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Das Primat des Gewissens: ein Gespräch mit Jürgen Rose


Von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Anbei ein wichtiges Interview mit
Jürgen Rose, einem ehemaligen Oberstleutnant der Bundeswehr, der sich 2007 aus
Gewissensgründen von seinen Aufgaben im Rahmen des Afghanistankonfliktes
entbinden ließ. Er ist in der Friedensbewegung tätig und engagiert sich auch im
Darmstädter Signal, dem kritischen Forum für StaatsbürgerInnen in Uniform
(www.darmstaedter.signal.de). Wir haben ihn aus Begeisterung für seine mutige
Entscheidung interviewt. Ich denke, dass er vielen als Vorbild dienen kann.
Aggressionskriege und präventive „Menschenrechtskriege“ sind keine Maßnahmen
für die Sicherung des Weltfriedens, sondern brutale Angriffe gegen den
Weltfrieden. Ich möchte Herrn Rose herzlichst für seine Zeit danken.
Milena Rampoldi: Wie kam es in Ihrem Leben zu Ihrer mutigen Wende hin zu
Pazifismus?
Jürgen
Rose: Die Geschichte ist ein wenig länger. 1977 kam ich als Wehrpflichtiger zur
Bundeswehr. Mein Motto lautete: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Wir
befanden uns im Kalten Krieg. Somit war die Idee der Bedrohung weit verbreitet.
Die Nato verfolgte ihre nukleare Abschreckungsstrategie. 1982-83 wurde der sogenannte
NATO-Doppelbeschluss gefasst. Die Nato stationierte ihre Raketen in Europa. Die
offizielle Begründung dafür war die Vorrüstung der Sowjetunion. Es ging jedoch
zuvor schon um ein Long Term Defense Program. Die Modernisierung der Nuklearwaffen
war also ohnehin geplant. Sie wurde nur als Nachrüstung verkauft. Zu jener Zeit
begann auch der Protest der Zivilbevölkerung.
Es
kam zu Krefelder Appell. Kurze Information dazu:
Der
Krefelder Appell war ein Aufruf der westdeutschen Friedensbewegung
an die damalige Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung neuer
atomarer Mittelstreckenraketen in Europa (NATO-Doppelbeschluss) zurückzuziehen und
innerhalb der NATO
auf eine Beendigung des atomaren Wettrüstens
zu drängen. Er wurde am 16. November 1980 öffentlich vorgestellt und bis 1983
von über vier Millionen Bundesbürgern unterzeichnet. Er wurde von Mitgliedern
der Splitterpartei Deutsche Friedensunion und der Grünen gemeinsam initiiert und
repräsentierte einen „Minimalkonsens” in der Friedensbewegung, als Nahziel
die „Nachrüstung” zu verhindern, um so den Abbau aller Atomraketen in
Europa zu ermöglichen.
Die
Menschen protestierten gegen die Atomwaffen im Allgemeinen und vor allem gegen
den Rüstungswahnsinn. Wichtig war in diesem Zusammenhang der damalige
Bundeswehrmajor Helmut Prieß, der mittlerweile verstorben ist und der 1983 das Darmstädter
Signal gründete, weil es ähnliche Befürchtungen wie in der Zivilbevölkerung auch
in der Bundeswehr gab.
Den
Anfang des Darmstädter Signals habe ich nicht direkt miterlebt. Aber nach dem
Ende des Kalten Krieges kam es zu den ersten Auseinandersetzungen mit der
Bundeswehr. Es läuft alles nach dem Prinzip der Hierarchie. Um aufzusteigen, muss
man Loyalität beweisen. Das ist so ähnlich wie im zivilen Leben, nur dass es im
zivilen Leben subtiler vor sich geht. Im militärischen Bereich ist alles klarer
strukturiert. Bei der Bundeswehr gibt es auch ein klares Beschwerderecht.
Natürlich hat man aber immer ein Problem, wenn man als Einzelner gegen das
System geht. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Debatte über die
allgemeine Wehrpflicht geführt.
Roman
Herzog sprach von der Wehrpflicht als einem Eingriff in die persönliche Freiheit.
Die Wehrpflicht sollte nur eine Option sein, wenn die Bedrohung so groß ist,
dass es keinen anderen Weg gibt. Aber 1994 war die BRD ja nur von Freunden
umgeben. Und in diesem Kontext bedeutete die Wehrpflicht in Bundeswehr, wie der
Soziologe Professor Ralf Dahrendorf damals anmerkte, nur mehr eine „milde Form
von Zwangsarbeit“. Ich selbst schrieb am 2. Oktober 1997 in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung einen Artikel mit dem Titel „Die allgemeine Wehrpflicht ist
nicht mehr zu halten“.
Die
Wehrpflicht war aber eine Heilige Kuh der deutschen Sicherheitspolitik. Und da
hieß es einfach: Wer die Wehrpflicht nicht versteht, soll sich eine andere Armee
suchen. Ich wurde dann strafversetzt und hatte Auseinandersetzungen mit dem
System.
