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Abraham Melzer kommentiert Gilad Atzmon

Liebe Leserinnen und Leser,

möchten Sie bitten, meine Entscheidung zu akzeptieren, diese Rezension von Herrn Melzer über Gilad Atzmons kontroverses Buch zu veröffentlichen, ganz im Namen der Pressefreiheit.

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Aber zensieren Sie uns nicht.

dankend

Sarah Meyer von ProMosaik e.V.

Der Wandernde – Wer? – Gilad Atzmon und das Weininger Syndrom

Atzman 
Gilad
Atzmon ist sehr umstritten. Die einen nennen ihn einen Antisemiten und
jüdischen Selbsthasser, was er übrigens selber von sich behauptet, und
die anderen sehen in ihm einen Menschenfreund und brillanten
Jazzmusiker. Er ist provokant und faszinierend, er schafft es jüdische
Freunde und palästinensische Feinde zu haben, manche nennen ihn einen
Bilderstürmer und andere einen Humanisten. Wer ist nun Gilad Atzmon?
Ich habe mich in den letzten Tagen mit
Gilad Atzmon beschäftigt. Habe sein Buch „Der Wandernde – Wer?“ gelesen
und dazu noch einige Rezensionen und diverse Auseinandersetzungen mit
seinen Thesen. Ich war verwundert und amüsiert. Verwundert darüber, dass
keinem der Rezensenten die Ähnlichkeit zwischen Gilad Atzmon und dem
Wiener Juden und selbsthassenden Antisemiten Otto Weiniger aufgefallen
ist, obwohl Atzmon selbst ausführlich darüber schreibt, und amüsiert
darüber, dass so viele ernsthafte, kluge und intelligente Menschen den
sich selbst hassenden und sich selbst liebenden Atzmon ernst genommen
haben und tatsächlich versucht haben, sich mit seiner wirren und
verworrenen Philosophie auseinander zu setzen. Er mag zwar ein guter
Jazz-Musiker sein, aber er ist nur ein mittelmäßiger Amateurphilosoph,
voller Widersprüche und Selbstüberschätzung. So wie Weininger gerne ein
waschechter Arier gewesen wäre und seine jüdische Abstammung verfluchte,
so verflucht Atzmon seine israelische Abstammung und wäre lieber als
Palästinenser geboren. Er schreibt: „Irgendwie sehnte ich mich danach,
ein Goi (Nichtjude) zu werden.“
Atzmon ist ein Narziss und so sehr er
Weininger verehrt und sich mit ihm absolut identifiziert, so sehr er auf
die Unsterblichkeit eines Weininger neidisch ist und selber unsterblich
sein möchte, so sehr auch er sich selbst hasst und ein anderer sein
möchte, so sehr bleibt er doch, was er ist – ein selbsthassender
Israeli, der nicht aus seiner Haut kann. Während sich Otto Weininger
tatsächlich mit philosophischen Fragen beschäftigt hat, so kreist Atzmon
immer wieder um sich selbst und seine Abstammung. 
Es gibt in seinem Buch wenig originelle
oder eigene Ideen. Alles ist ein Sammelsurium von Ideen und Ideologien,
die er bei Israel Shahak, Otto Weininger, Shlomo Sand, Milton Friedman
und andere übernommen hat. Einige naive und unvollkommen gebildete
Rezensenten meinen, dass man erst mit Atzmons Buch den Unterschied
zwischen Judentum und Zionismus begreifen kann. Da muss ich
widersprechen. Atzmon verwischt und verwirrt den eigentlich für jeden
offensichtlichen Unterschied. Um den zu erkennen, brauche ich keinen
Gilad Atzmon.
Judentum ist eine trotz allem ethische
und humanistische Religion, eine „Religion der Vernunft“ nannte sie der
berühmte Leo Baeck, Berlins letzter Oberrabbiner, eine Religion, die
„Moral fordert und predigt“, während Zionismus eine rassistische und
kolonialistische Ideologie ist. Judentum erfordert Juden. Zionismus
benötigt Rassisten und Chauvinisten. Als Jude wird man geboren, Zionist
kann man werden, auch wenn man kein Jude ist. Das ist einfach und klar,
und es gibt keinen Grund, darüber ein pseudo philosophisches Buch zu
schreiben. Es mag eine „philosophische Meisterleistung eines
Menschenfreundes und brillanten Jazzmusikers“ sein, aber da kann ich nur
sagen, dass es für uns alle besser wäre, er wäre bei seiner Musik
geblieben.
