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ProMosaik e.V. interviewt Frau Juliane Nagel – Landtagsabgeordnete in Sachsen


Liebe Leserinnen und Leser,
ich freue mich sehr darüber, dass sich Frau
Juliane Nagel von Die Linke, die am 31.08.2014 in den Sächsischen Landtag
gewählt wurde, bereit für ein Interview mit der Redaktion von ProMosaik e.V.
erklärt hat. 
Wie bei Frau Nicole Kumfert von Die Linke  Leverkusen freue ich mich als überzeugte
Feministin auch im Falle von Frau Nagel über den weiblichen, politischen
Beitra, den Sie mit viel Engagement leisten wird.
Wir haben ihr verschiedene Fragen zu den Zielen ihrer
Partei gestellt, um Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus in der Region zu
bekämpfen, indem man neue Alternativen für die Jugend findet. ProMosaik e.V.
glaubt an den wesentlichen Beitrag der Erziehung und Bildung, um eine tolerante
Gesellschaft aufzubauen. 
Wir haben Frau Nagel auch zum Thema Flüchtlingshetze
und religiöse Minderheiten befragt. Sie erklärt uns auch, wie religiöse
Toleranz herbeigeführt werden kann. Für eine tolerante Gesellschaft sollten die
Medien auch pluraler werden, fügt sie dann auch treffend hinzu.
Die Redaktion von ProMosaik e.V. wünscht Frau
Nagel viel Erfolg in ihrem Kampf für eine tolerante und multikulturelle
Gesellschaft in Sachsen.
Ihre Antwort über unser Symbol des Mosaiks hat uns auch dabei unterstützt, es unter einer neuen, sehr konstruktiven Perspektive zu sehen. Dafür möchten wir Frau Nagel herzlichst danken.
Wie immer freuen wir uns auf Ihre Zuschriften
hierzu an info@promosaik.com
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi
Redaktion von ProMosaik e.V.
1.- Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als
Landtagsabgeordnete der Linken in Ihrem Bundesland?
Eine große Herausforderung wird es sein, mit einem
großen rechts- bis rechtsaußen Block im Sächsischen Landtag klar zu kommen. Da
ist die CDU, eine der konservativsten bundesweit, mit einem zwar leicht
verschlechterten Ergebnis von immerhin noch 39,4 %. Und da ist die Alternative
für Deutschland, die mit 9,7 % das erste Mal in den Sächsischen Landtag
eingezogen ist. Eine Herausforderung wird diese Konstellation, weil die CDU in
der Regierung und die AfD in der Opposition eben nicht für eine offene
Gesellschaft und eine solidarische und demokratische Kultur und Entwicklung des
Landes stehen.
2.- Welche konkreten Ziele verfolgt Ihre Partei, um
Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus entgegenzuwirken?
Im Umgang mit Rechtsradikalismus und
Rechtspopulismus braucht es verschiedene Strategien. Auf die NPD ließ sich
zumindest im Landtag oder in den Kommunalparlamenten aufgrund ihrer aggressiven
menschenfeindlichen und antidemokratischen Positionen einfacher geeint
reagieren. Die Geister der demokratischen Parteien scheiden und schieden sich
dann wohl eher im Umgang mit Ursachen von neonazistischen Einstellungen und
Gegenstrategien im Alltag. DIE LINKE steht für eine klare, deutliche Ächtung
derer, die die Würde von Menschen in Wort und Tat verletzen. Sichtbarmachung
und Unterstützung der Opfer von rechter Gewalt und Bedrohung, die ideelle und
finanzielle Stärkung einer demokratischen, bunten Kultur und ziviler Ungehorsam
gegen Nazis – das sind Methoden der LINKEN.
Mit nationalkonservativen und sozialchauvinistischen Akteuren wie der AfD ist
der Umgang komplizierter. Hier müssen Zivilgesellschaft und Parteien die
wirklichen Ziele der neuen Partei erst deutlicher herausarbeiten. In meinen
Augen ist die AfD ein Wolf im Schafspelz.
