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Fussball & Gewalt machen «Männer»


© Doha
Stadium Plus Qatar-flickr-cc
von Jürgmeier, Infosperber, 29. Mai 2016.
Der Mix aus Fussball, Gewalt und tragischem Abgang macht ihn
endgültig zum Mann & Helden

«Das gehört zum
Fussball.» Der Satz in verzweifelter Stunde – Missverständnis oder
Fehlleistung? Ein Essay zum Cupfinal.
Am Mittwochabend, 25. Mai 2016, gehe ich durchs Zürcher
Kasernenareal Richtung Hauptbahnhof statt am Volkshaus vorbei zum Stauffacher.
Wie meistens. Und weil ich in der von mir geleiteten Gruppe – in der sich
Männer treffen, die mit ihresgleichen nicht nur über Arbeit & Fussball
reden wollen – gewarnt worden bin. Wenn der FCZ absteige, gebe es eine Demo auf
dem Helvetiaplatz, wo sie, wenn, normalerweise politische Parolen rufen. Ich
habe Angst vor der anderen Art von Männergruppen. Ihren Sprüchen. Ihrem
Geschrei. Ihrem Gegröle. Ich radle schon dem Greifensee entgegen, als
niedergeschlagene FCZ-Fans die Spielergarderoben zu stürmen versuchen und
Trainer Uli Forte sowie SRF-Salzgeber aus dem Stadioninnern flüchten.
Fussball!
Ich war nicht immer ein Fussballmuffel. Während der
Schulzeit rannte ich regelmässig diesem Ball nach – der so viel Begeisterung,
Wut und Finanztransaktionen auslöst –, und einige, die mit mir rannten, waren
später richtig erfolgreich. Als Nationalliga-A-Spieler (heute Super League),
einer als Nationaltrainer. Das einzige Mal, als ich einen «grossen»
Fussballmatch besuchte, einen des FC Zürichs übrigens, und das ist vieleviele
Jahre her, liefen kurz vor Matchende die Fans um mich herum auf das Spielfeld.
In meiner Erinnerung sind es ein paar Hundert gewesen, die mich mitrissen, so
dass auch ich plötzlich auf dem Rasen stand. Ich habe danach nie mehr eine
Schweizer Fussballtribüne betreten. Im Münchner Olympiastadion – damals von
berittener Polizei bewacht – war ich nur wegen einer Radioreportage über
Streetworker.
«Das gehört zum Fussball»
Ich bin bereits zu Hause, als Uli Forte in aufgeregter
Stunde den Satz sagt, der mir, für einen Fussballtrainer, als bemerkenswert
& ehrlich in Erinnerung bleibt: «Wir müssen das akzeptieren. Das gehört zum
Fussball.» Damit meint er, laut Tages-Anzeiger vom 26. Mai, die
«Explosion» nach dem Match, der den FCZ in die Challenge League stösst. Für
diese Aussage bekommt er Hiebe. Nicht nur vom Tagi, der «Fortes Aussetzer»
titelt und ihm vorwirft, er geissle «diese Chaoten nicht». In einem ersten
Entwurf dieses Texts notiere ich, Forte werde sich, vermutlich, bald
entschuldigen & erklären, er sei falsch verstanden worden. Nicht einmal 24
Stunden nach der nächtlichen Pressekonferenz postet er auf Facebook: «Mein
Verständnis gegenüber den emotionalen Ausbrüchen und Enttäuschungen der Fans
galt lediglich dem Auspfeifen und höchstens dem Werfen von Gegenständen aufs
leere Spielfeld. Keinesfalls akzeptiere ich jegliche Form von Gewalt und
Sachbeschädigung… Ich entschuldige mich für das Missverständnis.»
Der Satz «Das gehört zum Fussball» – ein Missverständnis,
ein Aussetzer? Oder eine «Fehlleistung», die in der Stunde der Enttäuschung,
Verzweiflung und Gewalt offenbart, was gerne verleugnet wird? Gibt es wirklich
eine klare Trennlinie zwischen dem Fussball, seinen «anständigen» FreundInnen
und den paar «Chaoten», die ihn kaputtmachen? Oder ist die Gewalt im Spiel
& Geschäft Fussball angelegt? Nur, bei den Frauen ist es nicht zu solchen
«Ausschreitungen» gekommen. Aber die FCZ-Spielerinnen haben an diesem
Mittwochabend ja auch den 20. Titel der Vereinsgeschichte gewonnen. Und selbst
