Polizeigewalt in der Diskussion – Gewalt, Beleidigungen und Nötigungen
Von
Jana-Sophie Brüntjen, Migazin,
18. Januar 2021. Polizistinnen und Polizisten vertreten das staatliche
Gewaltmonopol. Opfervereine klagen, dass einzelne Polizisten nicht immer
verantwortungsvoll damit umgehen. Die Polizeigewerkschaft spricht von falscher
Wahrnehmung.
Quelle: Sozialismus.info
Wer zu Biplab Basu von der „Kampagne für Opfer rassistischer
Polizeigewalt“ (KOP) in Berlin kommt, fühlt sich meist als Opfer – von
Polizisten. Betroffen seien besonders häufig Menschen mit Migrationserfahrung,
Sinti und Roma, psychisch Kranke und Obdachlose. Menschen, die keine Lobby
haben und ohnehin in der Gesellschaft unterrepräsentiert sind, sagt Basu.
Monatlich kämen mal sechs oder sieben, mal bis zu 18 Personen zur KOP – und das
nur aus Berlin und dem näheren Umland.
Basu ist ehrenamtlicher Berater der Initiative. Rechtswidrige Gewalt in
der Polizei sei weiter verbreitet, als viele wahrhaben wollten. „Wenn Menschen
allgemein in der Gesellschaft keinen Respekt erfahren, behandelt auch die
Polizei sie nicht respektvoll“, sagt er. Zurück bleibe bei den Opfern das
Gefühl, keine vollwertigen Bürgerinnen und Bürger zu sein. Immer wieder fragten
seine Klientinnen und Klienten, warum sie so behandelt würden, sie seien doch
auch deutsch. „Man sollte kein Deutscher sein müssen, um Rechte zu haben“, sagt
der Deutsch-Inder.
Wie oft rechtswidrige Polizeigewalt
tatsächlich vorkommt, lässt sich laut dem Bochumer Kriminologen Tobias Singelnstein nicht
genau sagen. „Im Hellfeld bewegen wir uns bei mehr als 2.000 Verdachtsfällen
jährlich, die von den Staatsanwaltschaften bearbeitet werden“, sagt er. Das
Dunkelfeld sei aber wesentlich größer. „Wir gehen von einem Verhältnis von eins
zu fünf aus“, sagt er. Auf ein Ermittlungsverfahren bei rechtswidriger
Polizeigewalt kommen demnach fünf Fälle, in denen nicht ermittelt werde. Blickt
man auf die Urteile, werden Beamte wegen Körperverletzung im Amt selten
schuldig gesprochen, im vergangenen Jahr waren es laut
Strafverfolgungsstatistik 19 Amtsträgerinnen und Amtsträger.
Gewalt, Beleidigungen und Nötigungen
Die Polizei vertritt in Deutschland das Gewaltmonopol des Staates.
Trotzdem sind die Beamtinnen und Beamten „nur ausnahmsweise zum Gewalteinsatz
befugt“, sagt Singelnstein. Etwa wenn sich Maßnahmen nicht mehr auf anderem Wege
durchsetzen ließen.
Basus Klientinnen und Klienten erleben Übergriffe „in der Regel als
Körperverletzung im Amt“, sagt der Aktivist. Diese reichten von Hämatomen über
Schürfwunden bis hin zu Fällen, in denen die Opfer mehrere Wochen im
Krankenhaus lägen. Dazu kämen Beleidigungen, Beschimpfungen und Nötigungen.
„Immer wieder werden Menschen auch mit Handschellen abgeführt und dann
stundenlang unschuldig festgehalten“, erzählt Basu.
Gewerkschaft der Polizei: Es fehlt
an Verständnis
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, fordert eine klare
Unterscheidung zwischen „tatsächlich rechtswidriger und als rechtswidrig
empfundener Gewalt“. Viele Menschen wüssten nicht, welche Maßnahmen erlaubt
sind und warum sie angewendet würden. „Wenn die Beamten zum Beispiel die
Identität einer Person feststellen wollen, ist das auf der Dienststelle oft
einfacher. Das wird dann mit einer Festnahme gleichgesetzt, was es aber nicht
ist“, betont der Polizeihauptkommissar.
Rechtswidrige Polizeigewalt ist nach seiner Meinung keine gängige
Praxis. Ansonsten gäbe es mehr Verurteilungen durch deutsche Gerichte. Zugleich
gebe es natürlich Fälle von antisemitischem oder rassistischem Verhalten wie in
bestimmten Chat-Gruppen oder bei den Drohmails gegen Personen mit
Migrationshintergrund. Dass die Polizei aktuell von manchen Menschen als so
gewalttätig wahrgenommen werde, habe andere Ursachen: Es fehle das Verständnis
für die Arbeit der Polizei.
Angst vor Repressalien
Beamtinnen und Beamten würden zunehmend in ihrer Arbeit gestört.
Teilweise würden die Polizistinnen und Polizisten angegriffen, entweder von
Unbeteiligten oder von der Person, gegen die sich die Maßnahme richtet. „Das
kann nicht sein. Wenn jemand das Gefühl hat, er wurde unrechtmäßig behandelt,
muss das ein Gericht klären“, sagt der Polizeihauptkommissar.
Phillipp Krüger, Polizei-Experte bei Amnesty International
in Deutschland, kennt Fälle, in denen Beamtinnen und Beamten bei
unrechtmäßigem Verhalten von Kollegen in Einsätzen gerne eingegriffen hätten,
sich aber nicht trauten. „Dass es ein Problem gibt, sehen auch Menschen in der
Polizei“, sagt er. Es gebe aber Angst vor Repressalien durch das Kollegium.
Nichtsdestotrotz gebe es immer wieder Polizistinnen und Polizisten, die an die
Menschenrechtsorganisation herantreten und Rat suchen. (epd/mig)