Hilfsgelder für die Rüstungsindustrie – Deutschland und Griechenland
von German FOREIGN POLICY, 24. Februar 2017.
Neue Prozesse gegen deutsche Rüstungsmanager wegen gravierender Korruption bei Waffenexporten nach Griechenland haben begonnen. Die Staatsanwaltschaften in München und Bremen haben Anklage gegen ehemalige Führungsfunktionäre der Rüstungsfirmen Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann (KMW) erhoben; ihnen wird vorgeworfen, persönlich für die Zahlung von Bestechungsgeld für profitable Aufträge zur Lieferung von Panzern und einem Luftabwehrsystem verantwortlich zu sein. Einige der Aufträge besaßen für die deutschen Waffenschmieden hohe Bedeutung, weil sie halfen, Finanzierungslücken zu decken.
In Griechenland hingegen haben sie immensen Schaden angerichtet, weil sie vor und während der Kriseneskalation den Staatshaushalt mit beträchtlichen Summen belasteten; letztlich mussten sie mit sogenannten Hilfsgeldern bezahlt werden. Von den neuen Prozessen ist womöglich Aufklärung, aber keine Entlastung für Griechenland zu erwarten: Zwar ermittelt auch die griechische Justiz; doch werden etwaige Bußgelder bei Verurteilungen in München und Bremen nicht in die griechische, sondern in die deutsche Justizkasse gezahlt.
Gefälligkeiten
Die deutsch-griechischen Rüstungsgeschäfte, die Gegenstand der aktuellen Korruptionsprozesse sind, sind durchweg Ende der 1990er Jahre angebahnt worden. Griechenland leitete damals gerade eine neue Phase der Aufrüstung ein. Auslöser war der “Ímia-Zwischenfall”, ein Konflikt mit der Türkei um zwei unbewohnte Felsen im Meer zwischen der griechischen Insel Kálimnos und dem türkischen Festland bei Bodrum, der Anfang 1996 um ein Haar zu einem Krieg zwischen den zwei NATO-Verbündeten eskaliert wäre. Rund ein Viertel der milliardenschweren Rüstungsaufträge, die Athen nach dem “Ímia-Zwischenfall” vergab, gingen an deutsche Waffenschmieden. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Ende der 1990er Jahre in der EU über einen möglichen griechischen Beitritt zur Eurozone diskutiert wurde; auf deutschen Druck und gegen starke Widerstände wurde er schließlich auf dem EU-Gipfel am 19. Juni 2000 gewährt. Ob die Rüstungsdeals dazu beigetragen haben, Berlin für die Athener Euro-Mitgliedschaft einzunehmen, ist nicht belegt; Tatsache ist aber, dass sie Teil einer ganzen Reihe griechischer Gefälligkeiten gegenüber Deutschland waren, die das Klima zwischen beiden Staaten sicher nicht verschlechtert haben: Athen hob sein jahrelanges Veto gegen die von Berlin geforderte Aufwertung der Türkei zur EU-Beitrittskandidatin auf; deutsche Konzerne erhielten milliardenschwere Aufträge für die olympischen Spiele 2004 in Athen; und am 14. September 2001 entschied das Oberlandesgericht Athen, eine Zwangsvollstreckung deutscher Liegenschaften in Griechenland zur Entschädigung von NS-Opfern setze eine Einwilligung des griechischen Justizministers voraus – was sie faktisch bis heute verhindert.
Konjunkturprogramme
Für die deutschen Rüstungsfirmen sind die Ende der 1990er Jahre in die Wege geleiteten Aufträge aus Griechenland in einigen Fällen von erheblicher Bedeutung gewesen. Das trifft beispielsweise auf die vier U-Boote der Klasse 214 zu, deren Verkauf an die griechische Marine die deutsche HDW (heute: ThyssenKrupp Marine Systems, TKMS) in den Jahren 2000 und 2002 vertraglich beschließen konnte. HDW begann Ende der 1990er Jahre mit dem Bau von Brennstoffzellen-U-Booten für die Bundesmarine; die Lieferung der gleichfalls mit Brennstoffzellen abgetriebenen U-Boote der Klasse 214 an Athen half, die immensen Entwicklungskosten wenigstens zum Teil im Ausland einzutreiben. Der Verkauf von 170 Kampfpanzern Leopard 2 an Athen sei wiederum für die Panzerschmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW) “ein willkommenes Konjunkturprogramm” gewesen, urteilen Beobachter.[1] Während KMW damit 1,7 Milliarden Euro verdiente, kassierte HDW/TKMS für die U-Boote 2,1 Milliarden Euro. Die Zahlungen verzögerten sich über mehrere Jahre; größere Beträge wurden mit Hilfe der Bundesregierung noch ab 2010 eingetrieben, als Griechenland bereits tief in die Krise abgeglitten war und die sogenannten Hilfsgelder aus Brüssel nutzen musste, um die Rechnungen bei der deutschen Rüstungsindustrie begleichen zu können.[2]
Korruptionsprozesse