wenn es Frauen gibt, die Fussball spielen; obwohl auch Frauen zum Zauberstab
der Gewalt greifen – Fussball & Gewalt machen keine «Frauen», sondern
«Männer».
Fussball macht «Männer»
Fussballstadien sind Orte, an denen Männer zu «Männern»
werden. Der französische Starspieler Zinedine Zidane muss in seinem letzten
WM-Final 2006 in Berlin den Platz vorzeitig verlassen, nachdem er den Italiener
Marco Materazzi (wegen einer Beleidigung) mit einer Kopfattacke zu Boden
geworfen hat. Der Mix aus Fussball, Gewalt und tragischem Abgang macht ihn
endgültig zum «Mann» & Helden, der mit genau diesem Kopfstoss mehrmals in
Bronze gegossen wird.
«Fussball ist ein Männersport» (1), schreibt die türkische
Zeitung Foto-Mac am Morgen der WM-Barrage vom 16. November 2005 in
Istanbul, die am Abend zum «Skandalspiel» wird und den Eidgenossen zum
WM-Ticket verhilft. Unter dem gendernden Titel eine Fotomontage, die vier
Schweizer Spieler als Transvestiten maskiert und der «Weiblichkeit» preisgibt –
klassische (Kriegs-)Strategie, den männlichen Gegner zu demütigen. Nicht nur in
der Türkei wird der Fussballplatz als männliche Sphäre definiert, selbst der
«Hausmann der Nation» Bänz Friedli macht in seiner Kolumne «Meister Proper und
Oli Kahn» klar, wo die Grenze zwischen «Frau» und «Mann» verläuft: «… mir
fehlt die Erfahrung mit Mensbeschwerden, sie interessiert sich kaum für Milan
gegen Bayern …» (2) Nicht nur, dass er den (Haus-)Frauen fussballerisches
Desinteresse unterstellt und damit zur (Re-)Konstruktion traditioneller
Männlichkeiten & Weiblichkeiten beiträgt – mit der direkten Verknüpfung von
Menstruation & Fussballmatch suggeriert er, Fussball liege den Männern
ebenso sehr im Blut wie Frauen die Menstruation.
Die Sprache ist die Theorie, die Gewalt die Praxis
Der sowohl dem preussischen General von Clausewitz als auch
dem Schriftsteller George Orwell zugeschriebene Satz, Fussball sei die
Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, zieht eine direkte Linie zwischen
Fussball, Sport als vormilitärischer Leibesertüchtigung, Armee und Krieg. Die
Sprache des Sportjournalismus erinnert denn auch häufig an Frontberichte, da
ist von Vernichtung des Gegners die Rede, wird die Mannschaft «nach vorne
gepeitscht, um den Gegner auszuschalten, vom Platz zu fegen, wegzubomben,
kampfunfähig zu machen und [ihm] letztendlich den Todesstoss zu versetzen» (3).
Die Spieler «sind Leitwölfe, hart und kaltblütig, die sich den Arsch
aufreissen, wenn nötig mit der Brechstange, um dann mit Granaten um jeden Preis
zu siegen». Der damalige Bundestrainer Michael Skibbe begrüsst den
Hertha-Spieler Arne Friedrich in der deutschen Nationalmannschaft im Oktober
2002 wie einen Soldaten: «Es ist das erste Mal, dass er in einem Pflichtspiel
für Deutschland an die Waffen muss» (4). Diese Sprache ist die Theorie, die
Gewalt in und vor dem Stadion die Praxis.
Gewalt macht «Männer»
Der belgische Schriftsteller & Regisseur Jean-Philippe
Toussaint stilisiert den Kopfstoss Zidanes, der schon eher Kopfschlag zu nennen
wäre, zu einer «Geste», die «jenseits der moralischen Kategorien von Gut und
Böse angesiedelt» (5) sei. In seiner Ode «Zidanes Melancholie» wird deutlich,
dass die «alles entscheidende, brutale Geste» der Unfähigkeit des «Mannes» zur
Trauer entspringt, weist er doch auf «die Verbitterung des Fussballers» hin,
«der das letzte Spiel seiner Karriere bestreitet und sich nicht entschliessen
kann aufzuhören». Zidane ist in der Verlängerung dieses WM-Finals mit seinen
eigenen Grenzen konfrontiert, es gelingt ihm nicht, Frankreich noch einmal zum
