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ProMosaik interviewt Prof. Mohammed Khallouk


Guten Abend aus der Redaktion von ProMosaik e.V.,
wir freuen uns heute ganz besonders, Ihnen das
Interview unserer Redaktion mit dem Politologen und Islamwissenschaftler Prof.
Mohammed Khallouk vorstellen zu dürfen. Wir hatten schon vor einigen Tagen die Rezension
seines Buches „In Deutschland angekommen: Marburg“ vorgestellt. Prof. Khallouk
lehrt heute
am College of
Sharia and Islamic Studies der Qatar University.
Sein letztes Werk ist “Salam Jerusalem”,
erschienen 2015 beim Rimbaud Verlag Aachen.



Wir haben Prof. Khallouk über den interreligiösen
Dialog, den Konflikt zwischen Palästina und Israel, über den islamischen
Fundamentalismus, seine Tätigkeit beim ZMD und seine Bücher befragt. Möchte
Bruder Mohammed nochmal meinen Dank für seine Zeit aussprechen. Ohne seine
Antworten vorwegnehmen zu wollen, übergebe ich ihm gleich das Wort.
Freue mich auf Ihre Kommentare und Anregungen zu
diesem so vielfältigen und interessanten Interview.
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi – ProMosaik e.V. 
Dr.
phil. Milena Rampoldi: Du giltst als ein aufgeklärter Muslim und ein Mann des
Dialogs zwischen dem Islam und dem Westen. Welche Grundregeln hat für dich ein
gesunder Dialog zwischen dem Islam und dem Westen?
Prof.
Mohammed Khallouk: Beide Dialogpartner sind verpflichtet, ein Basiswissen über
die jeweils andere Zivilisation in den Dialog mitzubringen. Westliche
Dialogteilnehmer sollten bereits im Vorhinein Kenntnisse über die Grundlagen
des Islam und den Alltag in islamischen Gesellschaften besitzen. Ebenso
verlangt es von muslimischen Dialogteilnehmern bereits vor dem Eintritt in den
Dialog sowohl über die theoretischen Grundlagen der westlichen Zivilisation als
auch über die heutige westliche Gesellschaft informiert zu sein. Der Dialog
sollte frei von Missionierungsabsichten und ideologischer Voreingenommenheit
sein. Aktuelle politische Konflikte und ihre Verantwortlichkeiten sowohl auf
westlicher Seite als auch Seitens bestimmter Verantwortungsträger in der
Islamischen Welt dürfen nicht ausgespart werden. Hierbei müssen besonders
Konflikte im Vordergrund stehen, die von den jeweiligen Konfliktparteien
religiös instrumentalisiert werden. Beide Dialogpartner sollten sich darüber
einig sein, dass eine gemeinsame friedliche Zukunft ihrer Zivilisationen nur
bei gegenseitiger Toleranz und gleichrangiger Partizipierung an Wohlstand und
Menschenrechten zu erreichen ist.  Der
Dialog sollte auf allen Ebenen von der Schule über die Universität, bei Religionsautoritäten
und Intellektuellen bis hin zur politischen Führungsebene stattfinden. Gefordert
ist eine Bereitschaft zur doppelten Kritik, die beinhaltet, dass
Verhaltensweisen offen benannt werden, die einem respektvollen Miteinander
entgegenstehen. Wenn in westlichen Medien beispielsweise der Prophet Mohammed
durch „Karikaturen“ verunglimpft wird, sind die westlichen Dialogteilnehmer
aufgefordert, dies als Hindernis für einen gesunden Dialog herauszustellen,
ebenso wie muslimische Dialogpartner es als dialogbehindernd aufzeigen sollten,
wenn der Westen pauschal als „areligiös“ verunglimpft wird.

