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In Kairo zu Tode gefoltert: Giulio Regeni, 28jähriger italienischer Forscher


Jean-Pierre Filiu


Übersetzt von 
Milena Rampoldi میلنا رامپلدی


Am
15. Januar 2016 feierte Giulio Regeni mit seinen Freunden in der von
ihm so geliebten Stadt Kairo seinen Geburtstag. Dieser italienische
Student war ein Liebhaber der arabischen Welt und ihrer Sprache. Er
bereitete gerade an der Universität Cambridge eine Doktorarbeit in
Wirtschaftswissenschaften über die Arbeiterbewegung in Ägypten vor. Im
Besonderen betraf seine Doktorthesis die unabhängigen Gewerkschaften,
die sich nach dem Sturz von Mubarak in Ägypten herausgebildet hatten. Am
Vorabend seines 28jährigen Geburtstags hatte Regeni mit dem Pseudonym
Antonio Drius auf der italienischen Webseite
Nena News einen Artikel über die immer besorgniserregenderen sozialen Unruhen in Ägypten verfasst.

Giulio


Am Abend des 25. Januar 2016 verließ der junge
Forscher seine Wohnung im Viertel Doqqi, auf der linken Nilseite. Er
wurde aber daran gehindert, die U-Bahn zu nehmen, um auf dem Markt von
Bab al-Louk auf der anderen Nilseite einen Freund zu treffen. Nur vier
U-Bahn-Stationen trennen die Wohnung von Regeni und den Ort seiner
Verabredung. El-Behoos, Doqqi, Gezira, Sadat und Mohammed Naguib. Die
Station Sadat, die vom Tahrir-Platz, dem Zentrum der ägyptischen
Revolution von 2011, war an jenem Abend geschlossen. Die Behörden
wollten in der Tat die Feierlichkeiten des Beginns der Aufstände gegen
Mubarak vor fünf Jahren vermeiden. Daher wurde das Stadtzentrum von der
Polizei durchgekämmert. Jegliche Veranstaltung wurde nach einer noch nie
dagewesenen Welle präventiver Verhaftungen und des „Verschwindens“
untersagt. Keiner weiß, ob Regeni El-Behoos erreicht hat, da ihn
niemand mehr lebend gesehen hat, nachdem er von seiner Wohnung
aufgebrochen war.

Am 3. Februar wurden die sterblichen Überreste des italienischen
Studenten im Wallgraben einer Kairoer Vorstadt auf einer Straße in
Richtung Alexandria gefunden. Sein Leichnam war halb entkleidet und wies
Folterspuren auf. Vor allem handelte es sich dabei dem AFP-Bericht
zufolge um „Verbrennungen von Zigaretten um die Augen und auf der
Fußsohle.“ Sie haben es richtig gelesen: „um die Augen und auf der
Fußsohle“. Der Leichnam, der von den Eltern identifiziert wurde, wurde
nach Italien überführt. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi
rief umgehend den ägyptischen Präsidenten Abdelfattah Sissi an und
verlangte, dass „die Verantwortlichen dieser fürchterlichen Tat vor
Gericht gestellt werden“.


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Eine schweigende Versammlung
einiger Dutzender mutiger Menschen fand am 6. Februar vor der
italienischen Botschaft in Kairo statt. Auf einem Schild stand: „Es
reicht ja nicht aus, dass ihr uns tötet, ihr müsst ja auch noch einen
Ausländer umbringen.“ Die Freunde von Regeni, die immer noch
traumatisiert sind, beschuldigen die Nationale Sicherheit, die
politische Polizei, die einen sehr schlechten Ruf im Land genießt.
Einher mit den Unruhen vom Februar 2011 ging der Angriff der Bevölkerung
gegen die Büros der Staatssicherheit, des bewaffneten Arms des
Innenministeriums. Dieser Dienst, der in der Mubarak-Ära für die
Verbrechen der Diktatur verantwortlich war, hat nur seinen Namen
geändert und heißt anstatt Staatssicherheit eben „Nationale Sicherheit“.
Er hat weiterhin völlig straflos seine Verbrechen begangen, und dies
trotz der überwältigenden Berichte der Menschenrechtler.

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Sissi, der nach der Annahme seines
Präsidentschaftsamtes im Juni 2014 seinen Marschalltitel abgelegt hat,
fühlt sich wohl besser mit den Militärbeamten als mit den Polizisten.
Gerade deshalb hat er ja im März 2015 Magdy Abdel Ghaffar, der eine
dreißigjährige Karriere in der Staatssicherheit hinter sich hat, zum
Innenminister ernannt. Abdel Ghaffar hat seinerseits Mahmoud Shaarawi,
den Chef der Anti-Terrorgruppe, zum Chef der Nationalen Sicherheit
ernannt. Am Vorabend des Verschwindens von Regeni, behauptete der
Innenminister, „er hätte keine Bedenken“ bezüglich
der Feierlichkeiten anlässlich des fünften Jubiläums der Revolte gegen
Mubarak. Es sei darauf hingewiesen, dass während der vorherigen
Gedächtnisfeier im Januar 2015 mindestens fünfzehn Menschen
getötet wurden. Unter ihnen befand sich die progressive Militantin
Shaima Sabbagh, die durch einen Schuss in den Rücken den Tod fand,
während sie einen Blumenstrauß zu Ehren der „Märtyrer der Revolution“
von 2011 niederlegen wollte.

Ich hatte bereits mein Buch „Die Araber, ihr Schicksal und unseres“ Shaima
Sabbagh und Mohammed Bouazizi gewidmet, dessen Aufopferung im Dezember
2010 zum tunesischen Aufstand gegen die Diktatur von Ben Ali führte. Und
meine Konferenz am Institut Français von Kairo zum Thema „Eine laizistische Geschichte der arabischen Welt“ wurde
mit einer Schweigeminute zum Gedächtnis von Giulio Regeni eröffnet. Bei
dieser Gelegenheit wurde mir die intensive Emotion klar, die dieses
brutale Verbrechen in der ägyptischen Hauptstadt hervorgerufen hatte,
und dies jenseits der traditionell kritischen oder Oppositionskreise.
Die These von einem Meuchelmord wurde in der Tat an diesem Punkt von
keinem überzeugenden Element untermauert. Einige regierungsfreundliche
Gruppierungen haben sogar vergeblich versucht, eine Version des
„Komplotts“ zu erfinden, nach der die Dschihadisten Regeni ermordet
hätten, um die europäischen Investierungen in Ägypten zu gefährden.

Zwei Professoren der Universität Cambridge haben eine internationale
Petition gestartet, um zu fordern, dass die gesamte Wahrheit über den
tragischen Tod von Giulio Regeni ans Licht kommt. Diese Petition
gestaltet sich als offener Brief an den Präsidenten Sissi und wurde auf
Guardian und Manifesto
veröffentlicht. Die Angelegenheit hat in Italien bereits viel Staub
aufgewirbelt, aber es ist nicht nur eine italienische Angelegenheit. Wie
es ein britischer Freund des
Toten formulierte, handelt es sich nämlich um einen „direkten Angriff
gegen die akademische Freiheit, die als Pfeiler des Hochschulsystems
gilt.“

Gerechtigkeit für Giulio.


Activists and Italian nationals living in Egypt take part in a rally in memory of Italian student Giulio Regeni on February 6, 2016, outside of the Italian embassy in Cairo.The 28-year-old student who disappeared in Cairo last week has been found dead and appears to have been tortured, officials said on February 4, prompting furious demands from Rome for the speedy arrest of his killers. / AFP / MOHAMED EL-SHAHED