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Woher kommt die Islamfeindlichkeit?

Islamfeindliche Straftaten gegenüber Muslimen nehmen stetig zu. Dr.
Farid Hafez stellt drei essenzielle Theorien vor, um die heutige
Islamfeindlichkeit zu begründen.

Islamdebatten sind kein neues Phänomen. Macht man sich auf die Suche
nach den Ursprüngen heutiger Islambilder, greift es zu kurz, lediglich
zwei oder drei Jahrzehnte zurückzublicken. In der wissenschaftlichen
Debatte gibt es drei Herangehensweisen in der Erklärung dessen, was
gemeinhin als Islamfeindlichkeit, Islamophobie und/oder anti-muslimischer Rassismus genannt wird.

Die erste Herangehensweise ist jene, die Problematik durch die Brille
der Vorurteilsforschung zu beleuchten. Diese Betrachtungsweise
konzentriert sich primär auf individuelle Einstellungen von Menschen und
versucht, Vorstellungen über die als „anders“ markierten Musliminnen
und Muslime zu deuten. Mit der Hilfe von psychosozialen Analysen sollen
Ängste und Wahrnehmungen aufseiten jener Menschen nachvollzogen werden,
deren Einstellungen als islamophob gewertet werden. In der öffentlichen
Debatte schwingt dabei manchmal eine Vorstellung mit, wonach Vorurteile
und die damit einhergehende Abwertung von als „anders“ markierten
Gruppen eine gewisse Normalität in allen Gesellschaften darstellen
würde. Damit geht auch eine gewisse Banalisierung von Vorurteilen
einher, ganz nach dem Motto, dass es sich hierbei um nichts
Außergewöhnliches handle.

Das ruft oft auch Kritik von einer zweiten – in der Wissenschaft
mittlerweile – dominierenden Perspektive auf den Plan; die
Rassismusforschung. Aus der Sicht vieler AkademikerInnen in der
Rassismusforschung gilt es, die Frage der Macht stärker in den
Mittelpunkt zu stellen. Ohne die Bedeutung von rassistischen Vorurteilen
aufseiten von Einzelpersonen zu leugnen, soll das strukturelle
Verhältnis von anti-muslimischem Rassismus stärker beleuchtet werden.
Der Begriff der Rasse wird hier nicht als eine real existierende
Kategorie verstanden. Somit ist der Rassenbegriff nicht eine
Voraussetzung von Rassismus, sondern ein Ergebnis von Rassismus. Die
Essentialisierung des Muslimisch-Seins wird damit als funktional für die
Herstellung eines Machtverhältnisses verstanden. Anti-muslimischer
Rassismus dient somit der Aufrechterhaltung von Privilegien für eine
dominante Gruppe, die eine fiktive oder reale Gruppe von MuslimInnen
problematisiert, um ihre eigenen Privilegien zu verteidigen. Das lässt
aber noch die Frage offen, wann und wo dieser Rassismus seine Anfänge
genommen hat.

Globale Machtkonstellationen prägen Islamfeindlichkeit

Darauf versucht insbesondere die dritte Erklärung eine Antwort zu
geben. AutorInnen, die sich der Schule des dekolonialen Ansatzes
zugehörig betrachten, begreifen antimuslimischen Rassismus durch eine
bestimmte historische und globale Perspektive. Sie gehen davon aus, dass
die heutige Form von Rassismus insbesondere mit der Entdeckung Amerikas
durch den Weißen Mann seinen Ausgang gefunden hat. Mit 1492 wurde nicht
nur der Grundstein für die Selbstimagination Europas als christlicher
weißer Kontinent gelegt, indem das Jüdische wie auch das Muslimische aus
Andalusien verbannt wurde. Gleichzeitig wurde mit dem Landraub
Amerikas, der Versklavung afrikanischer Schwarzer und dem Kolonialismus
der Grundstein für eine weltwirtschaftliche Vorherrschaft des Weißen
Mannes gelegt. Die rassistische Differenzkonstuktion des Anderen –
Jüdischen, Muslimischen, Schwarzen wie auch des Weiblichen – ist mit
dieser Vormachtstellung des Weißen Mannes direkt verbunden. In den
Worten von Achille Mbembe ist damit Islamfeindlichkeit letztendlich eine
expansive Ausweitung der kolonialen Ordnung. Zwar gibt es lange davor
schon antimuslimische Stereotypen, die in einem sich christlich
verstandenen Europa verwendet wurden, um etwa für die Kreuzzüge zu
mobilisieren. Jedoch ging damit noch nicht der Beginn einer
weltumspannenden Vormachtstellung des Weißen Mannes einher.

