General

Friedenserziehung im Koranunterricht


Im Bereich der
Friedenserziehung finde ich es im Koranunterricht sehr wichtig, die individuellen
und sozialen Fähigkeiten, die nach Wulf als Grundlage des friedlichen Handelns
als dynamischen Begriff gelten, mit dem Begriff des Friedens im Koran zu
integrieren und diese Fähigkeiten positiv in den Kindern zu fördern. Die
Kompetenzen, die in die Friedenserziehung einfließen können, sind im
Wesentlichen folgende:
*Das Erkennen des eigenen Selbst:
Hiermit meint man
grundsätzlich die Sensibilität im Umgang mit und in der Wahrnehmung individueller
Gefühle und Einstellungen auch in Bezug auf andere und die Analyse und
Darstellung innerer psychischer Bedingungen. Im Koranunterricht steht natürlich
das Sprechen über sich selbst als muslimisches Kind im Vordergrund, um
Konflikte zu bewältigen und Friedenskompetenz zu üben. Es geht somit um die
Wahrnehmung der eigenen interkulturellen und interreligiösen Erfahrung und über
diese hinaus auch um das Verständnis der anderen Kinder im Korankurs und
außerhalb, um Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen, sondern diese aktiv
aufzuarbeiten. Denn nur durch die eigene, starke Identitätsbildung werden das
Verständnis des und der Zugang zum Fremden auf eine friedliche Art und Weise möglich.
*Erkennen der individuellen und sozialen Abhängigkeiten:
Unter diesem Begriff
versteht man die Sensibilität in der Wahrnehmung der strukturellen,
gesellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse, die nicht als Konfliktpotenzial,
sondern als Quelle des inneren Gleichgewichts erlebt werden sollen. Es geht
insgesamt um das Bewusstsein der eigenen Lebenssituation als Muslim(a) und um
die Erörterung des sozialen Beziehungsgefüges innerhalb der Ummah. Diese
Wahrnehmung kann schon ab dem Grundschulalter im Koranunterricht gefördert
werden. Der Koranlehrer bzw. die Koranlehrerin soll den Kindern klarmachen,
dass eine Gemeinde und Gesellschaft auf Beziehungen und auch Abhängigkeiten
aufbaut, die keineswegs als negativ gelten. In diesem Netzwerk von Verbindungen
und manchmal auch Konflikten soll das Kind im Korankurs anfangen, seinen
eigenen Platz zu finden, indem es sich im Verhältnis zur eigenen Familie und
Kultur, den anderen muslimischen Kulturen in der Koranschule und der deutschen
Kultur in der Schule und Gesellschaft außerhalb der Koranschule definieren
lernt. Denn Selbstdefinition ist ein Garant des Friedens.
*Rollendistanz:
Die Fähigkeit, sich von
einmal eingenommenen sozialen Rollen kritisch zu distanzieren, beziehungsweise
in der eigenen Rolle eine individuelle Distanz zum Ausdruck zu bringen oder
deren normative Anforderung kritisch in Frage zu stellen und gegebenenfalls zu
ändern, ist auch wesentlich für die Förderung des friedlichen Handelns in
Gemeinschaft und Gesellschaft.
*Empathie:
Die Fähigkeit, sich in die
Erwartungen des sozialen Gegenübers einzufühlen und auf diese einzugehen kann im
Korankurs sehr gut in der Paar- und Gruppenarbeit der Kinder erlernt und
verstärkt werden. Diese Sozialformen werden oft eingesetzt, um vom
Frontalunterricht Abstand zu nehmen. Es geht vorwiegend um Üben von Toleranz,
Verständnisfähigkeit und Geduld in der Arbeit mit anderen Schülern und
Schülerinnen und darum, moralische Werte wie Bescheidenheit zu erlernen und im
Labor des Korankurses zu üben. All diese Kompetenzen fließen dann in die
übergeordnete Friedenskompetenz ein.
*Ambiguitätstoleranz:
Die Ambiguitätstoleranz
meint die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Erwartungen
anderer wahrzunehmen und zu ertragen, auch wenn absehbar ist, dass die eigenen
Bedürfnisse in nur geringem Maße befriedigt werden können, um einen Zustand des
allgemeinen Friedens zu erzielen. Dies erfolgt vor allem in interkulturellen
Konfliktsituationen, die schon in der Klasse vorkommen könnten. Wiederum möchte
ich betonen, wie wichtig der Korankurs als Labor sozialen Handels im Sinne des
Friedens ist. Das Kind soll sich dessen bewusst sein, dass es nicht immer die
eigenen Ideen und Bedürfnisse durchsetzen kann und darf.
