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Religiöse Verfolgung in den USA: Wer wirklich darunter leidet (Meinung)


von Robert Fantina, MintPress, 20. November 2015. 
Wer den
Islam für die Gewalt in Paris oder anderswo verantwortlich macht, wo der
Islamische Staat (der in den Medien normalerweise als ISIS oder ISIL bezeichnet
wird) agiert, ist
genau unwissend und liegt genauso falsch wie der, der das Christentum für die
Gräueltaten verantwortlich macht, die von christlichen Gruppen begangen werden.

Foto von Boushra Almutawakel.
KITCHENER,
Ontario —
Wenn man
sich das Geschnatter der republikanischen Präsidentschaftskandidaten anhört,
würde man glauben, dass die Christen in der Regierung der Vereinigten Staaten vom
Aussterben bedroht sind. Präsident Barack Obama, verkünden sie und ihre
Handlager geheim, versuchen das Christentum zu ächten und unabhängig von dem
Schwarzmaler, auf den man hört, entweder eine säkulare oder konfessionelle
Gesellschaft aufzubauen.
Während der
ersten GOP-Debatten meinte der Gouverneur von Louisiana Bobby Jindal: „Im Moment
erleiden die christlichen Unternehmer und Einzelpersonen, die an die
traditionellen Formen der Ehe glauben, die größte Diskriminierung.“ Die Aussage
bezog sich auf Frau Kim Davis, einer Angestellten des Landkreises, die sich
geweigert hatte, gleichgeschlechtlichen Partnern eine Heiratsurkunde
auszustellen. Zusätzlich verbot Kim Davis auf ihren
von ihr betreuten Mitarbeitern, solche Urkunden zu erlassen. Wegen des
Verstoßes gegen das Gesetz des Staates, kam Kim Davis sechs Tage ins Gefängnis.
Viele Präsidentschaftskandidaten
äußerten ihre rechtschaffene Empörung.
Kentucky Sen. Rand Paul meinte: „Ich finde es absurd, jemanden zu verhaften,
weil er seine Religionsfreiheit ausübt“. Man könnte Paul darauf hinweisen, dass
Kim Davis nicht verhaftet wurde, weil sie ihre Religionsfreiheit ausübte,
sondern weil sie gegen das Gesetz verstoßen hatte. Dadurch hinderte sie andere
Menschen daran, deren Bürgerrechte als US-Bürger auszuüben.
„Ich denke,
man sollte den eigenen Beruf ausüben und gleichzeitig auch dem eigenen Gewissen
folgen können“, so Jindal, der das Rennen um die Präsidentschaft vorher
abbrach. Wenn Kim Davis aber der Meinung war, sie könnte eine Heiratsurkunde an
gleichgeschlechtliche Partner nicht ausstellen, hätte sie sich auch von dieser
beruflichen Aufgabe befreien lassen können. Die Beamten, die ihr Bericht
erstatten, hätten jene Aufgaben einfach übernehmen können, aber sie gab ihnen
keinen Auftrag in diesem Sinne. Natürlich ging es wohl um mehr als um eine
reine Ausübung der eigenen Religionsfreiheit; sie wollte nämlich alles in ihrer
Macht stehende tun, um den Anderen ihre Rechte zu verwehren.
Das größte
Lob erhielt Frau Davis vom ehemaligen Senator von Pennsylvania Rick Santorum,
der sich hierzu wie folgt äußerte: „Was Kim Davis tat, war meiner Ansicht nach
heldenhaft“. Es gibt in der Tat Fälle, in denen der Verstoß gegen ein Gesetz
als heldenhaft gilt; dies gilt vor allem für Soldaten, die sich weigern,
in einem Kriegsgebiet unschuldige Männer, Frauen und Kinder zu ermorden. Militärische Befehle nicht zu befolgen, die das
eigene Leben in Gefahr bringen, ist heldenhaft. Aber sich hinter der Fassade
der Religion zu verstecken, um anderen das grundlegende Recht auf Heirat, das
Kim Davis selbst sogar vier Mal in Anspruch genommen hat, zu verwehren, ist
nicht heldenhaft.
Ungefähr um
dieselbe Zeit, als man sich mit der Berufung auf die religiöse Recht der
Verhaftung von Frau Davis händeringend widersetzen wollte, brachte Ahmed Mohamed eine Uhr
in die Schule, die er aus Schrott aus dem Laden seines Vaters zusammengebaut
hatte. Die Polizei wurde verständigt, und der 14jährige Schüler wurde in
Handschellen abgeführt.
Zum Glück
gab es lautstarke Proteste gegen diese Ungerechtigkeit, aber sie kamen nicht
von den Befürwortern von Frau Davis.
