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Corona-Epidemie: Warum der Lockdown gelockert werden kann

Von Werner Vontobel, Infosperber,
17 April 2020. Neuste Zahlen des BAG zeigen, wie hoch das Risiko ist, sich bei
der Erwerbsarbeit anzustecken und dann an Covid-19 zu sterben.

Zunächst:
Erwerbsarbeit an sich ist nicht ganz ungefährlich. Da sind einmal die
Arbeitsunfälle. Gemäss der Suva erleiden 63 von 1000 Vollbeschäftigen jedes
Jahr einen Berufsunfall. Und
berufsbedingt sterben jedes Jahr 2-3 Menschen je
100’000 Vollbeschäftigten
.
Dazu
kommen jährlich etwa 2400 anerkannte Berufskrankheiten. Wie viele davon tödlich
enden, ist nicht bekannt. 20 bis 30 Prozent der Arbeitnehmenden – also gut eine
Million – sind zudem von psychosozialen Risiken betroffen. Der Arbeitsplatz ist
also ein nicht ganz ungefährliches Pflaster.
Und
nun kommt das Corona-Risiko noch dazu. Wie gross diese Gefahr ist, kann man
anhand der neuesten Zahlen des Bundesamts für Gesundheit BAG einigermassen
abschätzen: Danach sind in der stark ins Erwerbsleben eingespannten
Altersgruppe der 20- bis 60-Jährigen bisher 24 Frauen und Männer an den Folgen
einer Corona-Erkrankung gestorben. Selbst wenn man annimmt, dass sich die
allermeisten davon bei der Arbeit oder auf den Arbeitsweg angesteckt haben,
sind das weniger als 20 arbeitsbedingte Corona-Opfer. Bezogen auf die 4,3
Millionen Vollzeitstellen in der Schweiz sind das statistisch rund
zusätzlich etwa 0,5 Corona-Todesfälle pro 100’000
Vollbeschäftigte
.
Von
den 24 Corona-Toten der 20- bis 59-Jährigen entfallen nicht weniger als 19 auf
die 50- bis 59-Jährigen. Ihr Risiko, an Corona zu sterben, liegt somit um den
Faktor 3,2 über dem Schnitt der ganzen erwerbstätigen Bevölkerung. Konkret sind
das etwa 1,5 Todesfälle pro 100’000 Vollzeitstellen. Selbst wenn die
Corona-Pandemie noch etliche Monate anhalten sollte, läge also auch für diese
Altersgruppe das Corona-Risiko im Bereich eines „normalen“ Arbeitsunfalls,
sprich von
zusätzlichen 2 bis 3 Corona-Todesfällen pro 100’000
Vollzeitstellen
.
Und
dabei sprechen wir hier bloss von der Spitze des Eisbergs der arbeitsbedingten
Gesundheitseinbussen.
Das
Risiko der Altersgruppe ab 50 dürfte deshalb höher sein, weil der Anteil der
Vorerkrankten deutlich höher ist als bei den Jüngeren. Nehmen wir etwa das
Beispiel des erhöhten Blutdrucks. Darunter leiden 18 Prozent der 50- bis
59-Jährigen, aber nur etwa 6 Prozent der jüngeren Arbeitnehmer. Mit einem
Anteil von 22 Prozent sind die Männer überdurchschnittlich stark betroffen.
Das, sowie der generelle Anstieg der Bluthochdruck-Patienten sind Indizien
dafür, dass der zunehmende Stress des Berufslebens an unserer Gesundheit nagt.
Die
Corona-Verstorbenen hatten sich vor dem Lockdown angesteckt
Nun
mag man argumentieren, dass die Zahl der bisherigen Corona-Todesfälle nur
deshalb so überschaubar ist, weil ein grosser Teil der Arbeitnehmer entweder
nicht, kurz oder von zuhause aus arbeitet. Doch man muss dazu wissen, dass von
der Ansteckung bis zum (eventuellen) Todesfall im Schnitt etwa vier Wochen
vergehen. Die allermeisten Todesopfer haben sich somit schon vor dem Lockdown
und vor den Schutzmassnahmen mit der Corona-Virus angesteckt.
Inzwischen
haben wir punkto Sicherheit am Arbeitsplatz grosse Fortschritte gemacht und mit
einer Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr könnte die Gefahr einer Ansteckung
weiter deutlich reduziert werden.
«Für
das Geschäft werden Menschenleben geopfert»
Wer
eine Lockerung des Lockdowns fordert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen,
wegen dem «schnöden Geld» Menschenleben zu opfern. Das ist nicht ganz falsch,
blendet aber aus, dass wir der Wirtschaft – dem schnöden Mammon – schon immer
Menschenleben und Gesundheit geopfert haben. Es geht nicht anders.
Schliesslich
produziert «die Wirtschaft» auch Dinge und Dienstleistungen, die unser
Überleben sichern oder unser Leben erträglicher machen.
Wenn
wir den «Blutzoll», den das Wirtschaftsleben fordert, effizient und ohne allzu
grosse Verluste verringern wollen, müssen wir an anderen Schrauben drehen. Die
tödlichen Arbeitsunfälle konnten wir in den letzten Jahrzehnten erfolgreich
halbieren. Leider hat aber der Stress und haben die psychischen Schäden unnötig
stark zugenommen.
Und
nicht zuletzt fordert auch eine Fortsetzung des Lockdowns seine Opfer. Denn das
Bangen um den Job, die Arbeitslosigkeit und die Angst vor massiven
Einkommensverlusten bergen erhebliche gesundheitliche Risiken. Nur werden die
Zahlen der Betroffenen nicht täglich aufaddiert.
Welche
Verletzten, Kranken und Toten zählen mehr?
Was
wiegt nun schwerer? Diese oder jene Kranken, Verletzten oder Toten? Die
vergangenen Wochen haben die Frage klar beantwortet: In der öffentlichen
Meinung wiegen diejenigen Daten schwerer, die präzise und mit hoher Frequenz
beziffert werden können. Das gilt vor allem dann, wenn man mit diesen Daten
exponentiell steigende Kurven zeichnen kann. Flachen die Kurven hingegen ab
oder zeigen sie gar deutlich nach unten, neigen sie dazu, aus den Zeitungen
verschwinden.