Egon Krenz zum Fall Diogo: „Über einen Neonazi-Mord wäre ich informiert worden“
Anja Reich – Jenni Roth 26/10/2020 |
Als der DDR-Vertragsarbeiter Manuel Diogo 1986 starb, war Egon Krenz Honeckers Stellvertreter. Im Interview erklärt er, warum er glaubt, dass es ein Unfall war.
Berlin-Im Juni 1986 kam der mosambikanische DDR-Vertragsarbeiter Manuel Diogo ums Leben. Die DDR-Behörden stellten fest, dass es ein Unfall war. Der Historiker Harry Waibel und der MDR behaupten heute, Diogo sei von einer Bande Neonazis ermordet worden, und die Staatssicherheit hätte das vertuscht. Als die Staatsanwaltschaft Potsdam im Juni dieses Jahres ankündigte, den Fall neu aufzurollen, begann die Berliner Zeitung mit eigenen Recherchen, die unter dem Titel „Wie aus einem tragischen Unfall ein brutaler Neonazi-Mord wurde“ veröffentlicht wurden. Am Rande dieser Recherchen tauchte immer wieder die Frage auf: Wie antifaschistisch war die DDR? Hätte die Staatssicherheit einen Neonazi-Mord verheimlichen können? Und wenn ja, warum? Darüber sprachen wir mit Egon Krenz, damals Stellvertreter Erich Honeckers im Staatsrat und im Politbüro der SED.
Herr Krenz, kennen Sie den Fall Diogo?
Ich habe erst später durch die Medien davon erfahren. Damals nicht. Ein Mord, noch dazu ein rassistischer, wäre in der DDR ein besonderes Vorkommnis gewesen. Ich wäre auf jeden Fall informiert worden und hätte es mir auch bis heute gemerkt.
Warum wären Sie informiert worden?
Ich war Honeckers Stellvertreter. Sie können ganz sicher sein, von einem Mord durch Neonazis hätte ich sogar nachts erfahren. Für besondere Vorkommnisse, und dies wäre eines gewesen, gab es eine Meldepflicht bis zum Partei- und Staatschef der DDR. In diesem konkreten Fall hätten die Ministerien des Inneren und für Staatssicherheit, die zuständige SED-Bezirksleitung und der Rat des Bezirkes, die Deutsche Reichsbahn und schließlich die Staatsanwaltschaft davon erfahren und nach oben gemeldet. Undenkbar, dass Erich Honecker, der unter den Nazis zehn Jahre im Gefängnis saß, mich nicht beauftragt hätte, so einen Vorfall auszuwerten. Undenkbar auch, dass Hermann Axen, der im Politbüro für Außenpolitik zuständig war, dem die SS einst die Häftlingsnummer 58787 eingebrannt hatte, eine Vertuschung mitgetragen hätte.
Sie erinnern sich heute noch an die Nummer?
Ja, Axen war in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald. An warmen Sommertagen trug er auf Sitzungen des Politbüros gerne kurzärmlige Polohemden. Da war die Nummer zu sehen, ich habe sie nicht vergessen.
Könnte ein Mord nicht aber genau deswegen verschwiegen worden sein: Weil es eben in der DDR keine Neonazi-Banden geben durfte?
Das ist eine Nachwende-Deutung, die ich nicht teile. Die Unterstellung, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, trifft hier nicht zu. Warum hätten wir einen rassistischen Mord unter den Teppich kehren sollen! Bekundungen von Glaubens-, Rassen- und Völkerhass wurden in der DDR als Verbrechen geahndet. Das war Verfassungsgrundsatz.
Hätte die Stasi den Mord in den Akten verschweigen können?