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Es war einmal Netanyahu, der sich vor dem unsichtbaren Wolf fürchtete

Liebe Leserinnen und Leser,

da der Artikel von Prof. Rabkin mit dem ironischen Titel über Netanyahu und den Iran ein solcher Erfolg war, möchte ich Ihnen diesen nun auch in deutscher Sprache vorstellen.

Es geht um sehr wichtige Themen rund um Lügen, Medienlügen, Manipulation des Holocaustes, Demodernisierungszwänge, Gespenster und falsche Aussagen…. und vor allem um die Hetze gegen den Iran im Westen.

Iran will keine Atombombe und will auch niemanden damit zerstören, so Prof. Rabkin.

Dagegen ist das zionistische Israel eine Atommacht im vorderen Orient.

Viele Juden widersetzen sich dem zionistischen Israel.
Und viele Nichtjuden widersetzen sich dem zionistischen Israel.
All diese sind keine Antisemiten, sondern rationale Menschen, die sich für die Völkerverständigung und den Frieden in der Region einsetzen.
Die jüdische Gemeinde lebt friedlich im Iran.
Der Iran ist nicht antisemitisch, sondern einfach nur antizionistisch, was für uns vor allem Eines bedeutet, und zwar antikolonialistisch.

Der Iran widersetzt sich wie viele von uns, worunter auch der jüdische Prof. Rabkin, den Ungerechtigkeiten, die das zionistische Israel den Palästinensern zugefügt hat, die für den Holocaust bezahlen, den sie keineswegs zu verschulden haben.

In diesem Zusammenhang möchte ich erneut auf das Gedicht von Erich Fried “Höre Israel” hinweisen, das er 1967 verfasste. 

dankend

Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.


Netanyahu
ist der „richtige Mann“, um vor dem US-Kongress über den Iran zu sprechen
Artikel von Prof. Yakov Rabkin
Global Research, 3. März 2015
Deutsche Übersetzung von Dr. phil.
Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.


Der israelische Ministerpräsident verfügt über die besten Voraussetzungen,
um vor dem US-Kongress die sogenannte Gefahr eines atomaren Iran zu erläutern.
Schlussendlich waren es ja Israel und seine Verbündeten in Washington, welche
die Angelegenheit von Anfang an fabriziert hatten. Der Versuch einer
glaubwürdigen Erklärung dieser Behauptung obliegt somit Herrn Netanyahu, obwohl
sogar die US-, europäischen und israelischen Geheimdienste die gemeinsame
Ansicht vertreten, wonach der Iran gar nicht versucht, Atomwaffen herzustellen.
So mancher erinnert sich vielleicht daran, dass die Behauptungen, Irak hätte
Massenvernichtungswaffen, hauptsächlich aus denselben Reihen stammten, die der
rechten israelischen Likud-Partei nahestehen.

Die Rolle dieser Likud-Lobby war zukunftsweisend in der Anfachung der Hetzkampagne
gegen den Iran. Während eines AIPAC-Treffens im Frühjahr 2006 wurde Iran zu
einem Sonderziel gemacht, und zwar mit riesigen abwechselnden Clips von Adolf
Hitler und seiner Anklagen gegen die Juden und dann des iranischen Präsidenten Mahmoud
Ahmadinejad mit seiner Drohung „Israel von der Landkarte tilgen zu wollen”. Die
Show endete mit einem verblassten Post-Holocaust-Gelöbnis „Nie wieder“. Über
Monate verteilte die Lobby anti-iranische Pressekits an 13.000 Journalisten in
den Staaten und bettete diese emotional geladenen Bilder dauerhaft in die
Mainstream-Medien ein.

Die iranischen Leader wurden regelmäßig als Holocaustverleugner dargestellt,
die drohen, Israel aus der Landkarte zu tilgen. Diese beiden Behauptungen
wurden in Tausenden von Tageszeitungen verbreitet, in denen der Iran als ein
roter Staat und eine Gefahr für den Weltfrieden dargestellt wurde. Sie wurden
auch genutzt, um Iran westliche Sanktionen aufzuerlegen, weil der Iran
angeblich versuchen würde, Atomwaffen herzustellen. Millionen Iraner leiden
unter diesen Sanktionen, und viele mehr könnten unter einer militärischen
Intervention leiden, die in Tel Aviv und Washington noch auf dem Tisch bleibt.
Deshalb müssen die Behauptungen, die iranischen Entscheidungsträger seien
irrationale Judenhasser, näher untersucht werden.