*Kommunikative Kompetenz:
Die Fähigkeit, die eigenen
Bedürfnisse und Interessen gegenüber anderen ange-messen darstellen zu können (Identitätsdarstellung),
also die Fähigkeit, weder völlig in den Erwartungen anderer aufzugehen, noch
die Erwartungen anderer vollkommen zu ignorieren (Kommunikationsabbruch),
sondern in einem Prozess der Verständigung ein individuelles Gleichgewicht
zwischen unterschiedlichen Standpunkte herzustellen, ist ausschlaggebend für
den friedlichen Dialog mit den anderen Kulturen und Religionen. Kommunikative
Kompetenz schließt  verschiedene
Standpunkte ein, die im Rahmen des Dialogs artikuliert werden und nicht zu
einer Distanzierung oder zu einem Abbruch einer sozialen Beziehung führen.
Dieser Polylog ist das Ziel des steilen Weges, den auch die Koranschule mit den
Kindern beschreiten muss. Aus diesen Voraussetzungen wird ersichtlich, wie
wichtig auch die fächerübergreifende und interreligiöse Friedenserziehung sind. 
Nicht nur im Islam, sondern
auch im Judentum und Christentum und in den anderen Weltreligionen gibt es eine
lange Geschichte der Bemühungen um den Frieden. Es handelt sich dabei meist um
eine stumme Geschichte, im Gegensatz zur lauten Geschichtsschreibung der Kriege
und Invasionen.
Wie der norwegische
Friedensforscher Johan Galtung zum Ausdruck bringt, ist ein negativer
Friedensbegriff im Sinne einer Abwesenheit von Krieg und direkter Gewalt nicht
ausreichend, um eine Kultur des Friedens hervorzubringen. Es bedarf hier meiner
Meinung nach einer synergetischen Bemühung aller Kulturen und Religionen zur
Umsetzung eines positiven Friedensbegriffes, wie nach der Anschauung des
Philosophen Spinoza, der hierzu schreibt:
„Friede ist nicht Abwesenheit von Krieg. Friede ist eine Tugend, eine
Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Vertrauen,
Gerechtigkeit“.
Diese moralische Dimension
des Friedens kommt auch im Koran sehr deutlich zum Ausdruck. Diese Anschauung
soll dem Koranlehrer/der Koranlehrerin als Ausgangspunkt für die didaktischen
Bemühungen in diesem Bereich dienen. Frieden ist nicht ein starres Konzept,
sondern die moralische Fähigkeit der Friedfertigkeit, d.h. der Kompetenz,
Frieden durch das eigene Handeln hervorzubringen, indem man sich als Geschöpfe
Allahs (swt) sieht und in diesem Sinne handelt. Die Transzendenz gilt im Islam
und auch in den anderen monotheistischen Religionen als Fundament des
Friedensbegriffs.
Eine Friedenserziehung, die
sich im Rahmen des Koranunterrichts auf reine Wissensvermittlung beschränkt,
reicht nicht aus. Man soll sich vielmehr intensiv mit den Ursachen beschäftigen,
die den Menschen dazu führen, sich gegen den Frieden zu entscheiden und gegen
den Frieden zu handeln und Frieden als Handeln lehren.
Die Kinder sind gerade
deshalb die besten Adressaten einer dynamischen Friedenserziehung in unserem
Zeitalter voller Kriege und Konflikte, weil sie kreativ sind. Denn, wie Wulf so
schön sagt, ist es ohne kreatives Denken nur schwer möglich, Strategien und
Lösungen für den Aufbau eines dauerhaften Friedens zu entwickeln.  
Diese Kreativität der
SchülerInnen kann der Koranlehrer/die Koranlehrerin positiv einsetzen und
fördern, um die Kernziele der Friedenserziehung zu erreichen: die Vermittlung
von Friedenskompetenz als Sachkompetenz, die Hinführung zur individuellen
Friedensfähigkeit, die eine starke persönliche Identität im Islam voraussetzt,
und die Befähigung zum Handeln im Namen des „kreativen“ und „gestalteten“
Friedens in Schule und Gesellschaft.
Friedfertigkeit und
Friedenskompetenz kann man sehr wohl lehren und lernen. Eng mit ihnen verbunden
ist die interkulturelle Kompetenz, deren Entwicklung als Kern der
Friedenserziehung angesehen wird, da man durch kommunikative Strategien der
Konfliktlösung die Gewalt vorbeugen kann.
Friedenserziehung ist immer
wertgebunden und kann daher nicht wertneutral außerhalb der eigenen
Weltanschauung praktiziert werden. Dies ist von wesentlichem Belang, wenn es um
die Friedenserziehung innerhalb des Islam geht. Somit werden die muslimischen
Kinder ihr kreatives Potential und ihre Konfliktbereitschaft im islamischen
Kontext entwickeln. Wiederum geht es schlussendlich um eine interreligiöse
Umsetzung der Friedenserziehung durch die Korandidaktik, einerseits mit der
Hervorhebung der besonderen islamischen Grundsätze der Friedenserziehung und
andererseits auch der Erörterung der Gemeinsamkeiten unter den Weltreligionen,
wenn es um Friedenserziehung und das Ideal der seelischen sozialen
Friedfertigkeit geht. 
Dr. phil. Milena Rampoldi – ProMosaik e.V.