Wogegen
ich mich später wehrte, das waren die Angriffskriege. 1999 in Jugoslawien, dann
in Afghanistan und im Irak. Im Gegensatz zu dem von den Vereinten Nationen und
dem Deutschen Bundestag mandatierten ISAF-Einsatz in Afghanistan war der unter
nationalem Kommando der USA verkündete und weltweit geführte sogenannte „War on
Terror“ ein illegitimer und völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Der im Jahr
2007 beschlossene Einsatz von TORNADO-Waffensystemen am Hindukusch erfolgte
eben auch im Rahmen dieses angeblichen Anti-Terror-Krieges, der sogenannten
„Operation Enduring Freedom“. Solche Aktionen verstoßen gegen das Völkerrecht
und somit auch gegen das deutsche Grundgesetz und gegen das Soldatengesetz. Ich
sollte die Versorgung der Tornados mit Flugbenzin organisieren, aber dagegen
wehrte ich mich. Ich wollte nicht aktiv zu diesem War on Terror beitragen. Ich stand
dabei nicht allein. Ein anderer war der Bundeswehrmajor Florian Pfaff 2003
während des Irakkrieges gewesen. Er war zuerst degradiert, dann aber durch das
Bundesverwaltungsgericht rehabilitiert worden. Denn dem Soldat steht sehr wohl
das Recht zu, ein Gewissen zu haben. Als ich mich 2007 weigerte, berief ich
mich auch auf das Urteil in der Causa Pfaff aus dem Jahre 2005. Mir sind
bislang insgesamt drei solche Fälle bekannt, der letzte betraf vor zwei Jahren den
Oberleutnant Philip Klever dazu.
Im
Kalten Krieg galt noch die Landes- und Bündnisverteidigung, aber danach wurden
eben auch Angriffskriege geführt. Ich denke hier unter anderem auch an den illegalen
Krieg des französischen Ex-Präsidenten Sarkozy in Libyen. Ich habe über dreißig
Jahre lang die arabische Welt durchreist und den relativ ordentlichen Zustand
in Libyen vor dem Krieg gesehen. Mit Gewalt lässt sich die Welt nicht zum Positiven
verbessern. Der Krieg gegen den Terror ist absurd. Er basiert nur auf der
westlichen Hybris nach dem 11. September, ganz nach dem Motto: wir tun es, weil
wir es können. Vor allem die US-amerikanische Gesellschaft ist in nachgerade
obsessiver Weise gewaltdurchdrungen und militarisiert. Man kann in den USA angesichts
alarmierender Eingriffe in die fundamentalen Bürger- und Menschenrechte schon
von Protofaschismus sprechen. Es herrschen inakzeptable Zustände. All dies sind
Gründe, warum ich sage: Ich beteilige mich nicht gegen Recht und Gewissen aktiv
an einem solchen Wahnsinn.
Im
Oktober 2001 gab es eine wichtige Friedensdemo in Stuttgart, auf der ich als
Redner auftrat und deutlich machte: Dieser Krieg ist nicht mein Krieg! Heute
imitiert der französische Präsident François Hollande den ehemaligen US-Präsidenten
George W. Bush. Frankreich steht im Nahen Osten in Konkurrenz zu den USA. Aber
der Krieg kommt zu demjenigen zurück, der ihn sät.
Nicht
der Westen ist das Opfer, sondern die islamische Welt. Wie der CDU-Politiker,
Nahost-Kenner und Buchautor Jürgen Todenhöfer sagt: Der Westen tötet im
Verhältnis von 10:1. Alles andere ist Heuchelei. Für den Westen sind die 10-Mal
mehr Toten in der islamischen Welt nur ein Kollateralschaden. Frankreich
verhält sich heute genauso wie die USA damals nach dem 11. September. Und heute
haben wir den Massenmörder Obama mit seinen Drohnen. Die Interessenlagen von
Staaten sind kontinuierlich. Wer regiert ist daher eher unerheblich. Die
einzelnen Regierenden setzen nur verschiedene Akzente. Die Realpolitik bleibt.
Wir leben in einer Fassadendemokratie, wo eine Klasse von Reichen und Superreichen
sich eine politische Klasse hält, die ihre Interessen bedient.
MR: Warum ist Krieg immer die falsche Lösung? Können Sie unseren
Leserinnen und Lesern erklären, warum es keine Kriege für die Menschenrechte
gibt?
