir wird es
ein harter Kampf,  es gibt
Religionsgemeinschaften, die Kunst völlig ignorieren, Kunst bekämpfen und für
Kunst nichts übrig haben. Wir Künstler müssen im Herzen dieser Religionen
suchen. Religiöse Architektur und religiöse Kultur könnten uns hierbei
behilflich sein, die erste Brücke stabil aufzubauen. Wir dürfen aber niemals
die Religionen vergessen, die sogar Jahrtausende alte Kunst zerstören. Ich kann
nur sagen, dass die Kunst in der Lage ist, Kulturen und Religionen wie in eine
Mosaikstruktur miteinander zu verbinden, aber es müssen die richtigen
Religionen sein.
Aygun Uzunlar:
Was hat Sie dazu gebracht, den Weg des Künstlers einzuschlagen?
Memduh Kuzay: Die
Natur hat im Vorfeld entschieden, mich zu einem Künstler zu machen, es ist wie
ein Programm, das mir bei der Geburt überspielt wurde! Ich stamme aus einer
Familie, die vom Kaukasus zwangsausgewandert ist. Eigentlich wurde meine
Familie gewaltsam aus ihren Wurzeln gerissen. Naja, als ich 5-6 Jahre alt war,
hatten meine Eltern nicht die Mittel, mich mit Papier und Bleistift zu
versorgen. Ich entdeckte die weiß angestrichenen anatolischen Häuser und die Kohle.
Nachts im Mondlicht habe ich heimlich die weißen Wände bemalt, und als ich die
Farbe entfernte, kam darunter der braune Lehmstrich hervor. Am Ende habe ich
alle Wände des Zimmers bemalt und nannte es am Ende „Die Weltkarte“. Es hat
natürlich nicht lange gedauert, bis ich erwischt wurde. Danach habe ich den
Lehm entdeckt und fing an, von verschiedenen Lebewesen wie Kühen, Schafen und
Vögeln plastische Figuren anzufertigen. Ich baute auch ein Spielzeugauto aus Weidenbaumholz,
zu dessen stolzem Besitzer ich dann wurde. Unser Grundschullehrer brachte uns
zu einem Picknick in der Natur, obwohl wir alle auf dem Land lebten. Der
einzige Unterschied zu den anderen Tagen war, dass wir heute etwas zum Essen
und Trinken dabei hatten. Wir genossen von einem Hügel aus die Aussicht ins
tiefe Tal. Der Lehrer forderte uns auf, ein Flugzeug zu zeichnen. Wir alle
hatten bisher noch kein Flugzeug gesehen und wussten auch, wozu es gut war! Das
einzige moderne Fahrzeug, das wir sahen, war der grüne Geländewagen, der ein
paar Mal im Jahr unseren Landrat besuchte. Ich habe mit der Zeit verstanden,
dass die Fahrzeuge im Himmel, die einen weißen Streifen hinterließen, Flugzeuge
waren. Der Lehrer fragte mich, woher zum Teufel ich wusste, wie ein Flugzeug
aussah. Dieses Flugzeug war mein erstes Kunstwerk. Wer von Natur aus vorgesehen
ist, Künstler zu werden, der hat alle Motivationen schon in sich drin.
Aygun Uzunlar: Welche
Erfahrungen haben Sie aus den USA in die Heimat mitgebracht?
Memduh Kuzay: Eine
der wichtigsten Erfahrungen war natürlich die „Einzigartigkeit des
Individuums“.  Die Kunst ist in ihren
Innovationen immer einen Schritt voraus. Andere zu kopieren und sie nachzuahmen
ist ein Zeichen von Rückständigkeit. Die Einzigartigkeit ist der Schlüssel, um
in der Welt der Kunst etwas zu bewegen. Die USA hat mir in dieser Hinsicht die
Augen geöffnet, und es ist mir dann gelungen, über 10.000 Werke zu produzieren.
Alle meine Werke befinden sich in Sammlungen. Ich glaube, dass ich in der Lage
war, dieses Konzept der Originalität aus den USA nach Hause in die Türkei zu
bringen.  
Aygun Uzunlar: Welche
ästhetischen Symbole verwenden Sie überwiegend in Ihren Werken über Istanbul?
Memduh Kuzay: Für
mich bedeutet Istanbul die Altstadt in den antiken Stadtmauern und am Bosporus.
Alles, was außerhalb dieser Grenzen liegt, ist für mich nicht mehr Istanbul. Die
Silhouette der Stadt Istanbul besteht (bis auf den Galata- und den Länderturm)
aus unzähligen Moscheen. Selbst die prächtige Hagia Sophia schaut mit ihren
Minaretten von außen aus wie eine Moschee. Istanbul beherbergt auch lebende
Symbole, wie die verwahrlosten Straßenkatzen, die Streunen und die Möwen. Sie
sind mit den Menschen meine ästhetischen Symbole der Stadt Istanbul in meinen Werken.
Aygun Uzunlar: Auf
Ihren Bildern ist das Pferd als Symbol sehr präsent, warum?
Memduh Kuzay: Ich
bin Tscherkesse, meine Ahnen stammen aus 
Kabardino-Balkarien. Wir Tscherkessen pflegen unsere Kultur seit
tausenden von Jahren. Das Pferd lebt in unserer Kultur seit Jahrtausenden mit
und in uns. In meinem Tscherkessen-Dorf, in dem ich auf die Welt kam, kenne ich
keinen Haushalt ohne Pferde. Für die Tscherkessen ist das Pferd heilig. Ich
habe die Pferde schon im Kindesalter kennengelernt. Ich ritt auf dem Rücken der
Pferde, bis mir die Tränen aus den Augen kamen. In den primitiven Kulturen stand
der Stier im Vordergrund, während in den kultivierteren Kulturformen das Pferd
dominierte. Außerdem ist das Pferd auch das schönste Geschöpf, das die Natur
hervorgebracht hat. Das Pferd steht für Ästhetik und Würde und hat einen
besonderen Wert für unsere tscherkessische Kultur.
Aygun Uzunlar:  Wie kann man mit Kunst eine Stadt
erreichen und wie kann man mit Kunst eine Stadt vertreten?
Memduh Kuzay: Ohne
Frage gilt die Kunst in allen Kulturen zu den wichtigsten Interessensgebieten. Der
Künstler hat viele Quellen der Inspiration, worunter auch die Geographie, das
Land oder die Stadt. Die Städte sind in der Regel Orte des geistigen Zusammenlebens.
Die künstlichen Tätigkeiten kann man dort effektiver vorstellen. Dem Künstler
stehen in einer Stadt vielfältige und praktischere Möglichkeiten und Wege zur
Verfügung. In der Stadt lernt man, auf die eigene Stimme zu hören. Dies
bedeutet, dass man die eigenen Ideale und die Geschichte und Architektur der
Stadt in einer plastischen Form zusammenführen kann. Dazu gibt es zahlreiche
Möglichkeiten.