Ich hatte sowieso bei einigen der
Rezensenten das Gefühl, dass sie das Buch nicht gelesen haben, und wenn
gelesen, dann aber nicht verstanden haben. Und so wurde man daran
erinnert, dass nicht nur Literatur, sondern auch Rezensionen das sind,
was ein antisemitischer Abgeordneter im österreichischen Parlament
einmal gesagt hat: “Literatur ist das, was a Jud vom anderen
abschreibt.” Und so kommt es, dass eine Rezensentin geschrieben hat,
dass Atzmon „ein wahrer Freund der Palästinenser und ihres berechtigten
Anliegens“ sei. Nur geht es in dem Buch nicht um Palästinenser und schon
gar nicht um ihr Anliegen, sondern um die Suche nach der wahren
jüdischen Identität. Wahrscheinlich spuckte Atzmons Eintreten für die
palästinensische Sache im Kopf der Rezensentin, die wohl gedacht hat,
dass sie über das Buch etwas Nettes schreiben kann, obwohl sie es nicht
gelesen hat.
Andererseits kann man das auch niemanden
übel nehmen, denn Atzmons Buch ist kaum verständlich und ich musste
manche Passagen doppelt und dreifach lesen, um sie zu verstehen und oft
Seiten zurückblättern, um zu kapieren, was uns der Hobby-Philosoph sagen
wollte. So geht es einem auch mit den Rezensionen. Wenn man den wirren
und absolut unverständlichen Text z. B. von Annis Hamadeh liest, was ja
kaum möglich ist, dann merkt man sofort, dass der Rezensent den Text von
Atzmon nicht verstanden hat, was man ihm gar nicht verdenken kann.
Wenn ich sage, dass Gilad Atzmon ein
Antisemit ist, dann nicht, weil ich ihn blamieren oder diffamieren will,
eigentlich ist es mir vollkommen egal, sondern weil er selber von sich
sagt, dass er ein Antisemit sei. Er schreibt selbst „In Wirklichkeit
arbeite ich mit Verachtung den Juden in mir sorgfältig heraus.“ Man
erkennt es an vielen Aussagen, die nach der unmaßgeblichen
Arbeitsdefinition der EU auf Antisemitismus weisen. Das freilich ist für
mich nicht maßgebend. Meinetwegen soll er Antisemit sein, das stört
mich nicht, denn obwohl ich selber Jude bin, kann auch ein Gilad Atzmon
mich in meinem Selbstbewusstsein nicht verletzen. Jeder kann meinetwegen
Juden hassen, keiner soll sie lieben müssen. Mir reicht es, wenn ein
Antisemit keine Juden tötet, weil sie Juden sind. Was ein Antisemit
denkt, fühlt und sagt, geht mich nichts an. Schließlich sind die
Gedanken frei.
Mich stört, wenn überhaupt, die
Tatsache, dass Atzmon nie „Juden“ schreibt, sondern immer nur  „die
Juden“, als ob Juden einen Monolith darstellen und alle gleich sind. Es
gibt bei ihm nur reiche, kapitalistische Juden, die von Milton
Friedmanns Marktordnung profitieren, oder nur zionistische Juden. Er
übernimmt die Definition von Karl Marx, „dass Kapitalismus von Natur aus
jüdisch ist“, um gleich danach festzustellen, „damit war es für die
Juden nur natürlich, sich der Linken anzuschließen“.
Vom gewaltigen jüdischen Proletariat in
Osteuropa, in Polen und Russland ist bei ihm keine Rede, die gibt es
nicht. Und auch die westeuropäischen Juden hießen nicht alle Rothschild.