Weltmeister zu schiessen: «Sein wunderschöner Kopfball, den Buffon wenige
Augenblicke zuvor mit einer glanzvollen Parade abgewehrt hatte, wird ihm
endgültig die Augen über die Unabwendbarkeit seiner Ohnmacht öffnen.» Zidane
gibt dem «Verlangen, mit allem so schnell wie möglich Schluss zu machen …»
bei der nächsten Gelegenheit & Provokation nach und rettet sich so vor der
Niederlage, vor einem möglicherweise verschossenen Penalty. Noch einmal «die
Gestalt Zidanes, aufrecht in der Nacht in seinem weissen Trikot in der Mitte
des Feldes», dann ist Schluss. Der vorzeitige Abgang macht Zidane unsterblicher
als das gewöhnliche Ende des Spiels, selbst wenn es doch noch siegreich
ausgegangen wäre, denn, so Toussaint, «den Weltmeisterpokal zu schwenken
bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als den eigenen Tod zu akzeptieren, aber
den eigenen Abgang zu vermasseln lässt alle Perspektiven offen, die Zukunft im
Dunkeln und dadurch lebendig».
Die Reaktionen nach dem Match vom letzten Mittwoch gleichen
jener Zidanes – es ist die Gewalt, die aus der Unfähigkeit zur Trauer kommt.
Bei Zidane ist es die unterdrückte Trauer ob seines letzten WM-Finals, der erst
noch verloren zu gehen droht, bei den FCZ-Fans die Verzweiflung ob dem
Unvorstellbaren, das Realität wird – dem Abstieg. Clubs & Medien machen den
Fans in solchen Situationen vor, wie Wut & Beschuldigung an die Stelle der
Trauer tritt. In der Stunde der Niederlage erklingen sie immer wieder – die
«Schlachtrufe». Da werden Köpfe gefordert und Verantwortliche in die Wüste
geschickt.
Gewalt ist der Versuch, die Welt in meine Welt zu verwandeln
Gewalt gegen andere, aber auch gegen sich selbst, ist der
Versuch, Angst & Ohnmacht zu beenden, um die Kontrolle wieder herzustellen.
Gerade das «Konzept Mann» wird durch Angst & Ohnmacht im Kern bedroht. Es
gehört zu den schmerzlichsten & kränkendsten Lebenserfahrungen, dass wir
immer wieder mit unseren Grenzen konfrontiert werden, zur Kenntnis nehmen
müssen, dass unser Einfluss im Privaten & Öffentlichen beschränkt ist, dass
wir die Liebe anderer Menschen nicht herstellen können, dass wir kaum etwas
gegen Elend & Gewalt in der Welt zu tun vermögen, nur wenig gegen unsere
und die Not unserer Liebsten, nichts gegen eine verlorene Meisterschaft
«unseres Clubs».
In dieser Beschränktheit wächst der (männliche) Wunsch,
zaubern zu können, Grenzen zu überschreiten, Macht über die Wirklichkeit,
letztlich sogar über Leben & Tod zu gewinnen, vor nichts & niemandem
mehr Angst haben zu müssen. Der Zauberstaub der Gewalt scheint demjenigen (oder
derjenigen), der (oder die) ihn hat, Macht über die Welt zu verleihen. Die
Berührung der Welt mit diesem Stab verwandelt sie in meine Welt. «Gewalt wird
gesucht in der Hoffnung auf Wandel …» (6). So der Psychologe Allan
Guggenbühl. Das heisst in der Hoffnung, die Niederlage in einen Sieg verwandeln
zu können.

(1) Blick, 20.11.2005

(2) Bänz Friedli: Der Hausmann, Zürich: Hagenbuch Verlag,
2007

(3) Dembowski/Bott: Stichwort zu Fussball, Männlichkeit,
deutschem Nationalismus und Herrschaft, in: Arena der Männlichkeit

(4) Kreisky/Spitaler (Hrsg.): Arena der Männlichkeit,
Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2006

(5) Jean-Philippe Toussaint: Zidanes Melancholie, Frankfurt
am Main: Frankfurter Verlagsanstalt, 2007

(6) Allan Guggenbühl: Männer – Mythen – Mächte, Stuttgart:
Kreuz Verlag, 1994
Ein Teil der Überlegungen in diesem Text stammt aus dem Buch «‹Tatort›, Fussball und
andere Gendereien»
 von Jürgmeier und Helen Hürlimann, erschienen im
Interact- und Pestalozzianum-Verlag, Zürich und Luzern, 2008