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„Bankenregulierung muss ein Thema sein“


von Marlen Hobrack, Der
Freitag
, 07. Dezember 2016. 
Feminismus Katrine Marçal zeigt in ihrem Buch den
größten Fehler der Ökonomie: den Ausschluss der Frauen
 „Wir sind gut in Kritik an
sexistischer Werbung. Aber das ist nicht genug“
Foto: Peter Boer
In Großbritannien trägt ihr Buch den Titel Who Cooked Adam Smith’s Dinner?,
was ziemlich gut auf den Punkt bringt, worum es Katrine Marçal geht: Frauen und
ihre meist unbezahlte Arbeit in ökonomische Betrachtungen zu integrieren. Die
33-jährige schwedische Autorin und Wirtschaftsjournalistin schreibt darin über
fehlgeleitete Wirtschaftswissenschaften, absehbare Krisen und die Rolle des
Patriarchats. In diesem Jahr ist ihr Buch unter dem Titel Machonomics. Die Ökonomie und die Frauen auch auf
Deutsch erschienen.
der
Freitag: Frau Marçal, was war denn die ursprüngliche Intention Ihres Buches:
eine Geschichte der Ökonomie zu liefern oder deren Ausklammerung der Frauen zu
thematisieren?
Katrine
Marçal: 
Ich habe im Zuge der
Finanzmarktkrise viel über Ökonomie und die Frage, warum wir Ökonomen so sehr
vertrauen, nachgedacht. Besonders hat mich die Sprache der Ökonomie beschäftigt
und wie die verwendeten Fachbegriffe „normale Menschen“ entfremden. Also
entstand die Idee, ein Buch über Ökonomie zu schreiben für Menschen, die
normalerweise nicht den Economist oder das Wall Street Journallesen. Dass dieses Buch eine
feministische Perspektive enthalten würde, war für mich selbstverständlich und
ergab sich aus dem Nachdenken über den economic man. Im
Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise wurde mir klar, dass deren Ursachen ohne
die Behebung des fundamentalen Fehlers der Ökonomie – der Ausschluss von Frauen
– nicht behoben werden können.
Vielleicht erläutern Sie zunächst, was der „economic man“ ist.
Der economic man ist die Annahme, die ökonomische
Standardtheorien über Menschen in der Wirtschaft machen. Es geht also um den
Teil menschlicher Entscheidungen, der ökonomisch relevant ist. Zu den
Grundannahmen gehört, dass Menschen rational agieren, egoistisch und autonom
handeln und dass weder Familie noch Beziehungen unsere ökonomischen Entscheidungen
beeinflussen. All diese Annahmen wurden spätestens seit den 70er Jahren
kritisiert. Offenkundig agieren Menschen nicht so. Jedenfalls nicht
ausschließlich.
Dieselbe Rationalität, die dem ökonomischen Menschen unterstellt wird, wird
ja auch für „die Märkte“ angenommen.
Ja, der Markt ist immer rational, der Markt hat immer recht. Das ist die
Ideologie, die die Finanzmarktkrise erschaffen hat. Also ging ich zurück zum
Begründer der modernen Ökonomie, Adam Smith, und zu seinem Buch Der Wohlstand der Nationen von 1776, in dem er fragt:
Wie bekommt man sein Abendessen auf den Tisch? Die berühmte Antwort lautet: Es
ist nicht das Wohlwollen des Kochs, des Metzgers, des Bäckers; es ist das
Eigeninteresse der ökonomischen Akteure, das uns unser Abendessen beschert. Das
Eigeninteresse wurde eine grundlegende Kategorie der Ökonomie. Aber man muss
nur Smiths Leben betrachten und die Tatsache, dass seine Mutter seinen Haushalt
organisierte und ganz sicher etwas damit zu tun hatte, dass er sein Abendessen
bekam. Dann stellt sich die Frage: Tat sie das aus Eigeninteresse?
Wenn die Theorie einen so entscheidenden Fehler hat, warum hält sich das
Bild des „economic man“ bis heute?