Die Angelegenheit des iranischen Atomprogramms erfordert eine kühle Analyse. Denn
die Zusammenführung von Israel und Zionismus mit den Juden und dem Judentum hat
schon lange die rationale Auseinandersetzung zum Thema des Nahen Osten
erstickt. So werden Israelkritiker, unabhängig davon, ob sie Juden sind oder
nicht, dauernd des Antisemitismus beschuldigt. Diese Anschuldigungen haben die
internationalen Beziehungen in größerem Umfang beeinflusst. Die „iranische
Atombombe“ ist nur ein Beispiel. Netanyahu kommt nach Washington und gibt vor,
im Namen des Weltjudentums zu sprechen, obwohl er nichts als ein gewählter
Vertreter des israelischen Staatsbürgertums ist, von dem mindestens ein Drittel
keine Juden sind.

Holocaustverleugner

Zu den Teilnehmern der internationalen Holocaust-Konferenz, die der ehemalige
iranische Präsident vor ungefähr einem Jahrzehnt einberufen hatte, zählten
einige bekannte Holocaustverleugner sowie schwarz gekleidete orthodoxe Juden,
die über das Massaker ihrer Verwandten durch die Nazis sprachen. Es ist von
geringem Interesse, darüber zu diskutieren, ob Ahmadinejad die Wahrheit des
Holocaust leugnet oder nicht, da er nicht mehr an der Macht ist. Es stellt sich
jedoch die Frage, warum wir dazu neigen, die Verleugnung des Holocausts so
schwerwiegend zu erachten. In der Tat würde einem Verleugner des Massakers von
Hunderttausenden von Juden in der Ukraine im 17. Jahrhundert oder der
Vertreibung der Juden aus Spanien im 15. Jahrhundert nicht mehr Bedeutung
geschenkt als einem, für den die Welt eine Scheibe ist. Es sind nicht nur die
Unmittelbarkeit und Größenordnung des Holocaust, sondern die Verwendungen
seines Gedächtnisses durch die Zionisten, die den Holocaust einzigartig
gestalten.
Die iranischen Führer waren nicht die ersten, die den Preis für die Errichtung
des israelischen Staates für die Palästinenser (Muslime, Christen und auch
Juden), die für das Verbrechen in Europa durch die europäischen Nazis gegen die
europäischen Juden bezahlen mussten, verurteilten. Unabhängig vom Wert dieses
Einwandes: es handelt sich nicht um die Verleugnung des Holocausts, aber eher
um einen Einwand gegen die Nutzung dieser Tragödie als Werkzeug zwecks
Legitimierung des Zionismus und der dauernden Enteignung der Palästinenser von
Seiten Israels.
Moshe Zimmermann, Professor für deutsche Geschichte und bekannter israelischer
Intellektueller, meint hierzu:

„Die Schoah [der Holocaust] wird oft
instrumentalisiert. Um es zynisch zu formulieren, kann man sagen, dass die Schoah
zu den wertvollsten Objekten gehört, um die Öffentlichkeit und vor allem das
jüdische Volk innerhalb und außerhalb Israels zu manipulieren. In der
israelischen Politik dient die Schoah dem Beweis, dass ein unbewaffneter Juden
einem toten Juden entspricht“.
Die politischen Nutzungen des
Nazi-Völkermordes sind üblich. Der ehemalige israelische Erziehungsminister
behauptete, „der Holocaust wäre kein nationalistischer Wahnsinn, der einmal
geschah und vorbeiging, sondern eine Ideologie, die es in der Welt immer noch
gibt und heute die Welt dazu führen könnte, Verbrechen gegen uns zu dulden“. Der
Holocaust hat nicht nur Israel eine äußerst überzeugende Existenzberechtigung
geliefert, sondern hat auch bewiesen, ein leistungsstarkes Mittel der
Unterstützung zu sein. Ein israelischer Parlamentarier hat dies ganz offen
gesagt:
„Sogar die besten Freunde des
jüdischen Volkes unterließen es, wesentliche rettende Hilfe jeglicher Art für
das europäische Judentum bereitzustellen und kehrten den Schornsteinen der
Todeslager den Rücken… daher ist die gesamte freie Welt, vor allem in diesen
Tagen, dazu aufgerufen, Reue zu zeigen… indem sie Israel diplomatische, defensive
und wirtschaftliche Hilfe anbietet.“
Die Holocaustindustrie von Norman
Finkelstein dokumentiert ergiebig, wie das Gedächtnis des Nazi-Völkermordes zu
politischen Zwecken wirksam genutzt werden kann. Über Jahrzehnte diente der Holocaust
als Überzeugungsmittel in den Händen der israelischen Außenpolitik, um jegliche
Kritik im Keim zu ersticken und Empathie für einen Staat zu erwecken, der sich
als kollektiver Held von sechs Millionen Opfern versteht. Netanyahu nimmt in
seinem Irandiskurs regelmäßig Bezug auf den Holocaust. Er behauptet, dass die
hypothetische iranische Atombombe eine „Existenzbedrohung“ darstellt. In einem
seltsamen Gedankensprung nennt er Israel sogar „den einzigen sicheren Ort für
die Juden“. Infolge der jüngsten Anschläge gegen Juden in Paris und Kopenhagen
rief Netanyahu erneut die europäischen Juden auf, ihre Länder zu verlassen und
nach Israel zu kommen, das er als ihre „wahre Heimat“ bezeichnete. Seine
Aufrufe bezüglich eines „atomaren Holocaust“ durch den Iran schmeicheln zwar sehr
seine Wählerschaft, gelten aber außenpolitisch nicht als rationales Argument.

Israel von der Landkarte tilgen

Viel wurde bereits über eine andere Behauptung geschrieben, wonach der Iran
beabsichtigte, „Israel von der Landkarte zu tilgen“. Juan Cole und andere haben
bereits aufgezeigt, dass es sich um einen Übersetzungsfehler handelt und das
Wort „Landkarte“ im Original gar nicht vorkommt. In der Tat handelte es sich
dabei um ein Zitat aus den alten antizionistischen Schmähreden von Ayatollah
Khomeini: Esrâ’il bâyad az sahneyeh roozégâr mahv shavad, was bedeutet: „Israel
soll aus der Seite der Zeit verschwinden“. Nachdem das falsche Gerücht „Israel
von der Landkarte tilgen“ um die Welt reiste und sich fest in der öffentliche
Wahrnehmung einnistete, nutzten es die zionistischen Hetzer der Kampagne gegen
den Iran einfach auch noch für andere Zwecke. Ein vor kurzem seitens des
Zentrums für öffentliche Angelegenheiten in Jerusalem (einer zionistischen
Denkfabrik, die besonders aktiv ist, die Kampagne gegen den Iran aufzuwirbeln)
veröffentlichter Iran-Bericht, übersetzt Khomeinis Zitat korrekt, aber besteht
immer noch darauf, es weise auf „Völkermord“ hin. Dieser letztere Begriff
gehört zu den beliebtesten in den neusten zionistischen Publikationen: derselbe
Bericht spricht von einem „misslungenen Völkermord verschiedener arabischer
Staaten und der Palästinenser gegen Israel“.

Die iranischen Führer haben in der Tat mehrmals dazu aufgefordert, die Probleme
der Welt, inklusive der Palästinenserfrage, durch Dialog zu lösen. Sie schlagen
unter anderem ein „freies Referendum vor, um eine Regierung auf dem Willen der
palästinensischen Nation aufzubauen, in der Palästinenser, inklusive Juden,
Christen und Muslime, das Wahlrecht erlangen“.

Nichts von alldem kann als
militärische Intervention oder als „Existenzbedrohung“ ausgelegt werden. Dies
erklärt vielleicht, weshalb es in den Mainstreammedien keine Beachtung findet:
denn moderate Behauptungen aus Teheran gelten nicht als „druckreif“.

