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DIE “ZERGLIEDERUNG DES MOHRENKÖRPERS” – VON DER EUROPÄISCHEN LÖSUNG EINES MORALISCHEN DILEMMA

Von Sami Omar, Belltower, 22. Oktober 2018. Die Wurzeln
des deutschen und europäischen Rassismus sind Teil der DNA der westlichen
Philosophie, Theologie und Wissenschaft. 

Immanuel Kant, Kupferstich
Preußische Provinzial-Blätter, Band 10, Königsberg 1837, gemeinfrei


Samuel Thomas Soemmering (1755–1830)
legt seine Stirn in Falten. Gerade hat er einen „Mohrenkörper zergliedert“ und
nun drängt die Zeit. Das Auditorium im Kasseler Ottoneum, wartet gespannt auf
seinen Professor der Anatomie, während dieser eine Entscheidung zu treffen hat.
Er möchte an dem „Mohrenkörper“ die anatomische Nähe des „Mohrengeschlechtes“
zu den Affen darstellen. Diese glaubt er in vielen Stunden der Zergliederung
von „Cadavern“ nachgewiesen zu haben. Die Leichname kommen von der Kasseler
Wilhelmshöhe, wo eine „Mohrenkolonie“ gehalten wird. Sie besteht aus 50
versklavten Menschen verschiedener afrikanischer Länder, die hessische Truppen
aus Amerika mitgebracht hatten. Doch wie bekommt Soemmering nun diesen Körper
von seinem anatomischen Theater in das Ottoneum? Der Körper ist zu groß und
schwer für einen Transport. Was es zur Darstellung der engen kreatürlichen
Verwandtschaft des „Negers“ zum Affen braucht, ist allein der Schädel, stellt
er mit Erleichterung fest. Der Körper ist nicht von Nöten! Und so trennt er
kurzerhand den Schädel vom Leib ab und nimmt ihn mit in die Vorlesung.
„Bey meinem Aufenthalt zu Hessen-Cassel
zergliederte ich mit Muße mehrere Mohrenkörper“, schrieb Soemmerring in diesen
Jahren und hatte dabei stets eine klar formulierte Frage, eine
wissenschaftliche Zielsetzung im Blick: „Wie wärs, wenn sich anatomisch darthun
ließe, daß die Mohren weit näher als wir Europäer ans Affen-Geschlecht
gränzen?“. Die Antwort auf diese rhetorische Frage lautete aus der Sicht vieler
seiner Zeitgenossen: fantastisch!
Denn mit der Verschleppung, Misshandlung
und Versklavung afrikanischer Menschen durch europäische und amerikanische
Europäer sahen sich diese stark christlich geprägten Gesellschaften mit einem
moralisch-ethischen Problem konfrontiert. Das christliche Gebot der Liebe zum
Nächsten ging mit der Unterjochung und Misshandlung „fremder Völker“ nicht gut
zusammen. Es kam die Frage auf, ob man sich nicht an ihnen versündige und damit
wider seinen eigenen Glauben handelt. Die Lösung für dieses Problem brachten
Wissenschaftler wie Samuel Thomas Soemmering und Philosophen wie Immanuel Kant.
Durch die Entmenschlichung, die Animalisierung der Afrikander konnten diese
nicht zu den „Nächsten“ zählen, die das Christentum den Christen zu lieben geheißt.
Die Zuwendung der Wissenschaft zum Menschen, seiner Anatomie, seinem Körper und
dessen Gebrechen, seiner Erscheinungsformen und Distinktionen wurden also stark
von der Frage angetrieben, wo der Europäer in der göttlichen Schöpfung steht.
Eine Frage, die über Moral und Unmoral, über Sünde und Tugend entschied – und
über sehr großen Reichtum! Die Trennung des Afrikanders vom Menschen schien die
beste Möglichkeit, Christ und Menschenhändler zugleich sein zu können.
Schon der Arzt François Bernier (1625-1688)
arbeitete an einem Ranking der Menschenrassen und legte den Grundstein für die
Überlegung, den Afrikaner zum Verbindungsstück, zur Zwischenform von Affe und
Mensch zu machen. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) war der Meinung:
„Der Neger stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und
