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Kluger Widerstand: Ein palästinensischer Aufruf zur „unbewaffnetem Kriegsführung“


von Martina Lauer für ProMosaik e.V., 25. November 2015.
Aus Nazareth
schreibt der britische Journalist Jonathan Cook angesichts der seit September
eskalierenden Krise über die Debatte unter den Pal
ästinensern zwischen den Verfechtern des bewaffneten
Kampfes und Vertretern des gewaltlosen Widerstandes. Der pal
ästinensische Geschäftsmann
Sam Bahour beschrieb den “klugen Widerstand” als Weg zur nationalen Befreiung
angesichts der stetig fortgesetzten Strangulierung des Lebens für Pal
ästinenser in ihrer Heimat. Cook schreibt:
(…)Eine Umfrage im
Frühsommer zeigte, dass 49% der 18- bis 22-jӓhrigen Palästinenser einen
bewaffneten Aufstand unterstützen. Bis September und nach den ersten Zusammenstößen in Jerusalem
stieg diese Zahl auf 67 % an.
Diesen Anstieg kann man zum Teil durch ein unvermeidliches Verlangen nach
Vergeltung erklären, wenn Palästinenser sehen, wie ihre Landsleute durch israelische
Soldaten getötet
und verletzt werden.
Aber er zeigt auch einen Mangel an palästinensischer Führung und Strategie. Stattdessen wurden
die Palästinenser
in polarisierte Lager geteilt, wo sich vereinfachend gesagt die ‘Rhetorik des
bewaffneten Kampfes’ der Hamas und die festgefahrene Diplomatie von Mahmoud
Abbas und seiner Palӓstinenserbehӧrde gegenüber stehen.
Die Gewaltlosigkeit hatte früher einen zentralen Platz im palӓstinensischen
Widerstand gegen die Besatzung. Wӓhrend der ersten Intifada Ende der 80er Jahre beteiligten
sich die Palӓstinenser
am weitverbreiteten zivilen Ungehorsam: sie verweigerten die Zusammenarbeit mit
den Militӓrbehӧrden, verbrannten
ihre Ausweise, verweigerten die Steuerzahlung und führten Streiks durch.
Dieser Weg wurde nie vollstӓndig aufgegeben. Heute findet er seinen Ausdruck in den wӧchentlichen Protesten
und Mӓrschen
in den Dӧrfern
gegen Israels Stahl-und Zementbarriere, die das Agrarland der Palӓstinenser
verschlingt. Diese Proteste sind zumeist friedlich geblieben, selbst angesichts
der unaufhӧrlichen
Brutalitӓt
der Armee.
Aber der Einsatz der Gewaltlosigkeit war auf ӧrtliche Aktionen begrenzt, die auf
kleine, isolierte Erfolge abgerichtet sind. Neben der Gewaltlosigkeit gab es immer
auch gewaltsamere Methoden, vom Steinewerfen bis zu den gegenwӓrtigen Angriffen mit
Messern.
Abbas trӓgt
einen großen Teil der Schuld daran, weil er sich die Sprache der
Gewaltlosigkeit aneignete, ohne sie in eine nationale Strategie des
Widerstandes umzusetzen. Sogar die Unterstützung der PA für die
Widerstandskampagnen der Dorfbewohner gegen Israels Mauer war nicht einmal
lauwarm.
In den Augen der Palӓstinenser ist die Gewaltlosikeit durch die Verbindung mit
Abbas’ jahrelanger Ineffizienz in ein schlechtes Licht geraten: seine verzweifelten
und erfolglosen Versuche, Israel zu Friedensgesprӓchen zu bringen und sich gleichzeitig
in Washington in ein gutes Licht zu stellen. Der Tiefpunkt wurde mit seiner ӧffentlichen Erklӓrung vom “heilgen”
Status der Koordinierung der PA mit Israel in Sicherheitsfragen erreicht.