Den iranischen Führern zufolge würde „das zionistische Regime genauso wie die
Sowjetunion sehr bald abgebaut und die Menschheit frei sein“. Genau wie die Sowjetunion
friedlich zerlegt wurde, wird auch Israel aufgrund seiner internen Widersprüche
friedlich verschwinden. Genauso wie die Sowjetunion nicht unter den Atombomben
zerstört wird, so schlägt auch der Iran keine Gewalt für den Niedergang Israels
vor. Denn diese Lösung wäre auch sehr unwahrscheinlich, da Israel als einzige
Atommacht der Region eine überwältigende militärische Überlegenheit gegenüber
seinen Nachbarn aufweist.
Die Aufforderung der Beendigung des Zionismus bedeutet nicht die Zerstörung
Israels und seiner Bevölkerung. Nach Jonathan Steel von The Guardian handelt es
sich hier lediglich um einen „vagen Zukunftswunsch“. Dieser Wunsch bedeutet
nicht mehr als ein Gebet „für den friedlichen Abbau des zionistischen Staates“,
den die Mitglieder der jüdischen antizionistischen Gruppe von Neturei Karta
regelmäßig aussprechen. Denn die jüdische Liturgie strotzt von ziemlich
aggressiven Haltungen gegen diejenigen, die Gott nicht anerkennen und Böses
tun. Wir Juden rezitieren z.B. in den festlichen Gottesdiensten den folgenden
Satz: u’malkhut ha’rishaa kula ke’ashan tikhleh (Und das Königreich des Bösen
wird wie Rauch schwinden). Wortwörtlich meint dies wirklich die Annihilierung
und Zerstörung eines ganzen Landes, d.h. die Tilgung des „Königreiches des
Bösen“ und jeglicher böser Handlungen, die an jeglichem Ort verübt werden. Es
geht hier nicht um einen Menschen im Besonderen, sondern um Tausende
Unschuldiger.

Obwohl Millionen Juden jährlich diesen Satz rezitieren, bedeutet dies nicht
Atomkrieg. Wenn wir aber die Juden dämonisieren wollen, könnten wir diese
Behauptung verwenden und in eine grundlose Anklage verwandeln, nach der die
Juden ganze Länder in Luft auflösen möchten. Einige säkulare Israelis haben
dieses traditionelle Gebet als einen Aufruf zur Zerstörung der säkularen Mehrheit
der israelisch-jüdischen Gesellschaft ausgelegt. Deshalb vermeidet die jüdische
Tradition die wortwörtlichen Interpretationen der religiösen Texte und stützt
sich auf die Auslegungen der Rabbiner, auch wenn sie manchmal weit hergeholt
erscheinen. So legen die Rabbiner zum Beispiel den biblischen Grundsatz „Auge
um Auge“ als eine Verpflichtung aus, eine finanzielle Gegenleistung zu
erbringen, um dem Schuldigen das Auge zu verschonen. Der oben angeführte
liturgische Text ist das Beispiel einer religiösen Rhetorik, die auf
aussagekräftigen Metaphern basiert, während sie den Wunsch zur Sprache bringt,
die Welt ohne das Böse zu sehen.

Um zum Punkt zu kommen: der letzte iranische Angriff gegen ein anderes Land
ereignete sich ungefähr vor drei Jahrhunderten. Und dies trifft nicht gerade
auf Israel und die USA zu. Den Iran als schuldiger anzusehen als Israel, wobei
von Israel bewiesen ist, dass es Atomwaffen besitzt, ist ein unvereinbares
Überbleibsel der kolonialistischen Mentalität.

Übrigens bekämpft Iran aktiv den IS („Islamischen Staat“), der seine Brutalität
durch wortwörtliche Auslegungen des Korans rechtfertigt. Die Juden im Iran
praktizieren weiterhin das Judentum mit wenig Einmischung von Seiten der
iranischen Behörden und verpflichten sich weiterhin, im Lande zu bleiben, in
dem sie seit Jahrtausenden leben. Und dies erfolgte, während antizionistische
iranische Führer betonten, sie wären nicht anti-jüdisch. Während die iranischen
Behörden anti-jüdisch, hätten sie wohl eher die Juden vor Ort belästigt als die
Atommacht Israel zu provozieren.

