Corona-Tests übersehen zu viele Infizierte
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Tests auf Corona geben oft falsche Resultate an. Das kann sich fatal auswirken.
Abstriche im Rachen und Bluttests sind ungenau. Bei falschen Resultaten werden Gesunde als Kranke behandelt und Kranke als Gesunde.
Testen, testen, testen war die Devise zu Beginn der Corona-Pandemie. Und sie ist es heute wieder, wenn eine langsame Rückkehr in den gewohnten Alltag angegangen wird. Weltweit setzen alle Länder auf vermehrte Tests, um Infizierte zu erkennen, sie zu isolieren und damit das Virus unter Kontrolle zu behalten. Vor ein paar Tagen hat die Schweizer Pharmafirma Roche von der US-Arzneimittelbehörde die Zulassung für einen Corona-Antikörpertest erhalten. Gemäss Roche-CEO Schwan sind diese sehr sicher und können in grosser Zahl ausgeliefert werden, bis Ende Jahr im dreistelligen Millionenbereich.
Die Anzahl unterschiedlicher Tests und deren Verlässlichkeit sind zurzeit aber eben auch die grössten Probleme. In einem Gastbeitrag in der «New York Times» warnen Michael T. Osterholm, Direktor des Center for Disease Research and Policy an der University of Minnesota und der Autor Mark Olshaker vor zu grossen Hoffnungen. Nicht nur seien zu wenig Tests erhältlich, einige seien auch von schlechter Qualität und selbst diejenigen, die genau seien, produzierten nicht die von den Menschen erwarteten exakten Resultate.
Zwei Arten von Tests
Im Moment gibt es zwei Arten von Tests:
1. Sogenannte RT-PCR-Tests. Sie analysieren Zellen, die durch Abstriche aus Nase und Rachen stammen. Durch sogenannte RNA-Polymerase kann das Vorhandensein des Virus nachgewiesen werden. Dafür ist eine mehrfach wiederholte Kettenreaktion nötig.
2. Bluttests, die Antikörper auf das Virus detektieren. Antikörper werden vom Körper gebildet, um das Virus abzuwehren. Ein solcher Test stellt fest, ob Antikörper vorhanden sind – genannt Sensitivität – oder ob keine Antikörper vorhanden sind – genannt Spezifität.
Über 20 verschiedene Test sind weltweit von nationalen Behörden zugelassen worden, listet die Johns Hopkins Universität auf. Über 40 sind für restriktiven Gebrauch und zur Forschung zugelassen, weitere sind in Entwicklung.
Nicht so genau, wie nötig
Die Autoren des Gastbeitrags weisen darauf hin, dass bis jetzt keiner dieser Tests wirklich genau sei und sichere Resultate liefere. RT-PCR-Test seien von ihrer Anlage her bereits limitiert. Der Prozess zum Erkennen des Virus erfordert eine Kettenreaktion, die mindestens 40 Mal wiederholt werden muss. Auch dann sei aber nicht sicher, ob damit überhaupt genug Genmaterial des Virus vorhanden sei. «Eine Folge davon ist, dass auch bei exakten und korrekt angewendeten Tests einige als negativ getestete Menschen in Wirklichkeit positiv sind», schreiben die Autoren. Diese Resultate heissen «falsch negativ». Eine Studie der Cleveland Clinic habe ergeben, dass fast 15 Prozent der Getesteten «falsch negativ» waren. Sie waren also infiziert, aber der Test hat es nicht erkannt. Auch eine chinesische Studie habe ähnliche Resultate ergeben. Ein in der Zeitschrift «Mayo Clinic Proceedings» erschienener Artikel warnt, dass sogar bei sogenannten hochgenauen Tests die Gefahr vor «falsch negativen» Resultaten signifikant sei. Das sei fatal, denn diese Menschen würden mit dem falschen Resultat zum Gesundheitsrisiko für andere.
Ähnliche Probleme gebe es mit den Bluttests: Auch der präziseste Antikörpertest könne nicht einfache ja-nein-Resultate liefern. «Es funktioniert nicht wie ein Lichtschalter, der an und aus schaltet, sondern eher wie eine Glühbirne, die durch einen Regler gedimmt wird», erklären Osterholm und Olshaker.
Die Genauigkeit für Sensitivität und Spezifität konkurrenzierten sich und führten zu falschen Ergebnissen.
Das heisst: Je vollständiger ein Test alle Infizierten erfasst (hohe Sensitivität), desto mehr Gesunde gibt er fälschlicherweise als Infizierte an (tiefe Spezifität).
Was Tests angehe, herrsche in den USA «Wildwest», beklagen die beiden Autoren. Mit überstürzten Zulassungen würden zu viele zugelassen, die nicht richtig überprüft worden seien. Es müssten die normalen Prüfstandards angewendet werden, fordern Osterholm und Olshaker.
«Schmerzliches Paradox»
Der Bevölkerung müsse klar gesagt werden, dass zurzeit noch viel zu wenig über das Virus bekannt sei und dass reines Testen nicht der Weisheit letzter Schluss sei. «Es heisst auch, dass wir ein schmerzvolles Paradox akzeptieren müssen: In der Hoffnung, die Pandemie unter Kontrolle zu haben, testen wir. Aber das Testen wird erst besser, wenn die Pandemie schlimmer wird», schreiben die Autoren. Noch lange würden viele Fragen unbeantwortet bleiben. Lösungen könnten nur mit internationaler Zusammenarbeit gefunden werden. Die ganze Welt brauche nun Tests und Reagenzen in riesigen Mengen. Die Versorgung könne so gar nicht sichergestellt werden. «Nur wenn Regierungen, Laboratorien, Forschung und Industrie zusammenarbeiten, finden wir hier eine Lösung», so Osterholm und Olshaker. Bis das gelungen sei, empfehlen sie eine altmodische, aber bewährte Methode anzuwenden: Das genaue Beobachten und Dokumentieren von Symptomen, die bei der Krankheit Covid-19 auftreten. «Mit der exakten Protokollierung aller auftretenden Symptome und einem permanenten Reporting kann das medizinische Personal so den lokalen Behörden Daten in die Hand geben, damit sie die Infektionsrate beobachten und darauf reagieren können.»
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