Der Senator
von South Carolina Lindsey Graham warnte: „Wir
befinden uns im Krieg, Leute. Jugendliche aus dem Mittleren Osten unterscheiden
sich von Kim Davis. Das muss uns schon klar sein“. Aber er ist kein junger Mann
aus dem Mittleren Osten. Es stimmt, dass er im Sudan geboren wurde,
aber er kam als Kleinkind in die USA. Und hat die Idee, man sollte „junge
Männer aus dem Mittleren Osten“ anders betrachten keinen Beigeschmack einer
Erstellung eines Profils nach rassischen Kriterien? Aber, warten Sie ab: es sieht wohl so aus, als wäre eine
rassische Stereotypisierung für Herrn Graham ganz ok.
Herr Jindal behauptete: „Sicher..
ich denke nicht, dass ein 14jähriger Junge überhaupt verhaftet werden sollte,
weil er eine Uhr in die Schule gebracht hatte… und Sie fragen mich, ob ich froh
bin, dass er aus der Haft entlassen wurde? Ich bin froh, dass die Polizei
achtsam war. Ich bin froh, dass sich die Polizei Sorgen über die Unversehrtheit
und Sicherheitsfragen machte.“ Die Frage an Herrn Jindal war nicht, ob er froh
war, dass der Junge von der Haft entlassen wurde, Frage, auf die er sowieso
nicht antwortete. Er wurde darum gebeten, ein Gleichgewicht zwischen
Sicherheitsüberwachung und anti-muslimischer Diskriminierung zu schaffen. Nach
seiner vermasselten Antwort wurde er sofort auf das Thema von Frau Davis
geleitet.
Offensichtlich
ist ein weißer Christ, der gegen das Gesetz verstößt, ein Held; aber ein
arabischer Muslim, der eine Uhr baut, ist ein Terrorist.
Warum sollte
einer von diesen uns überhaupt was angehen? Stellt der radikale Islam nicht,
mindestens theoretisch, eine Bedrohung für alles, was der USA lieb ist, dar?
Wenn man sich die weißen Evangelikalen und die Kandidaten, die ihre Stimmen
wollen, anhört, so bedeutet das Wort „Muslim“ für sie nichts anderes als
„Terrorist“. Denn es sind die christlichen Wert, die den Tag retten werden.
Ein seltsames Phänomen
Gleb Garanich/Reuters

Vielleicht
sollten wir alle mal tief durchatmen und versuchen, uns einen Augenblick lang
einer Realität bewusst zu werden. Im April veröffentlichte das Southern Poverty
Law Center einen Bericht, aus dem
hervorgeht, dass von April 2009 bis 2015 „in den USA mehr Menschen durch
nicht-muslimische einheimische Terroristen getötet wurden als durch
Jihadisten.“ Und dieser Bericht schließt natürlich nicht die mehr als 30.000 Menschen ein, die in den USA
jährlich durch Handfeuerwaffen getötet werden. Aber während die Medien den
Terrorismus ihres eigenen Warenzeichens verüben, indem sie ihre Zuschauer mit
Geschichten terroristischer Akte einschüchtern, könnten wir vielleicht einen
Blick auf einige Organisationen werden, die nicht so viel öffentliches
Interesse hervorrufen, aber verschwiegenes Leid verursachen.

  • Die Lord’s Resistance Army
    wurde von Joseph Kony gegründet und verfolgt das Ziel, die Regierung von
    Uganda zu stürzen und eine neue Regierung auf der Grundlage von Korys
    Auslegung der zehn Gebote aufzubauen. Ein Beispiel für deren Gewalt, über
    das die US-Medien unzureichend berichtet haben, war der viertägige
    Amoklauf im Dezember 2009, in dem diese Armee 345 Zivilisten umbrachte und
    250 andere entführte. Die LRA entführt normalerweise Kinder, die ihrer
    Meinung nach leichter zu manipulieren sind, um sie dann in den Kampf zu
    schicken.
  • Die National Liberation Front of
    Tripura
    ist eine paramilitärische christliche Bewegung mit dem
    festgelegten Ziel, sich von Indien abzutrennen
    und in Tripura eine christlich-fundamentalistische Regierung aufzubauen.
    Die NLFT toleriert keine andere Religion außer dem Christentum. Die Gruppe
    hat wiederholt gezeigt, Hindus, die sich weigerten, zu diesem
    extremistisch-fundamentalistischen Protestantismus zu konvertieren, töten,
    entführen und foltern zu wollen.
  • Die Orange Volunteers
    waren eine sogenannte christliche Organisation in Nordirland, die sich dem
    Friedensprozess widersetzte. Während der sommerlichen „Marschsaison“, in
    der radikale Protestanten sich orange kleiden und durch die größtenteils
    katholische Nachbarschaft zur Parade aufziehen, intensivierten die Orange
    Volunteers ihre religiöse Gewalt, Angriffe und Einschüchterungen. 2005 kam
    es zur Ermordung von vier Bürgern von Belfast. 1993 war es zu weiterer
    Gewalt gekommen: in einem Maschinengewehrangriff fanden acht Zivilisten
    den Tod. Während diese Gruppe nicht so mörderisch wie andere erscheint,
    schließt ihre Einschüchterungstaktik das Legen von Bomben (die
    normalerweise von der Polizei entschärft werden) und die Übermittlung von
    Morddrohungen an katholische Unternehmer, gewaltige Angriffe und
    Brandstiftungen ein. Ihre Gewalt ging zumindest das ganz Jahr 2009 weiter.