Aber Atzmon interpretiert die Geschichte so, wie es ihm in seine krude
und absurde Ideologie passt. „Juden und anderen ethnischen oder
religiösen Minderheiten ging es deshalb gut, weil es Andere gab, die um
sie herum arbeiteten.“ Das ist schon mehr als absurd und dumm und eine
Geschichtsfälschung, denn Atzmon weiß sicherlich vom gewaltigen
jüdischen Arbeiter- und Bettlerproletariat, welches die absolute
Mehrheit der jüdischen Bevölkerung ausgemacht hat. Und wenn es keine
Arbeiter und Bettler waren, dann arme Händler, die auf den Märkten der
Stätels drei Heringe und ein Paar Socken verkauft haben, um ein
Stückchen Brot kaufen zu können, damit sie ihre Familien ernähren
konnten. Die ostjiddische Literatur ist voll von solchen Geschichten.
Jüdische Identität ist für Atzmon
untrennbar verbunden mit jüdischem Nationalismus, jüdischer Brutalität
und jüdischem Rassismus. Jüdische Ethik, Moral, soziale Ordnung und
Humanität kennt er nicht. Ohne diesen Werten sähe unsere Welt anders
aus. Nicht, dass unsere Welt ideal und vollkommen ist, aber selbst so
eine Kleinigkeit wie der Shabbat, der jüdische Ruhetag, ist ein Geschenk
des Judentums an die zivilisierte und meinetwegen auch unzivilisierte
Welt, und Kants kategorisches Imperativ, „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“, ist undenkbar ohne dem Imperativ des Rabbi Hillel, der sein bzw. das Judentum wie folgt definiert hat: „Tue deinem nächsten nicht das an, was du nicht willst, dass man es dir antut“. 
„Paranoide sind Opfer ihrer eigenen
Symptome“, schreibt Atzmon, und hat natürlich vollkommen Recht. Bei
Paranoia können wir klar bestimmen, dass der an ihr Leidender in einer
Wahnwelt gefangen ist. So scheint es bei Atzmon zu sein. Deutsche
jüdische Gelehrte wie Hermann Cohen, Franz Rosenzweig und Ernst Bloch
seien, seiner Meinung nach, zweitrangige Gelehrte gewesen. Und da könnte
man vielleicht noch Martin Buber und manch andere hinzufügen. Juden
sind oft stolz auf ihr „humanistisches Erbe“, Gilad Atzmon schließt sich
aber Milton Friedman an und behauptet: „Es gibt kein solches jüdisches
Erbe.“ Es würde dem Juden an einer „universalen Ethik“ fehlen. Nach
Friedmans und von Atzmon übernommener Auffassung sollen Juden das tun,
worin sie gut sind, nämlich  „freien Handel treiben“. Gewiss, es gab
unter den Juden großartige Händler, obwohl es bei Atzmon so klingt, als
wären es lauter Shylocks gewesen. Aber es gab auch großartige Musiker,
Ärzte, Dichter und Schriftsteller, Physiker, Chemiker und Mathematiker.
Man muss nur die Liste der Nobelpreisträger anzuschauen. Warum also die
Beschränkung der Juden auf Handel und Geldverleih? Warum muss er immer
wieder darauf hinweisen, dass er „ein stolzer, selbsthassender Jude“
ist?
Atzmon zitiert seinen geistigen
Vorreiter, den jüdischen Nationalisten Vladimir Jabotinsky: „Ein unter
Deutschen aufgewachsener Jude mag deutsche Gebräuche und deutsche Wörter
übernehmen. Er man von diesem deutschen Medium wie einer Flüssigkeit
gänzlich durchtränkt sein, aber der Kern seiner spirituellen Struktur
wird stets jüdisch bleiben, da sein Blut (…) jüdisch ist.“ Atzmon ist
auch von dieser „Blut und Boden“ Ideologie besessen, ebenso wie sein
Idol Otto Weininger. Für Atzmon bedeutet Jude sein eine tiefe
Verpflichtung, die weit über jede rechtliche oder moralische Ordnung
hinausgeht. Er möchte sich allerdings davon distanzieren und für sich
selbst eine andere „rechtliche oder moralische Ordnung“ schaffen. Er
möchte so unsterblich sein wie Otto Weininger. Deshalb kennt er in
seiner Provokation keine Grenzen. Atzmon leidet am Weininger-Syndrom,
und es wundert mich, dass keiner seiner Rezensenten das bisher erwähnt
oder auch nur bemerkt hat. Was aber Atzmon von Weininger unterscheidet
ist die Tatsache, dass Weininger ein äußerst begabter Philosoph war und
sein erstes und einziges Buch „Geschlecht und Charakter“, das er im
Alter von 21 Jahren geschrieben hat, schon für Weltruhm gesorgt hat. Als
er kurz nach der Veröffentlichung Selbstmord begangen  hat, weil er
sich als Jude hasste, wurde er unsterblich. Noch heute, mehr als hundert
Jahre nach dieser Tragödie, ist sein Name unvergessen geblieben. Atzmon
möchte auch weltberühmt und unsterblich sein. Deshalb versucht er,
Weiningers Provokation zu überbieten und hofft, sich dadurch zu
profilieren.