Er ist eine schöne Idee. Es ist,
wie wenn wir einen Hollywood-Film mit Clint Eastwood als Cowboy ansehen. Ein
wenig wollen wir alle so sein: kühl, unabhängig. Vielleicht hat jeder von uns
einen kleinen Clint Eastwood in sich. Natürlich handeln wir oft wie der
ökonomische Mensch. Wir können sehr rational agieren, zum Beispiel, wenn wir
das Gehalt mit dem Chef verhandeln oder im Supermarkt einkaufen. Man kann viele
Vorgänge mit diesem Modell betrachten. Aber es beschreibt eben nur einen Teil
unseres Verhaltens; wir haben diesen kleinen Teil genommen und ihn zum
grundlegenden Erklärungsmodell für alle ökonomischen Entscheidungen gemacht und
den Menschen darauf reduziert. Aufgrund dieser falschen Grundannahme erhalten
wir ein völlig verfälschtes Bild von unserer Ökonomie.
Schon im Begriff „economic man“ fallen Mann und Mensch zusammen. Geht es
eher um ein Bild vom Menschen oder eines vom Mann? Gibt es einen Unterschied
zwischen Frauen und Männern, der sich dann eben auch in der Ökonomie zeigt?
Wenn Sie sich Studien ansehen,
dann kommen einige – nicht alle – zu dem Ergebnis, dass Frauen Risiken eher
scheuen. Egal, ob etwa am Finanzmarkt oder als Führungskräfte in der
Wirtschaft, in der Politik. Denken Sie an Angela Merkel oder Theresa May.
Allerdings ist es schwer, zu sagen, wie viel davon wirklich in unserem Gehirn
verankert ist und welchen Anteil die Gesellschaft hat. Das ist aber gar nicht
die entscheidende Frage. Denn weder Frauen noch Männer entsprechen dem Bild des
ökonomischen Mannes. Auch Männer haben einen Fürsorge-Instinkt und wollen ihre
Kinder versorgen. Es ist das Patriarchat, das menschliche Grunderfahrungen
zwischen den Geschlechtern aufteilt. Einige Erfahrungen stehen dann auf dieser
Seite – Rationalität, Egoismus – und andere Erfahrungen stehen auf der anderen
Seite wie Altruismus und Fürsorglichkeit. Es erscheint fast so, als hätten wir
Angst davor, dass Menschen immer beides sind. Wir sind all das, und das ist es,
was Modelle kompliziert und unordentlich macht, was Gesellschaft schwierig und
unordentlich macht. Wir trennen so gern in weibliche und männliche
Verhaltensweisen, weil das Ordnung in das System bringt. Das Gleiche gilt für
die Ökonomie: Die Annahme von Rationalität macht das Modell so viel einfacher.
Auf dem Arbeitsmarkt sieht es immer noch so aus, dass die Care-Jobs, die
sozialen Berufe, mehrheitlich von Frauen ausgeübt und schlecht bezahlt werden.
Sind wir Frauen selbst schuld, wenn wir die falschen Berufe wählen?
Ich denke nicht, dass Frauen die
falschen Berufe wählen. Es handelt sich um sehr wichtige Berufe, die leider
viel zu wenig wertgeschätzt werden. Über den größten Teil der Geschichte hinweg
wurden diese Jobs zu Hause ausgeübt und waren unbezahlte Tätigkeiten. Erst in den
letzten 100 Jahren wurden sie Teil des Arbeitsmarktes. Aber weil Frauen diese
Berufe zuvor kostenlos ausgeübt hatten, war und ist der Anreiz, sie heute
leistungsgerecht zu entlohnen, sehr gering. Umgekehrt geht es nicht nur um die
Berufswahl: Wenn Frauen ein männerdominiertes Berufsfeld erobern – in Schweden
zum Beispiel den Beruf des Vikars, der heute eher von Frauen ausgeübt wird –,
dann sinkt oft die Entlohnung.