Und was ist
mit der Misshandlung von Muslimen von Seiten derer, die sich Christen nennen? Im
Februar 2014 flohen Tausende von Muslimen aus der
Stadt Bangui
in der Zentralafrikanischen Republik, weil christliche
Selbstschutzmilizen Muslime töteten und ihre Häuser und Moscheen in Brand
setzten und plünderten.
Zu jenem
Zeitpunkt gab es aber keinen Twitter-Hashtag #WeAreAllBangui. Die Medien und
die verschiedenen Talkshows zeigten nicht und sprachen auch nicht über die
herzzerreißenden Bilder toter, verwunderter oder traumatisierter Muslime. Mit
Sicherheit verurteilten sie auch nicht das Christentum und meinten auch nicht,
dass christliche Flüchtlinge in den USA
nicht akzeptiert werden sollten.
Aber in den
USA, dem selbsterklärten Land der Freien und der Heimat der Mutigen, werden die
Muslime nicht als US-Bürger mit vollen Rechten und vollständiger Inklusion
durch ihre US-Mitbürger akzeptiert? Werden Sie nicht in den „großen
Schmelztiegel“ einbezogen? Selten. Sehen wir uns mal den Fall von Tahera Ahmad an: Im Mai wurde ihr seitens eines
Flugbegleiters verwehrt, eine geschlossene Dose eines alkoholfreien Getränks ins
Flugzeug zu nehmen, da es als Waffe genutzt werden könnte, während die
Menschen, die um sie herum saßen, sogar das Recht erhielten, offene Dosen ins
Flugzeug zu nehmen, um während des nationalen Flugs trinken zu können. Oder
denken wir an die Vertreterin des Bundesstaates von Texas, Molly White, die,
obwohl sie im Januar am „Texas Muslim Capitol Day“ nicht in ihrem Büro in
Austin war, ihre Mitarbeiter anwies, dass Muslime, die ihr Büro besuchten, an
dem Tag dazu aufgefordert werden sollten, sich von „islamischen Terrorgruppen
loszusagen und öffentlich zu verkündigen, Amerika und unseren Gesetz treu zu
sein.“ Und nach den vor kurzem ausgeübten Angriffen von Paris nehmen die Angriffe gegen Muslime
stark zu.
Warum dürfen
die Massentötungen von Muslimen durch eine Randgruppe von Menschen, die oft in
Afrika eine verdrehte Version des Christentums vertreten, die Jesus Christus
niemals anerkennen würde, ignoriert werden, während Massentötungen von Christen
durch kleine Gruppen von Muslimen, die eine verdrehte Version des Islam
vertreten, dazu führen, dass eine ganze Religion schlechtgemacht wird? Hat dies
vielleicht mit der Hautfarbe zu tun? Oder geht es einfach um Fremdenfeindlichkeit, die
als eine „irrationale Angst oder Feindseligkeit gegenüber Ausländern oder
Fremden oder gegenüber all dem, was ausländisch oder fremd ist“ definiert wird?
Und mit weniger als 3 Prozent der US-Bevölkerung, die sich zum Islam
bekennt
und mit 71 Prozent, die sich als Christen
bezeichnen,
könnte es sein, dass die Muslime als „ausländisch oder
fremd“ angesehen werden.
Weltweit bekennen sich ungefähr 2,2
Milliarden Menschen zum Christentum und ungefähr 1,6 Milliarden Menschen zum
Islam.
Aber während die Christen nicht wegen Gewalt gegen Muslime
belangt werden, wird der Islam wegen Gewalt gegen Christen verurteilt. Dieses
seltsame Phänomen scheint in den Nationen mit einer weißen Mehrheit dominant
und weist somit möglicherweise auf das Problem hin.
Wer den
Islam für die Gewalt in Paris oder anderswo verantwortlich macht, wo der
Islamische Staat (der in den Medien normalerweise als ISIS oder ISIL bezeichnet
wird)
Agiert, ist
genau unwissend und liegt genauso falsch wie der, der das Christentum für die
oben angeführten Gräueltaten verantwortlich macht, die von Gruppen begangen
werden, die sich Christen nennen. Aber die Flammen dieser fremdenfeindlichen
Tendenz werden von Politikern und den Mainstreammedien angefacht und werden
wahrscheinlich noch lange lodern. Und während dies passiert, werden die wahren
Probleme ignoriert und immer mehr unschuldige Leute leiden darunter.