Quelle:
kirche-koeln.de
 



Dr.
phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist eine autobiographische Verarbeitung der
eigenen Migrationserfahrung und warum?
Prof.
Mohammed Khallouk: Sie hilft bei der Reflexion der eigenen Konfrontation mit
der „fremden Zivilisation“. Man kann sich bewusst werden, in wie weit man
selbst bereits Teil der Aufnahmegesellschaft geworden ist. Zudem setzt man sich
kritisch mit den häufig anzutreffenden Zuschreibungen innerhalb der
Aufnahmegesellschaft zu Immigranten auseinander. Wichtig ist aber auch, dass
man nicht nur bei der eigentlichen Migrationserfahrung stehen bleibt, sondern
sich auch mit dem Alltag im „neuen“ Lebensumfeld auseinandersetzt. Dies versuche
ich im Buch „In Deutschland angekommen Marburg“ in literarischer Form zu
leisten. Deshalb habe ich ausschließlich über das Leben eines marokkanischen
Immigranten in Marburg geschrieben und die Erfahrungen vor der Migration – wenn
überhaupt – nur in der Konfrontation des Protagonisten mit der deutschen
Gesellschaftsrealität präsentiert. Für den Kulturdialog ist diese
Autobiographie insofern von Relevanz, als sich die Aufnahmegesellschaft dadurch
ebenso zum Hinterfragen der eigenen Wahrnehmung herausgefordert sieht, wie es spätere
Immigranten dabei unterstützt, ihr Bild von der neuen Umgebung von Stereotypen
zu befreien.


Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche Möglichkeiten siehst du in dieser
schwierigen Epoche für den Dialog zwischen Palästinensern und Israelis?
Prof.
Mohammed Khallouk: Der Dialog sollte grundsätzlich auf zwei Ebenen verlaufen.
Zum einen erfordert es einen Dialog zwischen den politischen Eliten. Dieser führt
jedoch kaum ohne eine vermittelnde dritte Partei zu Ergebnissen, weil die
Führungen vorrangig an der Popularität unter der eigenen Bevölkerung
interessiert sind. Besonders wichtig ist nicht zuletzt deshalb die zweite Ebene
des Dialogs, die von der aktiven Civil Society ausgeht, wo bereits von vorn
herein keine Machtbeziehung besteht, man sich auf Augenhöhe gegenübertreten
kann und mit den Wahrnehmungen der anderen Konfliktpartei intensiv auseinandersetzen.
Diese zweite Ebene ist ebenso bedeutsam, weil sie dazu beitragen kann, die kollektiven
Skrupel voreinander abzubauen und die eigene stereotypisierte Sicht auf das
andere Volk kritisch zu hinterfragen. Beide Konflikteben funktionieren aber nur
ohne Aussparen der Kernfragen des Konfliktes – nämlich des künftigen Statusses
Jerusalems, dem Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge und der Zukunft der
jüdischen Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten. Nur wenn beide
Seiten das Interesse erkennen lassen, sich in die Perspektive des jeweils
Anderen hineinzuversetzen und seinen Grundanliegen entgegenzukommen, dient der
Dialog nicht nur dem Selbstzweck, sondern kann auch zur Versöhnung beider
Nationen beitragen.


Dr. phil. Milena Rampoldi: Du hast dich auch sehr intensiv mit dem islamischen
Fundamentalismus auseinandergesetzt. Welche sind für dich die Hauptgründe der
Radikalisierung von Muslimen einerseits in der Heimat und andererseits im
westlichen Ausland?
Prof.
Mohammed Khallouk: Einer der wesentlichen Ursachen für die Radikalisierung von
Muslimen liegt darin, dass man seine Religion und seine Zivilisation vom Westen
als benachteiligt und zurückgesetzt wahrnimmt. Dieses Bewusstsein entsteht
besonders dadurch, wenn Verantwortliche aus Politik und Medien im Westen, aber
auch westliche Intellektuelle wie Sloterdijk oder Enzensberger dem Islam
pauschal Rückwärtsgewandtheit und eine Inkompatibilität mit modernem
demokratischem Bürgersinn  unterstellen. Bei
Muslimen in westlichen Staaten kommen häufig noch persönliche
Erniedrigungserfahrungen hinzu, beispielsweise bei Frauen, die aufgrund ihres
Kopftuchs am Zugang zum Arbeitsmarkt gehindert werden. Diese Erfahrungen führen
dazu, dass man sich mit der westlichen Demokratie nicht zu identifizieren in
der Lage ist und in einem radikalen Islamismus einhergehend mit einer
Oppositionseinstellung gegenüber der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft die
Ersatzperspektive sucht.
In
der Islamischen Welt wurzelt die Hinwendung zum radikalen Islamismus in dem
Bewusstsein, dass die postkolonialen Autokratien mit ihren dem Westen
entlehnten Ideologien sich nicht in der Lage zeigten, den zivilisatorischen
Rückstand zum Westen zu verringern. Hiermit verbunden ist vielfach auch
Perspektivlosigkeit.  In einer radikalen
Interpretation des Islam einhergehend mit der utopischen Rückkehr zu
historischen islamischen Obrigkeitsstrukturen wie dem Kalifat erhofft man sich
deshalb den vermissten Erfolg der eigenen Zivilisation zu erreichen. Hinzu
kommt die Tatsache, dass ein großer Teil der islamischen Gelehrten heutzutage
nicht bereit oder in der Lage ist, eine neue ijtihad zuzulassen und sich
aufklärerischem Gedankengut und besonders Islam- und Schariainterpretationen,
die auf die Gegenwart Bezug nehmen, gegenüber verschließt. Bei der heranwachsenden
Generation kann sich auf diese Weise kein kritisches reflektierendes Denken
entwickeln, das einer Radikalisierung entgegenwirkt.   