Die AfD schürt Hass gegen MigrantInnen, indem sie
Asylsuchenden oder auch EU-BürgerInnen aus Südosteuropa systematisch Asyl- oder
Sozialmissbrauch unterstellt. Sie stellt nationale Interessen und eine
vermeintlich homogene nationale Kultur an erste Stelle. Nicht zuletzt will sie
sozial Benachteiligte noch weiter deklassieren und perspektivisch von
demokratischer Teilhabe ausschließen. All das kann DIE LINKE nicht
unwidersprochen lassen. Eine gerechte Gesellschaft muss allen Menschen ein
gutes Leben und Mitbestimmungsmöglichkeiten garantieren. Nationale Abschottung
funktioniert rein pragmatisch in einem sich einenden Europa nicht mehr. Und das
ist gut so.
3.- Wie kann Ihre Partei Alternativen für die Jugend in
Sachsen schaffen, damit NPD und AfD keine Alternative mehr für die Jugendlichen
darstellen?
Unsere Partei hat sich klar gegen die Kürzung der
Jugendpauschale, die das Land an die Kommunen und Kreise pro Kind/ Jugendlichem
im Jahr zahlt, ausgesprochen. Mit diesem Geld finanzieren die Städte und
Gemeinden Angebote der Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Jugendkulturarbeit,
Hilfeangebote für Familien etc. Die Kürzung um ein Drittel 2011 bedeutet
massive  Einschnitte und erzeugte vor
allem im ländlichen Raum Löcher, in die Nazis stoßen konnten. Wir wollen die
Pauschale wieder erhöhen – von 10,40 auf 15 Euro pro Kopf – und insbesondere
die ländlichen Regionen stärken. Der Rückgang der Kinderzahlen dort darf nicht
heißen, die Infrastruktur ganz zurückzufahren. DIE LINKE selbst unterstützt vor
Ort alternative, nicht-rechte Jugendkulturen. Diese werden aufgrund ihres
Engagements oft von den lokalen Verwaltungen kriminalisiert.
4.- Wie können Politik und Erziehung dazu führen, in
Sachsen eine multikulturelle und tolerante Gesellschaft aufzubauen?
Hier muss noch einiges getan werden, denn Sachsen
hat zu Recht nicht den Ruf weltoffen zu sein. DIE LINKE will, dass ein
sächsisches Gesamtkonzepts für ein tolerantes Sachsen als
Querschnittsverantwortung der Staatsregierung in Zusammenarbeit mit den
Kommunen, Landkreisen und zivilgesellschaftlichen Initiativen erarbeitet wird.
Dies schließt die Vermittlung interkultureller Kompetenzen und
menschenrechtsorientierten Wissens von der Kita über Schule, Ausbildung und
Hochschule ein. Es müssen zudem mehr MigrantInnen im öffentlichen Dienst, z.B.
als PolizistInnen und LehrerInnen, arbeiten. Wir wollen ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz
und wir wollen zivilgesellschaftliche Arbeit durch eine bessere und
institutionalisierte Förderung stärken, denn: eine demokratische Kultur kann
nicht verordnet werden, sondern muss von unten wachsen.
5.- Wie viel muss noch getan werden, um der Hetze gegen
die Flüchtlinge entgegenzuwirken?
Sachsen ist das Land, wo es bundesweit die meisten
rechts motivierte und rassistische Übergriffe gibt. Auch hier mobilisierten in
den letzten Monaten vielerorts Menschen gegen Asylsuchende in ihrer
Nachbarschaft. Schneeberg war wohl der Höhepunkt dieses menschenfeindlichen
Treibens. Das Problem ist, dass die CDU mit ihrer Rhetorik und praktischen
Politik solche Entwicklungen befeuert. Sachsens Innenminister feiert sich, weil
Sachsen bundesweit am meisten Menschen abschiebt. Die Residenzpflicht, die die
Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden massiv einschränkt, wurde in Sachsen nicht
gänzlich abgeschafft, obwohl dies in den Händen des Landes liegt. Ein Großteil
der Asylsuchenden in Sachsen ist zudem weiter in maroden Massenunterkünften
untergebracht. Die Gesundheitsversorgung ist für diese Gruppe äußerst prekär.