Die Behauptung Netanyahus, er würde „im Namen der Juden“ sprechen, schadet den
Juden und vor allem den iranischen Juden. Denn einige Zionisten bleiben
unnachgiebig und gehen so weit, dass sie den iranischen Juden vorwerfen, dass
sie schon seit langer Zeit nicht nach Israel ausgewandert wären. Diese Haltung
stellt die größte und wahrscheinlich auch älteste jüdische Gemeinde der
islamischen Welt bloß, denn die Existenzberechtigung Israels ist natürlich oft
wichtiger als das Wohlergehen und das wahre Überleben der jüdischen Gemeinden.
Die Zionisten beziehen sich auf die Juden außerhalb Israels als potentielle
Einwanderer oder temporäre Vermögenswerte, um die Interessen Israels zu
vertreten.

Jüdische Unstimmigkeit
Der Auftritt Netanyahus vor dem US-Kongress und seine aktuelle Kampagne gegen
den Iran führten zu einer tiefen Spaltung zwischen den Juden, die Israel
bedingungslos unterstützen und  den
Juden, die dem Zionismus und den Handlungen des Staates Israel widersprechen
oder diesen bzw. diese in Frage stellen. Die öffentliche Debatte über den
Stellenwert Israels in der jüdischen Kontinuität ist innerhalb und außerhalb
Israels offen und aufrichtig geworden. Viele sehen die Zukunft des Staates
Israels als die eines Staates seiner Bürger, Juden, Muslimen, Christen und
Atheisten, mehr als die eines Staates, der für das Weltjudentum aufgebaut und
geführt wird.

Während es ziemlich wenige Juden gibt, die öffentlich in Frage stellen, ob das
chronisch unsichere Israel wirklich „gut für die Juden ist“, bedauern viele,
dass der militante Zionismus die ethischen Werte des Judentums zerstört und die
Juden innerhalb und außerhalb Israels gefährdet. Der Film Munich von Steven Spielberg fokussiert z.B. auf den moralischen
Preis des chronischen Vertrauens Israels auf die Machtausübung. In einer Szene,
in der ein Mitglied der israelischen Eingreifgruppe die palästinensischen
Diaspora-Aktivisten jagt, wird ihm das Ganze zuwider. Und er spricht: „Wir sind
Juden. Juden tun nichts Böses, nur weil unsere Feinde Böses tun… wir gelten als
rechtschaffen. Das ist etwas Schönes. Das ist jüdisch…“ Während Schindler’s List die physische Bedrohung
der Juden aufgreift, zeigt Munich die
Bedrohung ihres geistigen Überlebens. Kein Wunder, dass die Likud-Wählerschaft
in Amerika den jüdischen Regisseur und seinen Film besudelte, bevor er
überhaupt an die Öffentlichkeit gelangte. Sie geißelte auch verschiedene vor
kurzem veröffentlichte Bücher (Prophets Outcast, Wrestling with Zion, Myths of
Zionism, The Question of Zion)  dafür,
dass sie sich mit demselben wesentlichen Konflikt zwischen dem Zionismus und
den traditionellen jüdischen Werten befasst. Netanyahus Rede vor dem
US-Kongress verschärfte diesen internen jüdischen Konflikt noch mehr.

Die Likud-Lobby behauptet regelmäßig, dass die Juden, die es wagen, Israel zu
kritisieren, Israels „Existenzrecht“ bedrohen und daher Antisemitismus schüren.
Dies führte dazu, dass eine Anzahl berühmter Juden in Großbritannien, Kanada
und den USA ihre Meinung äußerten, die zu einer offenherzigen Debatte über
Israel in den Mainstream-Medien und sogar in den konservativen Publikationen
führte. Die mit Sicherheit Israel-freundliche Zeitschrift Economist hat eine Studie über den „Staat der Juden“ und ein
Editorial veröffentlicht, in dem sie die breite Masse der Diaspora-Juden
auffordert, von der von vielen jüdischen Organisationen vertretenen Haltung
Abstand zu nehmen, nach der „mein Land immer Recht hat, ob es nun Recht oder
Unrecht hat“. Dies schwächt sicherlich das Bild der Juden als einer vereinten
Gruppe um die israelische Flagge.