Weiningers Thesen waren zwar provokant,
aber andererseits sehr einfach und auch nachvollziehbar. Er behauptete,
dass in jedem Mann eine Frau stecke und in jeder Frau ein Mann. Und je
nachdem, welche Natur stärker ist und sich durchsetze, werde es ein Mann
oder eine Frau. Weininger arbeitete eine dezidierte und fundierte
Theorie der Bisexualität aus. Bisexualität bedeutet bei Weininger, dass
die ursprüngliche Anlage des Menschen zweigeschlechtlich sei und dass
erst das Überwiegen des männlichen oder weiblichen Elements das
konstituiere, was man Mann oder Frau nennt. Weiningers Anhängerschaft bejahte euphorisch seine Genietheorie, seine Thesen
waren in aller Munde. Sigmund Freud war begeistert von dieser These und
bedauerte nur, dass sie nicht ihm selbst eingefallen ist. Weininger
hasste sich auch noch als Frau, weil er auch die Frauen hasste.
Atzmon wirft den Juden Tribalismus und
Selbstüberschätzung vor und behauptet, dass sie nie universalistisch
sein können. Man fragt sich dann, wieso Persönlichkeiten wie Einstein,
Freud, Heine, Trotzki und noch viele andere, im besten Sinne
Universalisten waren und wieso das Judentum von der ganzen westlichen
Welt akzeptiert wurde, wenn auch als Christentum. Im selben Atemzug
behauptet er auch, dass sie, die Juden, wie andere Menschen sein wollen
aber, solange sie darauf bestehen werden, wie „alle  Menschen“ zu sein,
würden sie stets scheitern, sie selbst zu sein. Juden können also nicht
aus ihrer Haut. Einmal Jude, immer Jude. Das war wohl so im 18. und im
19. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Das ist aber
schon lange nicht mehr so. Heute können Juden alles sein und werden,
auch Antisemiten wie Atzmon selbst, aber vor allem Weltbürger, orthodoxe
oder liberale Juden, nationale Amerikaner und brave Deutsche, wie
Ukrainer, Russen oder Franzosen. Sie müssen nicht in ihrer jüdischen
Haut stecken bleiben, sie können Zionisten oder aber Anti-Zionisten
sein.
Unnötig zu sagen, dass sich in den
letzten Jahrhunderten Millionen europäischer und amerikanischer Juden
sich vollständig für die Assimilation entschieden haben. Sie trennten
sich von ihrer jüdischen Identität und gingen in der Menge ihrer
sogenannten Gastvölker auf. Gäbe es den Antisemitismus nicht, dann würde
dieser Prozess noch schneller voranschreiten. Wobei der Antisemitismus
von heute kein Judenhass mehr ist, sondern das, was Juden als Judenhass
definieren, nämlich Antizionismus oder ganz einfach Kritik an der
Politik des Staates Israel. Noch identifizieren sich viele Juden mit dem
Staat der Juden, der unbedingt ein „jüdischer Staat“ werden will, damit
es dann eindeutig ist, dass Kritik an der Politik eines jüdischen
Staates nichts anderes ist als Antijudaismus.
Und absurd ist auch der Vorwurf von der
„Jüdischen Verschwörungstheorie“, die schon beinahe der lächerlichen
Beschuldigung von den „Protokollen der Weisen von Zion“ ähnlich ist.