Unbändigkeit dar. […] Es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem
Charakter zu finden.“
Immanuel Kant (1724-1804) schrieb: „Die
Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die
gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer,
und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften. […] Die
Negers von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische
stiege.“
Die Reduktion des Afrikaners zur
kreatürlichen Zwischenstufe vom Affen zum Menschen bot christlichem Handeln in
der Kolonialisierung afrikanischer Staaten später auch die Möglichkeit, die
Unterjochung und wirtschaftliche Nutzbarmachung der Bevölkerung der Kolonien in
einen Akt christlicher Gnade, christlichen Dienstes an den „Geringsten“ der
Schöpfung um zu deuten. Worin sonst, als in dem Dienst am „Geringsten“ kann der
Christ seinen Gottesdienst am lebendigsten leben. Das „Gleichnis vom Gericht
des Menschensohnes über die Völker (Mt 25,31–46 EU)“ gibt Anlass dazu, sich
seines rechten Handelns zu vergewissern. Darin lädt Gott (der König) die zu
seiner Rechten sind, in sein Reich ein:
„Denn ich war hungrig und ihr habt mir
zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war
fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt
mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im
Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.“
Die Gleichzeitigkeit der Ausbeutung und
der gnädigen Zuwendung, der Reduktion des Menschen in seiner Wertigkeit und der
Betonung seiner Zugehörigkeit zu Gottes Schöpfung legt hier den Grundstein
aller christlich-kolonialen Rechtfertigungsstrategien.
Über die Jahrhunderte verschob sich die
Missachtung schwarzer Menschen in Mitteleuropa nur wenig. In den
Menschenschauen mitteleuropäischer zoologischer Gärten wurden Schwarze Menschen
ausgestellt, die für die Exotik der Kolonien werben und zur Anschauung des
Fremden, Wilden dienen sollten. Wissenschaftler und Philosophen waren in weiten
Teilen auch in Deutschland nach 1945 noch von der Vorstellung des „Negers“ als
rückständig und zur Vernunft unbegabt durchdrungen. Hanna Ahrend schrieb davon,
dass der biblische Mythos von der Entstehung des Menschengeschlechtes auf eine
harte Probe gestellt worden sei, als „Europäer in Afrika und Australien zum
erstenmale mit Menschen konfrontiert waren, die von sich aus ganz offenbar
weder das, was wir menschliche Vernunft, noch was wir menschliche Empfindungen
nennen, besaßen, die keinerlei Kultur, auch nicht eine primitive Kultur,
hervorgebracht hatten, ja, kaum im Rahmen feststehender Volksgebräuche lebten
und deren politische Organisation Formen, die wir auch aus dem tierischen
Gemeinschaftsleben kennen, kaum überschritten.“
In heutigen Debatten über Migration aus
afrikanischen Ländern nach Europa greifen letztlich dieselben Mechanismen der
zweckdienlichen Entmenschlichung. Die Reduktion Afrikas auf Armut, Krankheit
und Debilität hat deshalb System, weil sie die mitteleuropäische Gesellschaft
vom Gebot der Solidarität unter Menschen entbindet. Die Wertigkeit, die an
afrikanisches Leben aus europäischer Sicht gebunden ist, reduziert sich und
macht es somit möglich, Fluchtbewegung und Tod hinzunehmen und gleichzeitig das
Selbstbild als christliche-humanistische, als aufgeklärte Gesellschaft aufrecht
zu erhalten. Das Gebot der Nächstenliebe ist hier in dem Gebot der
gesellschaftlichen Solidarität aufgegangen. Je mehr nun diese Gesellschaft sich
als Volk, als homogene Entität versteht, desto weniger stört sie das Sterben
derer, die ihr nicht angehören. Nach diesem Verständnis sind alle Schwarzen
Menschen in Deutschland in Gefahr!