Die Bemühung um die jüdische Befreiung vom Staat Israel und seiner Politik hat
alte Spaltungen überbrückt und so auch neue verursacht. So lobte ein
ultra-orthodoxer Israelkritiker, der sich normalerweise dem Reformjudentum
widersetzt, einen Reformrabbiner, der Folgendes meinte: „Wenn sich die
jüdischen Unterstützer Israels im Ausland nicht gegen die katastrophale Politik
wehren, dann kann weder die Sicherheit der Bürger gewährleistet noch die
richtige Umgebung geschaffen werden, um einen gerechten Frieden mit den
Palästinensern anzustreben und zu erreichen… denn dann verraten sie die
jüdischen Werte von Jahrtausenden und handeln gegen die eigenen langfristigen
Interessen Israels“.

Viele Juden und Israelis glauben,
dass die Likud-Lobby, eine gemeinsame Bemühung rechter Christen, Juden, Muslime
und Atheisten, eine wesentliche Bedrohung für die langfristige Sicherheit
Israels darstellt, da sie die aggressiven israelischen Politiker ausnahmslos unterstützt
und jene Israelis untergräbt, die sich für die Versöhnung in der Region
einsetzen. Die Lobby ist auch eine mächtige Quelle des Antisemitismus, da sie
oft als „jüdisch“ angesehen wird, was den falschen Eindruck erweckt, dass die
Juden die amerikanische Außenpolitik diktieren, indem sie sie nach Rechts
verschieben. In der Tat hat die große Mehrheit der amerikanischen Juden Barak Obama
gewählt. Während die derzeitigen israelischen Leader und deren amerikanische
Verbündete weiterhin die Welt gegen den Iran aufhetzen, haben verschiedene
Friedensorganisationen in Israel und in verschiedenen jüdischen
Diasporagemeinden Erklärungen veröffentlicht, in denen sie die anti-iranische
Kampagne und das Verhalten Netanyahus verurteilen.

Wo nun kein arabischer Staat Israel militärisch bedroht, werden viele Israelis
im Glauben gelassen, Iran würde eine Bedrohung für sie darstellen. Gleich neben
dem Iran, der mehrmals jegliches Interesse zurückgewiesen hat, Atomwaffen zu
erwerben, liegt Pakistan, ein unstabiles Regime mit einer starken
islamistischen Bewegung, inklusive Gruppierungen von Al-Qaeda, und einem echten
und nicht imaginären Atomwaffenarsenal. Während Pakistan Israel nicht bedroht
hat, wird aber die „Existenzbedrohung“ kein Ende haben, wenn der zionistische
Staat so weitermacht und sich weiterhin über die Menschen in der gesamten
Region hinwegsetzt, indem er den Palästinensern die Gerechtigkeit verwehrt.

Um genau zu sein…

Die beiden emotional geladenen Behauptungen, die laut gegen den Iran erhoben
wurden, haben die westlichen Medien beherrscht. Eine andere Aussage, wonach der
Iran ein Gesetz erlassen hätte, nach dem alle Juden gelbe Symbole tragen
sollten, wie Toronto National Post vor einigen Jahren berichtete, verstärkte
noch mehr das Bild eines Nazi-Deutschland-ähnlichen Irans. Obwohl der Bericht
am nächsten Tag widerrufen wurde, erinnern sich mehr Menschen an die verurteilenden
Nachrichten als an den darauffolgenden Widerruf seitens der Tageszeitung, deren
Besitzer in der kanadischen Likud-Wählerschaft tätig sind.
Diese Fehlinformation unterstützt ohne Zweifel die öffentliche Meinungsbildung hin
zu einer militärischen Intervention durch die USA oder Israel gegen den
erdölreichen Iran. Es handelt sich hierbei um ein besorgniserregendes Remake
der Furcht vor den illusorischen irakischen Massenvernichtungswaffen, die einen
massiven militärischen Angriff gegen jenes unglückliche Land auslöste, dessen
Bevölkerung über Jahrzehnte unter den westlichen Sanktionen litt. Saddam
Hussein wurde gebührend als eine weitere Verkörperung Hitlers dargestellt, und
erneut wurde der Geist des atomaren Holocausts beschworen.

