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Jila Movahed Shariat Panahi: der Islam ist eine feministische Religion

Quelle: CNN
von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V.
– Hier im Folgenden mein Interview mit der Feministin, politischen Aktivistin
und iranischen Autorin Jila Movahed Shariat Panahi. Ich möchte mich bei Jila für
ihre Unterstützung und die detaillierten Antworten auf meine Fragen rund um den
Islam und die Frau bedanken.
Jila Movahed Shariat Panahi (* 1951) schloss 1973 an der Sharif University
of Technology ihren Master in Science Engineering ab.
Nach ihrem Studienabschluss war sie als Strahlungsspezialistin bei der
iranischen Atomenergiebehörde angestellt. Nach der Revolution wurde sie 1985
aus zwei Gründen regierungskritisch. Einerseits war sie der Meinung, dass die
Sonnenenergie für den Iran eine viel sicherere Energiequelle als die Atomkraft
wäre. 
Zweitens widersetzte sie sich der absoluten Kopftuchpflicht für alle Frauen
auf dem Arbeitsplatz, indem sie meinte, dass ein so striktes Gebot dem Islam
widersprach. Das Kopftuch wäre im Koran freie Wahl und kein Zwang. Am Ende
entschied sie sich für die Kündigung. Ihr Kündigungsschreiben war ihre erste
Initiative als Feministin.
1990 gewann Jila mit ihrem Artikel Die auf die Zivilgesetze
zurückzuführenden Probleme der iranischen Frauen
einen Preis an der Rechtskundefakultät
der Universität Beheshti.  
Daraufhin engagierte sie sich im Iran als Frauenrechtsaktivistin. Nach
ungefähr 20 Jahren Forschung veröffentlichte sie 1999 ihr erstes Buch mit dem
Titel
Neue
Analysen über die Frauenrechte gemäß dem koranischen Standpunkt.
Ihr zweites Buch mit dem Titel Die effizientesten Frauen des ersten und
zweiten Jahrhunderts der islamischen Geschichte
erschien 2014.
Jila ist Mitglied der Kampagne Eine Million Unterschriften für die
Änderung der diskriminierenden Gesetze gegen die Frauen
und des Nationalrates
für den Frieden.
Sie hat zahlreiche Konferenzen an Universitäten und NROs abgehalten und
Artikel für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften über das Thema der
Frauenrechte verfasst.
1991, 1995, 1999, 2003 und 2016 kandidierte sie für die Parlamentswahl.
2009 kandidierte sie auch für das Präsidentschaftsamt, aber der Rat der Wächter
lehnte ihren Antrag ab.
Ihre zwei neuen Bücher müssen noch von der iranischen Regierung genehmigt
werden. Shariat Panahi ist verheiratet und Mutter drei gebildeter Söhne.   
Milena Rampoldi: Was bedeutet der
islamische Feminismus für Sie?
Jila Movahed Shariat Panahi: Einerseits möchte ich den Begriff „Feminismus“
von meinem Gesichtspunkt aus erläutern:
Der Feminismus ist eine Lehre, im Rahmen derer die
Frau, ihre Fähigkeiten und Talente als Mensch und Gender und ihre Bedürfnisse
definiert werden. Der Feminismus umfasst auch Maßnahmen zwecks Förderung der
weiblichen Talente und Kompetenzen und der Erzielung einer stabilen Entwicklung
der Frau, ihrer Familie und ihrer Gesellschaft.
Dieser Lehre zufolge stehen der Frau, trotz der
Unterschiede, dieselben familiären und gesellschaftlichen Rechte zu wie dem
Mann. Das ist meine Definition des Feminismus als muslimische Feministin. Ich
bin felsenfest davon überzeugt, dass der Heilige Koran die Frauen als Gender
sehr gut definiert hat. Der Koran weist auch einen außerordentlichen Weg, um
die weiblichen Fähigkeiten und Talente zu entwickeln.
Schritt für Schritt hat der Heilige Koran Frauen und
Männern als Menschen unabhängig von den natürlichen biologischen Unterschieden
und verschiedenen Rollen innerhalb der Familie und des Soziallebens dieselben
Rechte zuerkannt.  
 
MR: Welche sind die Haupthindernisse
in den muslimischen Gesellschaften, wenn eine Frau kompetent ist und im
politischen Bereich tätig werden will?