Dr.
phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist die Arbeit des ZMD in Deutschland und
warum?
Prof.
Mohammed Khallouk: Sie ist bedeutsam, um die verschiedenen Strömungen und
ethnisch-kulturellen Hintergründe der Muslime hierzulande auf eine gemeinsame
Stimme zu bündeln und als Einheit für die Interessen der Muslime insgesamt
auftreten zu können. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die dem ZMD in Politik und
Medien zuteil wird und sich in überproportional gestiegenen Zustimmungswerten
in der Mehrheitsbevölkerung wiederspiegelt, wie eine im Januar 2015
durchgeführte Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts FORSA belegt,
ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der ZMD konservativen und
liberalen Muslimen, aber auch Sunniten und Schiiten gleichermaßen eine Stimme
einräumt.
Im
Verband besteht das Bestreben, die kontroverse Debatte, wie sie der deutschen
Demokratie eigen ist und auch in der islamischen Tradition ihre Vorbilder
findet, in die muslimischen Gemeinden in Deutschland hineinzutragen. Das Ziel
ist, dass Muslime betreffende gesellschaftliche Themen mit ihnen selbst ausdiskutiert
werden anstatt dass die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft nur
untereinander über die Muslime diskutiert. Ebenso wichtig ist aber gerade
hierfür die Aufklärungsarbeit in der Mehrheitsbevölkerung. 
Der
Verband konnte einen Beitrag dazu leisten, Stereotypen in Massenmedien und
Schulbüchern offen zu legen und zu demonstrieren, dass der Islam mit dem demokratischen
Rechtsstaat kompatibel ist und von der Mehrheit der Muslime in Deutschland auch
demokratiekonform praktiziert wird. Dass islamfeindliche Bewegungen wie PEGIDA
nicht die Gefolgschaft erhalten, die sie selbst erwarten, ist nicht zuletzt auf
die Aufklärungsarbeit des ZMD zurückzuführen. Wenn heute Kopftuchträgerinnen
höchstrichterlich zugestanden bekommen, an staatlichen Schulen als Lehrkräfte
dienen zu dürfen, ist auch dies ein Erfolg der Aufklärungsarbeit des Verbandes,
der immer wieder auf die Diskrepanz zwischen konservativer islamischer
Werteverbundenheit und gegen die Gesellschaft gerichtetem Extremismus
hingewiesen hat. 
Jüngstes
Beispiel dafür ist die von ZMD gemeinsam mit Vertretern aus Politik, Kirchen
und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren abgehaltene Mahnwache für die
Opfer der Seitens der Täter mit dem Islam gerechtfertigten Anschläge von Paris.
Der Mehrheitsgesellschaft ließ sich damit demonstrieren, dass die Muslime in
Deutschland sich von Gewalt und Terror in gleichem Maße abgestoßen fühlen wie
sie. Der ZMD war der erste muslimische Verband, der sich öffentlich im Sinne
eines gesamtdeutschen muslimischen Wohlfahrtssystems eingesetzt hat, von dem
nicht nur die Muslime, sondern die Gesellschaft insgesamt profitieren kann. 
Man
repräsentiert zudem nicht nur die Heterogenität der Muslime in Deutschland,
sondern über den Verband wird auch der Islam als Teil der deutschen Gesellschaft
wahrgenommen. Besonders sichtbar geworden ist diese Entwicklung zuletzt durch
die Teilnahme des ZMD-Vorsitzenden Aiman Mazyek als erstem Muslim gemeinsam mit
den höchsten Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft an einem Staatsbesuch in
der Golfregion.  
Dennoch
kann der Verband mit seiner Arbeit noch mehr bewirken, wenn ihm hierfür auch
die rechtlichen Möglichkeiten, die das deutsche System Religionsgemeinschaften
bietet, vollständig zugestanden werden. Dies betrifft in erster Linie den
Status als Körperschaft öffentlichen Rechts, darüber hinaus aber auch den
Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen für gesamtgesellschaftliche
Aufgaben.