Es hat auch nicht geholfen, dass von Außenstehenden und unehrlichen
Vermittlern einseitige Aufrufe zur Gewaltlosigkeit an die Palӓstinenser gerichtet
wurden, zum Beispiel aus Washington. Im vergangenen Monat hat der amerikanische
Außenminister John Kerry den Palӓstinenser einseitig die Schuld an den letzten Zusammenstößen zugeschoben. “Es
gibt keine Entschuldigung für die Gewalt,” tadelte er, wӓhrend er
gleichzeitig Israels jahrzehntelange brutale Unterdrückung der palӓstinensischen
Befreiungskampagnen ignorierte.
Trotz allem sprechen sich einige palӓstinensische Intellektuelle für den gewaltlosen
Widerstand aus und warnen gegen einen bewaffneten Aufstand. Palӓstinenser haben nach
dem Vӧlkerrecht
ein Recht, gegen die Besatzung auch mit Waffen Widerstand zu leisten, aber diese
Gruppe betont, dass Gewalt nutzlos ist angesichts der Übermacht der
israelischen Armee. Sie argumentieren pragmatisch.
In einem Artikel mit der Überschrift „Geht nicht zum Sterben hinaus,
Palästina braucht Euch am Leben“, rief der Journalist Mohammed Daraghmeh die
Palӓstinenser
dazu auf, “den nationale Zorn in Massenproteste umzusetzen.” Daragmeh erinnerte
die Palӓstinenser
daran, dass die westliche Welt den Konflikt geschaffen habe und ihn lӧsen müsse, und
warnte: “Sie werden das nicht machen, wenn wir Selbtsmord begehen.” …
Einer der Architekten des gewaltlosen Widerstands der ersten Intifada, Mubarak
Awad, machte vor kurzem in einem Interview deutlich, dass dies keine leichtere
Wahl sei. „Es geht um die militante Anwendung der Gewaltlosigkeit, als Form der
unbewaffneten Kriegsführung.”
Er gibt stattdessen einige Beispiele, wie die Weigerung, dass man
israelische Ausweise mit sich führt, Missachtung von Ausgangssperren, Straßenblockaden,
Anpflanzen von Bӓumen auf Land, das für Siedlungen vorgesehen ist,
Niederreißen von Zӓunen, Organisieren von Sit-ins und Massenverhaftungen, um
die israelischen Gefӓngnisse zum Überfüllen zu bringen.
Für solche Aktionen braucht man eine massive Teilnahme, die Frauen, Kinder
und Senioren mobilisiert – genau die Gruppen, die von der Teilnahme am bewaffneten
Kampf eher ausgeschlossen sind.
Und Gewaltlosigkeit braucht Leute, die diese Techniken und Prinzipien geübt
haben, sagt Awad. Deshalb hat er die Lehren von Mahatma Gandhi und Martin
Luther King ins Arabische übersetzt.
Politische Organisatoren und Strategen wie Awad waren immer an oberster
Stelle auf Israels Verhaftungsliste. Er wurde zu Beginn der ersten Intifada ins
Gefӓngnis
geworfen und gefoltert und spӓter in die USA ausgewiesen.
Der disziplinierte gewaltlose Widerstand ist so mӓchtig, sagt er, weil
er dem Besatzer eine große Bürde auflastet: “Er muss mit unserer Bereitschaft
umgehen, dass wir für uns einstehen, lediglich mit unserem Kӧrper und Herzen.”
Israelis stehen vor der Wahl “was für ein Volk sie sind”, und es bringt
Spaltungen und Unstimmigkeit in der Bevӧlkerung des Unterdrückers und schwӓcht so die
Entschlossenheit.
Es ist eine schwierige Botschaft, vor allem wenn Israel die Hoffnungen und
die Würde der Palӓstinenser so skrupellos zermalmt. Awad betont trotzdem,
dass die Palӓstinenser
vor allem durch das Demonstrieren einer unzerstӧrbaren Menschlichkeit wieder Hoffnung
finden kӧnnen,
sich ihre Würde zu eigen machen und ihre Freiheit gewinnen.
Jonathan Cook, Smart resistance: A Palestinian call for
‘unarmed warfare’, Counterpunch, 9. November 201;
http://www.jonathan-cook.net/2015-11-11/a-palestinian-call-for-unarmed-warfare/#sthash.3oxHTlWH.dpuf