Israel besitzt Hunderte erwiesener Atomwaffen und weigert sich, im Unterschied
zum Iran, die Atomwaffensperrverträge zu unterzeichnen. Der Iran hatte nie die
Absicht erklärt, Atomwaffen herzustellen. Vertrauenswürdigen israelischen
Experten zufolge kann der Iran keine militärische Atomkraft über 5-10 Jahre
erwerben und falls und wenn er sie erwirbt, so tut er es, um sich gegen die
externen Angriffe Israels zu wehren und sicher nicht, um Israel anzugreifen.

Die iranischen Leader werden falsch dargestellt als irrsinnige Extremisten, die
über unbegrenzte Macht verfügen und auch irrational handeln könnten. Daraus
folgt, dass sie um jeden Preis gestoppt werden müssen. Dies ist zu einem Mantra
geworden, nicht nur für die israelischen rechten Politiker, wie den Rhetoriker Netanyahu,
der zum Trotz der UN-Charta offenkundig droht, den Iran anzugreifen, sondern
auch für einige amerikanische Politiker, die ihn bewundern. Während das Weiße
Haus und die Experten der Außenpolitik und der Geheimdienste wissen, dass weder
Israel noch die USA in Gefahr vor einem iranischen Angriff sind, erscheinen
ihre rationalen Argumente weniger überzeugend als die pathetische Rhetorik. Die
USA haben bekanntlich geopolitische Interessen im Persischen Golf, aber die
Anklagen gegen den Iran, die auf der vorsätzlichen Zusammenführung zwischen
Israel und den Juden basieren, könnte die Art und Weise Washingtons, die
Außenpolitik zu gestalten, verhängnisvoll verdrehen.
Intellektuelle lieben Genauigkeit, und Politiker brauchen sie noch viel mehr,
weil man von ihnen erwartet, dass sie vorsichtig und vernünftig handeln. Der
Eingriff Netanyahus in die Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik ist Teil
eines langfristigen Versuches, die einsamen Interessen der Großmacht mit denen
des zionistischen Staates anzugleichen. Daher müssen seine Argumente aufmerksam
und ohne unangemessenes Pathos, da dieses sehr oft die Angelegenheiten
hinsichtlich Israels und seiner Nachbarn vernebelt, abgewogen werden. Über
Jahre haben sich westliche Staatskanzleien darum bemüht, Israel von der
militärischen Intervention gegen den Iran abzuhalten. Dafür wurde aber Israel
freie Hand gelassen, um mit den Palästinensern straffrei umzugehen. Die neue
„Existenzbedrohung“ durch die hypothetischen iranischen
Massenvernichtungswaffen haben Israels Zweck als „Waffenvernichtungswaffe“
schon gedient.
Das mächtige Wachstum des IS zeigt bildlich, was die Demodernisierung und die
nachfolgende Verzweiflung in jenem Teil der Welt anrichten können. Wir brauchen
nur auf Irak, Libyen und Syrien zu sehen, die alle drei von einer externen
militärischen Intervention betroffen sind, und die darauffolgende Herausbildung
des IS zu betrachten, um zu verstehen, dass die Destabilisierung eines Landes
oder einer Region weitreichende düstere Auswirkungen hat.  Der israelische Ministerpräsident beruft sich
auf die mutmaßliche iranische Bedrohung, um die iranische
Modernisierungspolitik zu verlangsamen oder rückwärtszufahren. Die
Zwangsdemodernisierung Iraks, Syriens und Libyens, der säkularsten und am
meisten gebildeten Länder der arabischen Welt, ist mit Sicherheit der
strategischen Position Israels in der Region zugutegekommen. Netanyahu muss nun
erklären, wie genau die Demodernisierung Irans den USA zugutekommen wird.

Yakov Rabkin ist Professor für Geschichte an der
Universität Montreal. ProMosaik e.V. hat bereits mit Prof. Rabkin
zusammengearbeitet.

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