Alle drei Perspektiven erlauben eine bestimmte analytische
Perspektive auf die Problematik des antimuslimischen Rassismus. Nun mag
die konkrete Färbung oder Ausformung des antimuslimischen Rassismus in
verschiedenen Ländern unterschiedlich sein. Insbesondere der zweite und
dritte Zugang lenken dabei aber die Aufmerksamkeit auf (globale)
Machtkonstellationen, die die Formationen der Islamfeindlichkeit prägen.
Davon sind auch Länder mit muslimischen Bevölkerungsmehrheiten nicht
ausgeschlossen. Zuletzt haben Enes Bayraklı und ich das erste Werk seiner Art veröffentlicht,
in dem wir uns mit Islamophobie in Ländern auseinandersetzen, die
mehrheitlich oft als Teil der islamischen Welt betrachtet werden.
Postkoloniale Strukturen und epistemischer Rassismus, der die Norm von
Denken und Handeln um die Erfahrungen des Weißen Mannes positioniert,
sind dabei wesentliche Faktoren, die die Islamfeindlichkeit in
mehrheitlich von MuslimInnen bewohnten Ländern angetrieben haben.

Islamberichterstattung bereits vor dem 11. September negativ

Während in der breiten Öffentlichkeit oftmals der Eindruck besteht,
dass Islamfeindlichkeit auf islamistisch markierten Terrorismus
zurückgehe, bestätigen unzählige Studien über die
Islamberichterstattung, dass diese Annahme falsch ist. Zwar hat die
Berichterstattung über den Islam und die MuslimInnen nach 1979 mit der
Revolution im Iran zugenommen, was mit 9/11 weiter an Fahrt gewonnen
hat.

Studien zeigen, dass die Islamberichterstattung bereits lange vor dem
11. September 2001 tendenziell negativ war. Insbesondere mit dem Ende
des Ost-West-Konflikts wurde ein neues Paradigma eingeführt, um die Welt
und die politischen Konflikte auf ihr neu zu deuten. Nicht mehr die
weltanschauliche Grenze von Kommunismus vs. Freie Welt, Ost vs. West,
sondern jene um Kultur und Religion wurde bedient, um Konflikte auf dem
Globus zu deuten. Samuel P. Huntington, der auch während des
Ost-West-Konfliktes eine wichtige Rolle als Theoretiker spielte, sollte
mit seiner Theorie „Kampfes der Kulturen“ (Clash of Civilizations) die
passende Antwort auf die Zeit nach dem Kalten Krieg anbieten. Er steht
dabei neben einer Reihe anderer bedeutender Autoren wie etwa Bernard
Lewis. Diese Debatten prägen seither die Debatten über den Islam und die
MuslimInnen in unserer Welt.

Illusion, der Islam widerspreche den herrschenden Ordnungen

Die zentrale Frage, die aufgeworfen wird, ist, ob es einen Platz für
die MuslimInnen in unserer Welt gibt. Die Volksrepublik China hat für
den westlichen Teil in Xingjang
eine eindeutige Antwort darauf gefunden. Es gibt keinen Platz in dem
kommunistischen Reich für eine islamische Identität. In muslimischen
Ländern ist es oftmals wie in den Ländern des Globalen Nordens eine
disziplinierte islamische Identität, die sich der Grammatik der
herrschenden Ordnung unterstellt und diese nicht in Frage stellt, welche
geduldet wird. Wobei auch hier anzumerken ist, dass die Idee, dass „der
Islam“ nicht in die herrschende Ordnung passt, eine zutiefst in
westlichen Ländern anzufindende Theorie ist. Der Islam, so scheint es,
widerspreche den herrschenden Ordnungen, sei dies nun die liberale
und/oder säkulare Ordnung im Westen, oder die kommunistische Ordnung im
Osten. Was beide gemein haben ist, dass zur Herstellung dieser
Vorstellungen jeweils Diskurse entstehen, die „den Islam“ mit all diesen
weltanschaulichen Ordnungsvorstellungen als unvereinbar postulieren.
Die Semantik des Diskurses ist dabei zweitrangig. Primär von Bedeutung
ist, dass der Islam scheinbar keinen Platz in der Welt hat.

Diese Gemeinsamkeit eint derzeit auf internationaler Ebene
unterschiedlichste politische Regime. Sie ermöglicht vor dem Hintergrund
des Schweigens der Nobelpreisträgerin und Staatsrätin in Burma, Aung
San Suu Kyi, gegenüber dem Genozid an MuslimInnen ein Treffen mit dem
Premierminister Ungarns, Viktor Orban, der in einem – wenn auch viel
kritisierten – Mitgliedsstaat der Europäischen Union zum dritten Mal in
Reihe regiert. Und das ist nur eines von vielen Beispielen das zeigt,
welche ideologische Kraft Islamophobie neben seiner Funktion der
Aufrechterhaltung und Erweiterung von Machtpositionen innewohnt.

Erstveröffentlichung bei islamiq.de