JR: Immer
ist überzogen. Denn ein Verteidigungskrieg ist legitim. Der weltweite Krieg
gegen den Terror ist hingegen ein totaler Unsinn. Der Terrorismus ist politisch
organisierte Kriminalität. Daher ist der Krieg gegen den Terrorismus völlig
absurd. Gegen Terroristen benötigt man vor allem Polizei und Justiz sowie
gegebenenfalls solide Geheimdienstarbeit, aber nicht das Militär. Das Militär
ist einfach der falsche Weg, um mit dem Terrorismus umzugehen. Die Frage nach
den Ursachen wird ausgeblendet. Für jeden, den der Westen in der islamischen Welt
tötet, stehen 10 neue Kämpfer auf d. h. der Westen betreibt laut Jürgen
Todenhöfer wahre Terroristenzuchtprogramme. Was bedenklich ist: Über 90 % der Bürger
sind einverstanden, dass ihre Freiheit zu Gunsten der Sicherheit eingeschränkt
wird. Die äußere und innere Sicherheit verschwimmen immer mehr. Immer öfter
wird gefordert, die Bundeswehr soll auch im Inneren einzusetzen. Noch hält das
System. Das hat aber auch mit der deutschen Geschichte zu tun. Frankreich hat
hingegen eine immer militarisiertere Polizei. In Deutschland wurde die Trennung
zwischen Militär und Polizei nach 1945 etabliert und im Grundgesetz verankert,
damit sich der Fall Himmler nie wiederholt.
MR: Welche Hauptthemen behandeln Sie in Ihren Schriften?
JR:
Vor allem geht es mir um die internationalen Einsätze der Bundeswehr. Während
des Kalten Krieges ging es um atomare Abschreckung. Ein weiteres Thema, das mir
wichtig ist, betrifft die Aussetzung der Wehrpflicht. Das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung
ist unabdingbar. Gehorsam und Gewissen müssen vereinbar sein. Daher gibt es
auch für die Soldaten Grenzen der Gehorsamspflicht. Denn jenseits von Recht und
Gesetz gilt das Primat des Gewissens. Andere Themen, die ich behandle, sind der
Irak- und Afghanistankrieg.
MR: Für ProMosaik e.V. sind alle Angriffskriege opportunistisch und
verfolgen das Ziel, Länder zu beherrschen oder zu destabilisieren. Was denken
Sie darüber? Warum sind im Moment vor allem muslimische Länder betroffen?
JR: Alle
Angriffskriege sind völkerrechtswidrig. Wir dürfen uns gar nicht daran
beteiligen.
Berlin
beteiligt sich gegen die Verfassung an Angriffskriegen im Ausland. Da gibt es
eine Lücke im deutschen Strafgesetzt. Es braucht eine gesetzliche Norm. Denn in
der Verfassung ist verankert, dass es keine Angriffskriege geben darf. Aber im
deutschen Strafgesetz ist die Beteiligung an Kriegen, die andere organisiert
haben, z.B. die Unterstützung von US-Kriegen, nicht verboten. Was aber zum Beispiel
in Ramstein vorgeht, ist die Organisation von Lynchjustiz. Die Bundesregierung
aber behauptet, sie wüßte aber nur das, was in der Presse steht, und dass die
USA versprochen hätten, die deutsche Rechtslage zu respektieren, usw..
MR: Wie kann man sich gegen die Militarisierung unserer Gesellschaft am
besten einsetzen?
JR:
Durch Sprechen, durch Information und Aufklärung. Wie Günter Wallraff so schön
sagt: Wir müssen Öffentlichkeit herstellen. Wir müssen Dinge aus dem
geheimnisumwitterten Bereich herausholen und aufklären.
MR: Welche Utopie schwebt Ihnen für Deutschland vor?
JR:
Eine friedliche Welt, in der es keine illegale Gewaltanwendung gibt. Ganz ohne
Gewalt geht es natürlich nicht, denn es braucht die Polizei und die Justiz, die
sogenannte Staatsgewalt gegen die Kriminalität.
Die
Charta der Vereinten Nationen verbietet Angriffskriege. Die Charta einzuhalten,
wäre schon mal ein guter Anfang. Alle haben diese Charte unterzeichnet, in der
es heißt, man soll sich nicht einmischen und auch nicht andere Länder
angreifen.
Das
mit dem Vetorecht ist eine ambivalente Sache. In der Geschichte hat das
Vetorecht konfliktdämpfend gewirkt. Es hat nämlich den Vorteil, dass man das Einverständnis
aller Vetomächte im Sicherheitsrat braucht, um eine Resolution zu bekommen, die
zur Ausübung militärischer Gewalt ermächtigt. Wenn es somit nicht funktioniert,
machen die Staaten ihre eigene Sache. Somit ist es ein Risiko, wenn das
Vetorecht komplett wegfallen würde. Man sucht sich dann eine Mehrheit und setzt
die Angriffe durch. Aber die Überlegungen zur Reform der Vereinten Nationen
bleiben reine Spekulation. Die Vereinten Nationen üben aber eine positive
Funktion aus. Man denke beispielsweise an den Ukrainekonflikt. Ich meine: eine
unvollkommene UNO ist besser als gar keine. Wir sind heute viel weiter als
1914. Diese UNO ist besser als keine. Es gibt keine perfekten Institutionen,
denn die Institutionen sind von Menschen gemacht. Daher muss man zwar einerseits
zwangsläufig mit Fehlern und Defiziten leben, aber andererseits permanent an
der Verbesserung der Verhältnisse arbeiten …