JMS: Die Haupthindernisse sind folgende:
a)     Die falsche Auslegung der goldenen
Regel des Koran, nach der die „Männer für den Unterhalt der Frauen aufkommen
müssen“.
b)     Die falsche Einstellung, nach der
dem „Mann das unbegrenzte Recht auf Geschlechtsverkehr mit seiner Frau, wann
immer er will, zusteht“.
c)      Die falsche
Anschauung, nach der „die Gesellschaft kein sicherer Ort für Frauen ist, für
die nur die eigenen vier Wände sicher sind“.
d)     Die falsche Meinung, nach der die
Frauen „nicht dieselben Fähigkeiten und Talente wie die Männer hätten, vor
allem wenn es sich um die politische Arbeit handelt“.
e)     Das Haupthindernis und einer der
Ursprünge aller dieser Hindernisse bestehen in der den muslimischen Geistlichen
übertragenen Macht. Sie erhalten die offizielle bzw. örtliche Autorität, um den
Islam nach ihrem Gesichtspunkt auszulegen und auf diese Weise auf die Muslime
einzuwirken. Eine der besten Strategien, um dieses Hindernis zu überbrücken,
besteht darin, den Muslimen beizubringen, das Verhalten ihrer Juristen zu
überprüfen, um zu sehen, ob ihnen die Erfüllung ihrer religiösen Pflichten Geld
einbringt. Denn der Prophet wollte nie Geld für seine Arbeit, wie zahlreiche
Koranverse belegen (vgl. al-Shura 23, al-Hud 29 und 51, Al-Shura 109, 127, 145,
164, 164 und 180 und al-Saba 47).
Wenn ein Rechtsgelehrter direkt oder indirekt die politischen
Führer an der Macht unterstützt, indem er mit der Verfassung religiöser Kommentare
und Fatwas einen Haufen Geld verdient, sollte das Volk skeptisch werden und ihn
nicht als Vertreter Gottes ansehen.  
Die Menschen müssen selbst über ihre eigene Religion
recherchieren. Denn der blinde Gehorsam gegenüber einem solchen Führer kann sie
in die Arme gefährlicher Gruppen wie dem IS führen.   
MR: Meiner Meinung nach ist der
Islam eine feministische Religion, die Muslime denken aber nicht feministisch.
Was denken Sie darüber?
JMS: Dem kann ich nur zustimmen.    
Eine der besten Lösungen, um diesen Widerspruch zu
lösen, besteht in der neuen Übersetzung und Auslegung einiger Koranverse über
die Frauenrechte, die vollkommen falsch und offensichtlich widersprüchlich und
im Gegensatz zum gesamten Geist des Islam übersetzt bzw. ausgelegt wurden.
​​Um dies zu tun,  müssen wir auch die
Wurzeln der arabischen Begriffe genau berücksichtigen und auf diese
fokussieren, indem wir auch andere Verse heranziehen, in denen dasselbe Wort
vorkommt (z.B. der Begriff noshooz, der auf Arabisch für Frauen (al-Nisa,
Vers 34) und Männer (al-Nisa, Vers 128) gilt).
Außerdem möchte ich auf Verse wie al-Nisa 3, 34, 127,
128 und 129, al-Baqarah 228, 229, 233, 240 und 241,
al-Talaq 4 und 6
fokussieren, die falsch verstanden, falsch übersetzt und falsch ausgelegt
werden (und zwar auf der Grundlage chauvinistischer Ideen oder erfundener
Hadith des Propheten). Demzufolge müssen wir diese Verse neu interpretieren,
indem wir auf den Humanismus und den allgemeinen Geist des Heiligen Koran
fokussieren.
 MR: Welche sind die wichtigsten Dinge, die man als Frau heute in unserm
Kampf gegen die Fehlauslegungen der weiblichen Rolle im Islam einerseits und
der Islamfeindlichkeit andererseits tun kann?
JMS: Im Allgemeinen sollten wir damit anfangen, die falsche Anschauung der
Muslime zu korrigieren, wenn es um die Frau im Islam geht und die Koranverse
über die Frau korrekt zu übersetzen. Dies wäre schon mal ein großer Schritt
auch für den Kampf gegen die Islamfeindlichkeit.
Dann müssen wir auch die Einstellung der Muslime zum Mann ändern.
Und schließlich muss die gesamte Anthropologie im Islam anders ausgelegt
werden. Ich bin der Meinung, dass dies der richtige Weg ist, um beide Ziele zu
erreichen.
In anderen Worten: bis wir nicht diese falsche
Anschauung des Islam ausmerzen, die in den Herzen zahlreicher unwissender,
muslimischer Gläubiger verwurzelt ist, werden wir auch nicht in der Lage sein,
die Islamfeindlichkeit zu bekämpfen. Natürlich muss man davon ausgehen, dass
diese falsche Einstellung eine wesentliche Rolle spielt, um die gebildeten
Feinde des Islam zu unterstützen, die versuchen zu beweisen, dass diese falsche
Anschauung der wahre Islam ist. Unsere Feinde profitieren somit von unseren
Fehlauslegungen.
Mit einem weiblichen Islam sind wir hingegen in der
Lage, das sanfte Gesicht des Islam zu zeigen, anstatt das harte und
zurechtgemachte Gesicht zu verewigen.
  
MR: Welche sind die Hauptthemen Ihres Buches über die Gleichheit im Koran?