Juden füllen die Korridore der Macht, in Washington, London, Paris und
Berlin. Sie üben Druck auf die vermeintlich Mächtigen aus, um deren
Politik zugunsten Israels, zugunsten des Zionismus, zugunsten der Juden
zu dirigieren. Was für eine bizarre Vorstellung, auch wenn man vom
Einfluss mächtiger zionistischer Organisationen weiß. Erstens fehlt hier
die kleine aber notwenige  Trennung zwischen Israel, Zionisten und
Juden. Die meisten amerikanischen Juden sind ihrem Land loyal und würden
niemals daran denken, die USA zugunsten Israels zu verraten. Einer, der
er gemacht hat, sitzt schon beinahe 30 Jahre in einem amerikanischen
Gefängnis. Wer heute noch mit solchen Märchen kommt, Theorien, die schon
vor hundert Jahren lächerlich und absurd waren, der ist wahrlich
suspekt und politisch irre. Damit will ich allerdings nicht sagen, dass
es nicht möglich ist, dass Israel die Welt erpresst. Mit der Drohung
einer „Samson“-Reaktion, das heißt, die Einsetzung von Nuklearwaffen,
hält Israel möglicherweise viele Regierungen in Schach-Matt-Position.
Aber das hat mit der Theorie der „Protokolle der Weisen von Zion“ nicht
viel gemeinsam.
Bei Gilad Atzmon fesselt mich die
schwindelerregende Übertreibung, die Grenzenlosigkeit der Verneinung,
die Ablehnung von jeglichem gesunden Menschenverstand, die sture
Unnachgiebigkeit, die Manie, einen Gedankengang so weit zu treiben, bis
er sich von selbst auflöst und das gesamte Gebäude, dessen Teil er ist,
mitreißt. Es fasziniert zuzusehen, wie er konsequent und geradlinig auf
die Grube  hinsteuert, die er sich selbst gegraben hat. Und es erstaunt
einen festzustellen, wie viele richtige und einleuchtende Ideen zu
finden sind, zwischen diesem ganzen politischen Unsinn an kruden und
absurden Thesen.
Was mich am meisten an Atzmons Buch
irritiert hat, ist die Tatsache, dass ich mich mit vielen Thesen seiner
Kritik am Zionismus und an der Politik Israels identifizieren konnte.
Aber Atzmon übertreibt es, wie es der Fall ist bei vielen jüdischen
Antizionisten, von Evelyn Hecht-Galinski bis zu Israel Shahak, die von
sich selbst und ihrer Genialität so überzeugt sind, dass sie glauben,
als Juden können und dürfen sie übertreiben, weil Nichtjuden Angst haben
werden, sie zu kritisieren und jüdische Kritik von ihnen nicht
akzeptiert wird, weil sie glauben, dass ihnen als Juden alles erlaubt
sei. Sie kritisieren Israel gnadenlos, gehässig und überheblich und
wollen dafür Lob ernten, dass sie Mut haben Wahrheiten zu sagen, die
andere sich fürchten zu sagen. Solange aber der Vorwurf des
Antisemitismus in diesem Land ein Totschlagargument ist und bleibt,
haben die anderen einen Grund, wenn sie schweigen.
Zu den vielen britischen, amerikanischen
und französischen Juden kann ich leider nichts sagen, da ich deren
politische Positionen nicht kenne. Atzmon aber übertreibt, wenn er immer
von „den Juden“ schreibt und er übertreibt auch, wenn er behauptet,
dass „die Juden“ es als Spießbürger nie schaffen werden, sich der
Menschheitsfamilie anzuschließen, geschweige denn der Arbeiterklasse. Er
übertreibt, wenn er behauptet, dass „heutzutage niemand mehr in
Begriffen des Blutes denkt, ausgenommen Zionisten, Israelis und
sogenannte jüdische Sozialisten“. Und er übertreibt, wenn er schreibt,
dass der Jude von der Zersetzung anderen Volkstums lebe.