Müssten wir nach einem halben Jahrhundert Frauenbewegung nicht viel weiter
sein?
Vielleicht muss der Feminismus
besser darin werden, die ökonomischen Zusammenhänge zu kritisieren. Ich fände
es toll, wenn mehr Feministinnen in der ökonomischen Debatte mitmischten. Wir
sind sehr gut darin, sexistische Werbung oder die Mode-Industrie zu kritisieren.
Wir mischen uns viel weniger ein, wenn es etwa um die europäische
Bankenrichtlinie Basel IV geht. Aber genau dort sollten Feministinnen mitreden.
Andererseits müssen wir die Dinge auch in die richtige Perspektive setzen: Der
Feminismus ist die erfolgreichste soziale Bewegung der letzten 200 Jahre. Die
Veränderungen, die sich für Frauen in den letzten 60 Jahren ergeben haben, sind
unglaublich. Und die Dinge haben sich in den letzten 60 Jahren wahrscheinlich
stärker verändert als in den letzten 6.000 Jahren.
Aber wie Sie schon sagten: Gerade in der ökonomischen Debatte sind
feministische Stimmen rar. Warum haben dort feministische Ökonomen und
Ökonominnen keinen stärkeren Einfluss?
Das ist eine sehr wichtige Frage.
Feministische Ökonominnen und Ökonomen waren bis jetzt nicht in der Lage, aus
ihrem Bereich auszubrechen und in die Mainstreamökonomie einzudringen. Auch
ganz konkrete Vorschläge wie der, Hausarbeit in das Bruttoinlandsprodukt
einzubeziehen, stoßen noch immer auf sehr vehemente Ablehnung. Seit 40 Jahren
gibt es diese konkrete Forderung, aber es heißt immer noch, sie sei aus
technischen Gründen unmöglich zu erfüllen. Tatsächlich aber wird das einfach
nicht gewollt.
In Deutschland begann man vor einigen Jahren, die klassische „Hausfrau“ als
„Familienmanagerin“ zu bezeichnen. Trägt das nicht die ökonomischen Ideen
dorthin, wo sie nichts zu suchen haben – in die Familie?
Ja, das stimmt. Aber um bestimmte
Themen in der öffentlichen Debatte setzen zu können, ist es sinnvoll, sie in
einer Sprache zu artikulieren, die von Menschen ernst genommen wird – in diesem
Fall in der ökonomischen. Natürlich müsste man idealerweise einen ganz eigenen
Begriff erfinden, der die harte Arbeit, die geleistet wird – ich habe ein Baby,
ich weiß, dass das harte Arbeit ist –, anerkennt, ohne die Sprache aus der
Arbeitswelt zu benutzen, aber das ist sehr schwierig. Wenn ich aber wählen
müsste zwischen „Hausfrau“ und „Familienmanagerin“, würde ich definitiv die
Familienmanagerin wählen.
In einem Jennifer-Lopez-Song heißt es: „I ain’t gon’ be cooking all day, I
ain’t your mama“. Eine Absage an das Lebensmodell von Adam Smiths Mutter. Um
die ökonomische Welt zu verändern, müssen wir als Mütter also vor allem bei der
Erziehung unserer Söhne etwas ändern.
Ja, es geht nicht nur darum, unsere Mädchen ein wenig mehr „wie Jungs“ zu
erziehen, sondern auch darum, unsere Jungs mehr wie Mädchen zu erziehen. Im
Feminismus geht es darum, alle Menschen zu befreien und uns zu erlauben, das
ganze Spektrum menschlicher Erfahrungen unabhängig von unserem Geschlecht zu
erleben. Aber es geht nicht nur um einen Einstellungswandel. Wir reden
schließlich über ein ganzes ökonomisches System, das global existiert und auf
unbezahlter Frauenarbeit basiert. Es geht nicht nur um Sie und mich und unsere
Einstellung. Es geht um die globale Ökonomie und um die Interessen der
Mächtigen, die vom bisherigen System profitieren.