Ein erster Schritt wäre die konsequente Verbesserung der Lebensbedingungen
dieser Menschen, die vor Verfolgung und Kriegen hierher fliehen. Durch
Begegnungen und konkrete gemeinsame Projekte können zudem Ängste genommen
werden. Doch die sächsische und die Bundes-Asylpolitik orientierten auf
Abschottung der Asylsuchenden statt auf Integration.
6.- Wie kann Ihre Partei religiöse Minderheiten unterstützen
und diese vor Angriffen rechtsradikaler Gruppierungen schützen?
Wir müssen klar auf die im Grundgesetz verfasste
Religionsfreiheit bestehen. Es sind nicht nur ChristInnen, sondern auch
Muslime, JüdInnen und alle anderen AnhängerInnen eines Glaubens, die dieses
Grundrecht in Anspruch nehmen können. Aus den harten Auseinandersetzungen um
den Bau einer Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde in Leipzig weiss ich, dass
insbesondere der Islam für „Bio-Deutsche“ mit vielen Ängsten besetzt ist, die
oft auf Pauschalisierungen und auf handfesten rassistischen Stereotypen
basieren. Auch hier sind Aufklärung, Begegnungen und Austausch das beste
Mittel. Ich wirke in Leipzig in dem zivilgesellschaftlichen Netzwerk „Dialoge
für Gohlis“  mit, das sich gegründet hat,
um der Stimmungsmache, aber vor allem den Ängsten gegenüber dem Moscheebau
entgegenzuwirken. Mittel sind Ausstellungen zu Religionen und Migration,
interreligiöser Dialog, Aktionen und Argumentationshilfen. In diesem Kreis
wirken neben Initiativen auch VertreterInnen aus der Politik, Wissenschaft aber
auch aus der Kirche mit. So breit aufgestellt, lässt sich der Weg für religiöse
Toleranz ebnen.
7.- Welche Projekte müssen auf sozialer Ebene dringend
umgesetzt werden, um die Jugend zur religiösen Toleranz zu erziehen?
Es braucht einen offenen und vorurteilsfreien
Zugang zu allen Religionen, über Schul- oder Freizeitprojekte. DIE LINKE will
zudem den Religionsunterricht abschaffen. Dieser ist auf die evangelische und
katholische Religion fokussiert und spiegelt die religiöse Vielfalt nicht
wider. Parteiliche Religion hat aber grundsätzlich in der staatlichen Schule
nichts zu suchen.
8.- Wie muss sich die Medienlandschaft in Sachsen
verändern, damit die Wähler wieder den Weg zurück vom Populismus zur Demokratie
finden?
Diese Frage ließe sich sicher einfach mit „sie
muss pluraler werden“ beantworten. Insbesondere der MDR, der
öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Region, ist kaum für seine kritische und
hintergründige Berichterstattung bekannt. Es ist stark zu bemerken, dass der
Rundfunk und die großen Zeitungen eher konservativ berichten und beispielsweise
Engagement gegen rechts als „extremistisch“ brandmarken. Klar werden so
Positionen in der Gesellschaft unausgewogen widergespiegelt und das hat im
Endeffekt auch Auswirkungen auf Wahlverhalten, aber auch auf Wahlenthaltung.
Die ist in Sachsen m.E. ein genauso schwerwiegendes Problem. DIE LINKE steht in
diesem Sinne für die Pluralisierung und Modernisierung der Programmgestaltung
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Mir persönlich als Radiomacherin beim
Freien Radio in Leipzig liegt die staatliche Unterstützung dieses
nicht-kommerziellen, von Menschen an der Basis selbst gemachten Angebots sehr
am Herzen. In Sachsen wird dies verhindert, sicher auch weil die Freien Radios
zu unbequem und unkalkulierbar sind.
9.- Wie effektiv finden Sie unser Symbol
des Mosaiks als Einheit in der Vielfalt?
Das Logo ist gut
getroffen. Allerdings passt für mich der Begriff „Solidarität“ besser als
Einheit. Eine lebendige und offene Gesellschaft muss grundlegende durch
Solidarität und Empathie für die Belange anderer zusammengehalten werden.