In den meisten Fällen seiner Kritik am
Zionismus und an den Zionisten hat Atzmon aber vollkommen Recht. Zum
Beispiel wenn er behauptet, dass je mehr die Israelis (und viele Juden)
sich als diejenigen lieben, als die sie sich halten, desto mehr
verachten sie sich für das, was sie geworden sind. Er hat Recht wenn er
Israel eine „rassisch-selektive und exklusive Demokratie“ bezeichnet.
Seine Ideen und Theorien sind zwar manchmal bizarr und problematisch,
aber ich bin mit den meisten Aussagen einverstanden.
Es ist  richtig, dass jüdische Kultur
sozialistisch und humanistisch geprägt ist. Dazu braucht man nur die
Bibel zu lesen, die Zehn Gebote und alle anderen Gebote und Verbote, bis
zum Gebot „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, waren eine moralische
Revolution, auch wenn es in der Bibel auch andere Geschichten wie zum
Beispiel von Tod, Mord, Heuchelei und Betrug gibt. Es ist eine Tatsache
und ein Wunder, dass die Juden diesen Humanismus viele Jahrhunderte und
Jahrtausende erhalten und behalten konnten. Er herrschte sogar noch bis
ins 20. Jahrhundert hinein und begann zu schmelzen wie Butter in der
Sonne mit dem Aufkommen des Zionismus. Heute ist in Israel nichts mehr
davon geblieben, man kann sogar sagen, dass in Israel eine
antihumanistische, antimoralische und antiethische Gesellschaft
entstanden ist, in der das Wort „Humanist“ ein Schimpfwort und sogar
eine Beleidigung ist.
Wer vom Judentum, Zionismus, Bibel und
der jüdischen Geschichte zu wenig weiß, sollte das Buch von Gilad Atzmon
nicht lesen. Er wird es nicht verstehen, wird nicht differenzieren und
bewerten können und wird am Ende nur verwirrt das Buch nach den ersten
Seiten zu Seite legen, oder auch in den Papierkorb werfen. Ganz gewiss
wird er nicht den „Unterschied zwischen Judentum, Jüdischkeit und
Zionismus“ verstehen. Besonders ärgerlich und geschmacklos sind Atzmons
Infragestellungen des Holocaust. Zu schreiben, „das Schicksal meiner
Urgroßmutter (die wohl in einem Konzentrationslager gestorben ist) war
nicht so verschieden von denjenigen hunderttausender deutscher
Zivilisten, die bei vorsätzlichen wahllosen Bombardierungen starben, nur
weil sie Deutsche waren“, ist nicht nur dumm, nicht nur eine
Beleidigung der Ermordeten, sondern auch geschichtlich absolut falsch.
Es ist das Argument der Neonazis und der Ewiggestrigen, und Atzmon kann
nicht erwarten, dass man ihn hier ernst nimmt. Und auch seine
Relativierung des Holocaust ist unerträglich, wenn er schreibt: „Ich
brauchte Jahre, um zu verstehen, dass meine Urgroßmutter nicht zu
„Seife“ oder zu einem „Lampenschirm“ verarbeitet worden war, wie man
mich in Israel lehrte. Sie ist vermutlich an Erschöpfung oder Typhus
gestorben.“ Da kann man fast schon sagen: Gottseidank. Atzmon aber gibt
keine Ruhe. Er schreibt: „Ich denke, dass wir 65 Jahre nach der
Befreiung von Auschwitz das Recht haben müssen, anzufangen, Fragen zu
stellen. Wir sollten historische Beweise und Argumente verlangen. Wir
sollten den Holocaust seines judäozentrischen Ausnahmestatus entkleiden.
65 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz sollten wir die Frage stellen
können: warum? Was hat die Holocaustreligion zu verbergen“? Da frage
ich mich, warum Gilad Atzmon sich hier mit Holocaustleugner verbrüdert?