Die bemerkenswerten Begleitumstände, die halfen, die deutsch-griechischen Waffendeals unter Dach und Fach zu bringen, sind bereits in mehreren Korruptionsprozessen behandelt worden und nun Gegenstand zweier weiterer Verfahren. Die juristische Aufarbeitung des Geschehens ist möglich, weil in Griechenland diverse Beteiligte ihr Schweigen gebrochen und gegenüber der Justiz umfassend ausgesagt haben. Dies hat Prozesse zunächst in Griechenland und dann auch in Deutschland ausgelöst. Einer davon betraf den Verkauf des Flugabwehrsystems Asrad durch die zwischenzeitlich von Rheinmetall übernommene Bremer Firma STN Atlas an die griechischen Streitkräfte. Das Geschäft spülte 150 Millionen Euro in die Kasse von STN Atlas bzw. (ab 2003) Rheinmetall Defence Electronics (RDE). Um den profitablen Auftrag zu erhalten, zahlten Atlas bzw. RDE laut Angaben der Bremer Justiz 3,3 Millionen Euro. Tatzeitraum sind demnach die Jahre von 1998 bis 2011 gewesen. Rheinmetall hat bereits nach einem ersten verlorenen Prozess in Bremen Ende 2014 rund 37 Millionen Euro zahlen müssen – den illegal erzielten Profit (36,77 Millionen Euro) plus ein Bußgeld von 300.000 Euro. Nun hat jedoch die Bremer Staatsanwaltschaft zusätzlich Anklage gegen fünf Rheinmetall-Manager persönlich erhoben. Das sei unumgänglich, da die Betroffenen sich auch individuell schuldig gemacht hätten, heißt es zur Begründung.[3]
Nützliche Beziehungen
Eine weitere Anklage hat die Münchner Staatsanwaltschaft erhoben. Gegenstand ist der Verkauf von 24 Panzerhaubitzen 2000 an die griechischen Streitkräfte durch KMW. Das deutsche Unternehmen kassierte dafür 188 Millionen Euro. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass auch für diesen Auftrag Schmiergelder geflossen sind – und zwar auf dem Umweg über ein ominöses “Büro für Südosteuropaberatung”, das eigens dazu gegründet worden sein soll. Inhaber des Büros waren die beiden ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Dagmar Luuk und Heinz-Alfred Steiner. Luuk hatte dem Parlament von 1980 bis 1990 angehört und war unter anderem für den Kontakt zur griechischen Schwesterpartei PASOK zuständig gewesen; Steiner, von 1980 bis 1994 im Parlament, hatte zuletzt als stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses gewirkt. Beide sollen enge Kontakte zu Ákis Tsochatzópoulos unterhalten haben, der von 1996 bis 2001, also während der heißen Phase der Rüstungsdeals, in Athen als Verteidigungsminister amtierte; Tsochatzópoulos gehörte zum inneren Kern der PASOK. Über das Luuk/Steiner’sche “Büro für Südosteuropaberatung” sollen laut Angaben der Staatsanwaltschaft von 2000 bis 2005 über fünf Millionen Euro nach Athen geflossen sein, um dort der Panzerhaubitze 2000 den Weg zu bahnen. Im Jahr 2006 konnte das Büro dann aufgelöst werden. Die laut Auffassung der Justiz an dem Deal Beteiligten weisen sämtliche Vorwürfe selbstverständlich zurück – auch der damalige KMW-Geschäftsführer (1999 bis 2005) und heutige KMW-Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Bode, ein Top-Manager der deutschen Rüstungsindustrie, der für sein Wirken das Bundesverdienstkreuz (2007) und den Bayerischen Verdienstorden (2009) erhalten hat.[4]
Hilfreiche Verurteilungen
Dabei könnte sich selbst ein Schuldspruch der deutschen Justiz für die Verantwortlichen noch als recht vorteilhaft erweisen. Gegen sie wird auch in Athen ermittelt; härtere Strafen wären dort durchaus denkbar. In einem vergleichbaren Korruptionsfall versuchten es die Anwälte eines Beschuldigten – es handelte sich um einen Ex-Siemens-Spitzenfunktionär – einem Bericht zufolge zu erreichen, “dass der Ex-Manager in Deutschland so schnell wie möglich per Strafbefehl zu einer Bewährungsstrafe und Geldauflage von knapp einer Million Euro verurteilt wird”: Nur so lasse sich vermeiden, dass ihr Mandant sich “in Athen verantworten muss”.[5] Denn da in Europa niemand wegen derselben Straftat zweimal verurteilt werden dürfe, sei seine Überstellung an die griechische Justiz nach einem Urteil in Deutschland nicht mehr möglich. Dabei können die Beschuldigten auch in den neuen Korruptionsverfahren schon deshalb mit einer geringeren Strafe in der Bundesrepublik rechnen, weil hierzulande Bestechung schon nach fünf Jahren verjährt; im Mittelpunkt der Prozesse könnte deshalb schon bald ein einfacher Steuerbetrug stehen. Ein Nebeneffekt in Deutschland durchgeführter Verfahren ist zudem, dass allfällige Bußgelder nicht in die griechischen, sondern in die deutschen Justizkassen eingezahlt werden; das ist schon mehrfach so geschehen. Noch im Strafprozess nützt damit die Korruption, die Griechenland so sehr schadet, aber deutschen Firmen zu lukrativen Aufträgen verholfen hat, dem deutschen Staat.
Mehr zur deutschen Griechenland-Politik: Lager für Europa (I), Der Schaum der deutschen Diplomatie und Die letzte Boombranche.