JMS: Die wichtigsten Abschnitte meines Besuches
befassen sich (zusammengefasst) mit den folgenden Themen:
a)     Die Mehrehe muss in Monogamie umgewandelt
werden, indem man drei Schritte durchläuft: in al-Nisa 3 wurde die
unbeschränkte Anzahl von Ehefrauen auf die Anzahl von vier beschränkt.  
b)     Am Ende desselben Verses 4 der Sure
al-Nisa werden die vier Frauen zu einer einzigen. Denn wenn der Ehemann
befürchtet, nicht gerecht sein zu können, heirate er nur eine.  
c)      Der dritte
Schritt konkretisiert sich im Vers 129 der Sure al-Nisa, in dem Allah betont, dass
kein Mann je in der Lage sein wird, zwei Ehefrauen gegenüber gerecht zu sein.
Demzufolge spricht sich Allah für die Monogamie aus.
Dies ist ein wesentlicher Schritt, um die Diskriminierung zwischen Frauen
und Männern in den muslimischen Familien für immer zu überwinden.    
Im Vers al-Nisa 34, habe ich einige wesentliche arabische Begriffe neu
übersetzt:
a)    Ghavamon (auf Arabisch) bedeutet, dass die Männer verpflichtet sind, die Frauen zu
unterhalten. Wenn wir diesen Aspekt im Detail analysieren, finden wir, dass
dieser Grundsatz eine tolle Chance für die Frauen darstellt, die dadurch Zeit
haben, um zu studieren, ihre Emotionen und ihren inneren Frieden zu pflegen.
Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass Ghavam nicht bedeutet, dass die
Männer Familienoberhäupter und somit die einzigen Entscheidungsträger sind.
Daras folgt auch nicht, dass die Frauen nicht außerhalb des Hauses arbeiten
dürfen, sondern es bedeutet, dass sie entscheiden können, ob sie berufstätig
sein möchten oder nicht.   
b)     Salehat bedeutet auf Arabisch Befürworter des Friedens.
c)     Ghanetat bedeutet auf Arabisch den freien Gehorsam gegenüber
Allah (und nicht gegenüber dem Ehemann).
d)     Hafezaton lelghib bedeutet auf Arabisch Loyalität (und nichts anderes).
e)     Noshooz bedeutet auf Arabisch der Geschlechtsverkehr mit einer
anderen Person, die nicht der Ehepartner ist. Und dieser Begriff gilt für beide
Geschlechter.
f)     Fa-azrebo-honna bedeutet auf Arabisch provisorische Trennung vor der
Scheidung oder vor der Versöhnung.  
Im September 2005 hielt ich anlässlich der
internationalen Konferenz über die Frauen in Peking einen Workshop mit dem
Titel “How can we increase the role of Women to create a stable peace in
the world” (Wie können wir die Rolle der Frauen stärken, um einen stabilen
Weltfrieden zu gewährleisten), der auf die folgenden beiden Aspekte fokussierte:
a)    Der wichtigste Zeitraum der Charakterbildung eines Kindes sind die ersten
fünf Jahre. In diesem Zeitraum befinden sich alle Kinder unter weiblichem
Einfluss.
b)    Die Verhaltensmodelle zahlreicher feministischer Gruppen sind männlich. Der
Grund muss darin gesehen werden, dass die Männer mehr Erfolg im Geschäftsleben,
Finanzwesen und in der Politik haben und dass wir Frauen sie nachahmen müssen.  Unsere Welt ist von Männern dominiert.
Weibliche Eigenschaften sind vom Aussterben bedroht.
Daher empfehle ich den Frauen, ihre Denkweise zu
ändern. Sie muss sich auf ihre Weiblichkeit, Schönheit, Freundlichkeit,
Emotionalität und Mutterschaft konzentrieren, um eine Welt aufzubauen, die auf
der harmonischen Kombination männlicher und weiblicher Farbtöne basiert. Nur in
einer solchen Welt wird der Krieg besiegt und der Frieden vorherrschen.
Nun möchte ich auf die Koraninterpretation
zurückkommen: es ist Tatsache, dass die Exegeten, die den Koran falsch
interpretieren, viel Diskriminierung gegenüber den Frauen in den muslimischen
Gesellschaften verursachen.
Schließlich möchte ich noch einen besonderen Aspekt
des schiitischen Islam ansprechen, und zwar den der Zeitehe (muta’a),
die in den schiitischen Gemeinden bis heute geschlossen wird. Es gab sie auch
bis zum 21. Jahr der Offenbarung, aber in jenem Jahr wurde diese Tradition
aufgegeben, weil die islamischen Ehegesetze schon ausgearbeitet waren.  
​​MR: Wie sehen Sie die politische Zukunft des Iran?
JMS: Wenn die iranischen Frauen in der Lage sind, die derzeitigen
Hindernisse zu überbrücken, um ins Parlament zu kommen und wenn wir eine
ausreichende Anzahl von Frauen haben, um Fraktionen im Parlament zu bilden,
dann können neue Gesetze gegen die Diskriminierung der Frauen verabschiedet
werden.
Unter solchen Bedingungen sehe ich eine positive
Zukunft für alle iranischen BürgerInnen.