Geht es ihm um historische Wahrheit oder um den Skandal um des Skandals
willen? Noch gibt es einige Überlebende, die er fragen könnte. Hajo
Meyer hätte ihm einiges erzählen können, aber Atzmon wollte Meyer nicht
hören. Als Hajo Meyer zu einer Konferenz eingeladen wurde, an der auch
Gilad Atzmon teilnehmen sollte, schrieb er: „Wenn diese Texte
tatsächlich von GA´s Hand sind, dann gibt es nur einen Weg, dass er und
ich an derselben Konferenz teilnehmen: Er muss sich zu 100% laut und
klar davon distanzieren“. Gilad Atzmon hat sich nicht distanziert und
damit die Gelegenheit verpasst einen Überlebenden von Auschwitz nach der
geschichtlichen Wahrheit zu befragen.
Natürlich wird der Holocaust vom Staat
Israel als ein politisches Instrument benutzt, und natürlich versucht
der Staat Israel mit seiner Hilfe, Israelis, Juden und eigentlich die
ganze Welt zu manipulieren. Aber zu schreiben: „Es ist der Holocaust,
der mich schließlich zu einem treuen Unterstützer palästinensischer
Rechte machte (…)“, ist absurd und dumm. Hatte Atzmon kein
Rechtsempfinden, um von selbst zu einer solchen Ansicht zu gelangen? Zu
schreiben: „Dass Israel keinen humanistischen Juden hervorbringen
würde“, ist auch ein wenig überheblich und mehr vom Hass diktiert als
von der Ratio. Selbst ein Land wie Deutschland, das einen Holocaust
durchgeführt und sechs Millionen Juden ermordet hatte, hat danach
„humanistische“ Menschen hervorgebracht. Ich denke da z. B. an Willy
Brandt und viele andere, und darüber hinaus noch eine liberale,
humanistische und demokratische Rechtsordnung.
Atzmon bekennt am Ende seines Buches,
dass ihm der Lebensstil der Goijm, der Nichtjuden, wirklich begeistert
hat. Er wollte unter den Goijm leben und tat es auch und versuchte
sogar, ein Goij zu werden. Er behauptet, dass er es nie bereut habe. Das
glaube ich ihm, denn eigentlich ist er kein Goij geworden, denn er kann
es so wenig werden, wie ein Panther seine Haut wechseln kann. Er ist
und bleibt ein Jude. Und das ist sogar gut so. Oder will uns Gilad
Atzmon erzählen, dass die Goijm die besseren Menschen sind? Meine eigene
Erfahrung ist, dass alle Menschen gleich sind, schwarze und weiße,
Israelis und Palästinenser, Deutsche, Polen und Franzosen und US
Amerikaner. Und natürlich sind auch alle Menschen zu allem fähig, sogar
die Israelis. Sie sind zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit fähig, und
haben es oft genug der Welt vor Augen geführt.
Alles wäre einfacher und erträglicher,
wenn man es bei Gilad Atzmon nicht mit einen durch und durch
narzisstisch veranlagten Menschen zu tun hätte, der nicht nur in sich
selbst und in dem, was er sagt, verliebt ist, sondern auch davon
ausgeht, dass seine Anhänger es als die einzige wahre Lehre annehmen.
 Atzmon liebt sich als derjenige, der er sein will und hasst sich als
derjenige, der er ist. Ein Jude. Er möchte, dass man später über ihn das
sagt, was Hitler über Otto Weininger gesagt hat: „Es gab einen
anständigen Juden, und der brachte sich um.“ Dieser Mann war Otto
Weininger. Da hat er Gilad Atzmon etwas Entscheidendes voraus. Weiniger
war im Leben und im Tod skandalös. Er beging Selbstmord in dem Haus, in
dem Beethoven starb. Das war allerdings im Jahre 1903. Heute ist kaum
noch etwas skandalös. Vielleicht sind die Lebensmittel in Israel dreimal
so hoch mit Schadstoffen belastet wie in Deutschland. Das ist für die
meisten Israelis in der Tat ein Skandal. Michale Strauss, einer der
Lebensmittel Tycoons Israels sagte dazu: „Ich wundere mich, das ist
lächerlich, vielleicht ist es aber traurig“.
Und so ist es auch mit Gilad Atzmon: Lächerlich, aber vielleicht traurig.
Gilad Atzmon, Der wandernde – wer? 
Eine Studie jüdischer Identitätspolitik, ISBN 978 3 88975 199 7 , Zambon
Verlag, Frankfurt 2011, Euro 12.