Kulturkampf um den Schleier: Die Forderung nach einem Burkaverbot ist falsch, denn Befreiung muss von innen kommen
von Christiane Hoffmann, Der Spiegel, 20.08.2016
Worum es im Streit um die Burka nicht geht: Es geht nicht um Sicherheit – eine Waffe oder Sprengstoff lässt sich unter jedem weiten Mantel und in jedem Rucksack verbergen, der Gesichtsschleier hat damit nichts zu tun. Es geht auch nicht wirklich um Integration, denn durch ein Burkaverbot wird niemand integriert. Es geht nicht einmal um ein real existierendes Problem, die Zahl der voll verschleierten Frauen in Deutschland liegt im Promillebereich.
Worum es im Streit um die Burka nicht geht: Es geht nicht um Sicherheit – eine Waffe oder Sprengstoff lässt sich unter jedem weiten Mantel und in jedem Rucksack verbergen, der Gesichtsschleier hat damit nichts zu tun. Es geht auch nicht wirklich um Integration, denn durch ein Burkaverbot wird niemand integriert. Es geht nicht einmal um ein real existierendes Problem, die Zahl der voll verschleierten Frauen in Deutschland liegt im Promillebereich.
Es geht eher um Parteipolitik und Wahlkampf, in einer komplizierten Integrationsdebatte ist die Burka ein Geschenk für die Vereinfacher, hier kann jeder mitreden, ein Verbot simuliert Entschlossenheit, als wäre damit auch nur eines der Probleme, vor die uns die Integration von Muslimen stellt, gelöst.
Schleierhaft, von ninaboos
Es geht um Angst. Um die Angst der Union vor der AfD und um unsere Angst vor dem Islam. Die Burka, genauer: die Vollverschleierung muslimischer Frauen ist zum Symbol gewor- den für alles, was wir am Islam ablehnen, und wenn es sich eine aufgeklärte Gesellschaft erlaubt, mit heiligem Ernst über ein sym- bolisches Problem zu streiten, dann muss diese Angst groß sein.
Kleidung, vor allem weibliche, war immer auch Schlachtfeld des Kulturkampfs zwischen Tradition und Moderne. Lange stritten wir darüber, wie viel nackte Haut erlaubt sein soll, nun streiten wir, wie viel Verhüllung wir akzeptieren wollen. In Europa ist die voll verschleierte Frau zum Symbol für ihre Unterdrückung im Islam geworden. Das ist eine Zuschreibung, die von einigen, aber nicht allen Musliminnen geteilt wird. Die Verschleierung steht für uns aber auch ganz generell für das Fremde, das uner- wünscht ist. Nichts symbolisiert das Unheimliche und Un- durchsichtige des Islam so wie das Tuch, das einen Men- schen unkenntlich macht. Ob wir die Burka tolerieren oder verbieten, beantwortet damit stellvertretend die Frage nach den Grenzen unserer Toleranz.
Bei denen, die ein Burkaverbot fordern, vermischen sich zwei Motive, ein egoistisches und ein altruistisches. Das Verbot soll unsere freiheitliche Gesellschaft vor dem islamischen Fundamentalismus schützen – das ist der egoistische Antrieb. Es soll aber auch dazu beitragen, die muslimische Frau zu befreien – das ist der altruistische. Hinter dem zweiten Motiv steckt die Annahme, dass keine Frau sich freiwillig verschleiert – aber das ist falsch. Es stimmt zwar, dass Frauen in der islamischen Welt nicht gleichberechtigt sind. In Iran gibt es Millionen Frauen, die das Kopftuch hassen und es lieber heute als morgen able- gen würden. Andererseits tragen in Ägypten, in der Türkei, im Maghreb, wo es nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, viel mehr Frauen das Kopftuch als vor 20 Jahren – freiwil- lig. Es ist auch ein Zeichen, sich abzugrenzen von einem als dominant und arrogant empfundenen Westen.
Ein bedeutender Teil der verschleierten Frauen in Deutschland sind arabische Touristinnen auf Shoppingtour und Konvertitinnen, Frauen, die auf der Suche nach Sinn, Halt, Gemeinschaft beim radikalen Islam gelandet sind, so wie andere bei Scientology oder den Zeugen Jehovas landen. Für sie ist die Verschleierung auch eine gezielte Provokation, eine Art Protestkultur. Wir sollten darauf ebenso gelassen reagieren wie auf Irokesenschnitte oder großflächige Körpertattoos, die der abendländischen Kultur ebenfalls fremd sind.
Man kann gesellschaftlichen Fortschritt nicht erzwingen, indem man die Symbole von Religion und Tradition verbietet. Jede Zwangsbefreiung ruft eine Gegenreaktion hervor, das war so, als Atatürk den Türkinnen und Schah Reza Khan den Ira- nerinnen das Kopftuch verbot. So war es auch, als Peter der Große den Bojaren die Bärte ab- schnitt. Befreiung muss von in- nen kommen, die muslimischen Frauen müssen sie selbst er- kämpfen, sie sind längst dabei.
Pick your battle, heißt es auf Englisch, überlege, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Das gilt auch für den wehrhaften Rechtsstaat. Ein paar voll verschleierte Frau- en gefährden unsere freiheitlichen Werte nicht. Genauso wenig werden sie die Emanzipation der Frau in Europa rückgängig machen. Zu Recht erwarten wir von Muslimen in Deutschland, dass sie sich an das Grundgesetz halten. Das kennt hohe Hürden für die Einschränkung der Reli – gionsfreiheit und anderer Freiheitsrechte. Und Kleider- vorschriften sind ein massiver Eingriff in die Persönlich- keitsrechte.
Man kann mit dem Burkaverbot weder den islamischen Fundamentalismus bekämpfen noch die muslimische Frau befreien. Wir könnten uns nur ihren Anblick ersparen. Denen, die unterdrückt sind, sollten wir Angebote machen. Das können Sprachkurse sein, Nachbarschaftstreffen oder eine Einladung zum Kaffee. Wir sollten selbstbewusst darauf setzen, dass unsere Lebensweise so attraktiv ist, dass sie zur nachahmenden Befreiung ermuntert.
Integration, von Hayati