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Religionspolitiker reden über Muslime ohne Muslime

Religion, Exzellenzcluster, Politik, Diskussionsrunde
Die Teilnehmer der Diskussionsrunde (v.l.) Moderator Joachim Frank,
Thomas Sternberg (CDU), Rektorin Ursula Nelles, Kerstin Griese (SPD),
Volker Beck (Die Grünen), Ulrich Willems © Exzellenzcluster „Religion
und Politik“/Sarah Batelka
von MiGAZIN, 30. Juni 2016. Religionspolitiker mahnen bei einer Diskussion an der Uni-Münster offenere Debatten über und mit Religionen an. Uni-Rektorin betont Bedeutung des Dialogs. An der Diskussion ist aber kein
Der Grünen-Politiker Volker Beck vermisst bei den großen Islamverbänden in Deutschland die Ausrichtung ihrer Identität nach einem religiösen Bekenntnis. „Unter dem Dach von Ditib oder Islamrat findet nicht nur Religion statt, sondern auch sehr viel türkische Politik. Politik, Sprache und Herkunft prägen stark die Identität und Grenzen der Verbände“, sagte der religionspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Volker Beck am Dienstagabend in Münster. Zentrales Identitätsmerkmal der Verbände sei bisher nicht ein jeweiliges, theologisch begründetes Glaubensbekenntnis, sondern seien etwa ihr Verhältnis zur Türkei oder andere Herkunftsbezüge. „Voraussetzung für den Körperschaftsstatus, den die Verbände anstreben, ist aber die Organisation nach dem religiösen Bekenntnis. Dieses Recht haben nur Religionsgemeinschaften, nicht religiöse Vereine. Da müssen wir klar bleiben.“
Das deutsche Religionsverfassungsrecht sei erfreulich pluralitätsoffen für unterschiedlichste Religionen und Gemeinschaften, für weit mehr als etwa für die christlichen Kirchen, sagte Beck. Doch für den Körperschaftsstatus gebe es klare Regeln. Wer sie wolle, bekomme Rechte, aber auch Pflichten. „Körperschaften üben öffentliches Recht aus und sind weitgehend staatlicher Aufsicht entzogen. Wir müssen uns schon fragen, ob wir der staatlichen Religionsbehörde in Ankara dies über die Ditib einräumen wollen, obwohl sie ein von Ankara beeinflusster religiöser Verein ist und keine Religionsgemeinschaft. Muslimisch sein ist eine religiöse Identität, türkisch sein ist es nicht. Es ist eine Herkunft oder Nationalität.“ Wer hingegen Gottesdienste feiern und den eigenen Riten nachgehen wolle, brauche den Körperschaftsstatus nicht. „Die Glaubensfreiheit ist auch für die Gläubigen garantiert, deren Glaubensgemeinschaft nicht staatliche Anerkennung erhalten haben.“ Beck äußerte sich auf dem Podium „Reformdruck in der Religionspolitik?“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“.
SPD-Politikerin warnt vor Entfremdungstendenzen
Die SPD-Politikerin Kerstin Griese warnte mit Blick auf die Zuwanderungsdebatte davor, in der Integrations- und Religionspolitik die gleichen Fehler wie in früheren Jahrzehnten zu machen. „Wir brauchen eine Debatte über Religionen, sonst gibt es Entfremdungstendenzen“, unterstrich die Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion. „Die Menschen bringen ihre Religion mit, die religiöse Landschaft wird vielfältiger. Daher brauchen wir gesellschaftliche Aushandlungsprozesse darüber, wie wir mit verschiedenen Religionen umgehen wollen.“ Derzeit werde immer heftiger polemisiert, etwa aus AfD-Richtung. „Es kann nicht sein, dass die öffentliche Forderung nach flächendeckendem islamischem Religionsunterricht an Schulen einen Shitstorm im Internet auslöst.“
Griese betonte wie Volker Beck, dass das Religionsverfassungsrecht offen für eine Einbindung anderer Religionen wie den Islam sei. „Wir brauchen aber weniger abstrakte Debatten mit Muslimen, als offene Gespräche über konkrete Fragen, etwa über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, den Kampf gegen Fundamentalismus in den eigenen Reihen oder zur Einstellung zum Staat Israel.“ Wenn Integration gelingen solle, müsse miteinander gesprochen werden. Die Vielfalt des Islams werde durch Zuwanderung wachsen, auch die des Christentums. „Bei uns leben künftig mehr arabische Muslime und aramäische Christen, die oft einer orthodoxen Kirche angehören. Sie machen Deutschland vielfältiger. Wir werden künftig muslimische Wohlfahrtsverbände, Altenheime oder Kliniken haben. Der Diskussion, die auf dem Weg dahin liegt, müssen wir uns unbedingt stellen.“
Religionsfreundliches deutsches Modell gewürdigt
Der CDU-Politiker Thomas Sternberg hob hervor, wie wichtig angesichts wachsender Polarisierungen in der Gesellschaft das deutsche, religionsfreundliche Modell einer Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften sei. „Die im Grundgesetz festgeschriebene Religionsfreiheit gilt für alle Religionen, auch für den Islam“, unterstrich der Politiker. „Das ist entscheidend in einer Zeit, in der der gesellschaftliche Konsens über Grundwerte wegbricht.“ Der Politiker verwies auf die Lage in Frankreich. „Der strenge Laizismus in Frankreich funktionierte solange, wie es unterhalb der staatlichen Ebene eine funktionierende Kirche gab. Mit dem zunehmenden Säkularismus wird es schwierig.“ Der Düsseldorfer Landtagsabgeordnete unterstrich, auch in Deutschland sagten immer mehr Menschen „Ich glaube nichts, mir fehlt nichts.“ Die Kirchen würden zahlenmäßig kleiner. „Doch ihre gesellschaftliche Bedeutung wird nicht kleiner, sondern eher größer, wenn Grundwerte an Bedeutung verlieren.“
„Ungleichheit zwischen Religionen abschaffen“
Die Politiker diskutierten auf dem Podium mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulrich Willems vom Exzellenzcluster über aktuelle Konflikte, Lösungsansätze sowie Grundsatzfragen der Religionspolitik. Der Wissenschaftler warf den Parteien in Deutschland vor, sie hätten das Feld der Religionspolitik vernachlässigt. Religionsfragen stünden seit 25 Jahren auf der Tagesordnung, doch es fehle an politischen Ideen und Phantasie, um tragfähige Lösungen für Konflikte zu finden. Die Debatten um Moscheebau, Kopftuch, Kruzifix, Beschneidung oder Islamunterricht zeigten, wie sehr das Thema polarisiere und kaum politisch gestaltet werde. „Die Parteien in Deutschland sollten Religionspolitik endlich zu einem zentralen Thema machen.“ Der Wissenschaftler forderte vielfältigere Anerkennungsmöglichkeiten, die auch kleinere Religionsgemeinschaften berücksichtigen. „Wer Ungleichheit abschaffen will, muss den Muslimen und Konfessionslosen entgegenkommen und ihnen vergleichbare Möglichkeiten geben wie den Kirchen.“
Einzigartiger Campus der Theologien in Münster
Die Rektorin der Universität Münster, Prof. Dr. Ursula Nelles, hob in ihrem Grußwort die politische Bedeutung des Dialogs der Religionen hervor. An der Diskussion war jedoch kein einziger Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften beteiligt. (eb/exc)