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Jitzchak Rabin und die Versöhnung – Event im Roten Rathaus

von Johanna Heuveling, Pressenza, 21.11.2015

Robi Damelin und Ramsis Kilani im Roten Rathaus

Versöhnung, innerer Frieden, Wut,
Gerechtigkeit, Rache, Verständnis – das waren die Vokabeln, die dem
Publikum dieses in jeglicher Hinsicht spannenden Abends im Roten
Rathaus, zu dem die Senatskanzlei und das Canaan Project
eingeladen hatten, entgegenflogen. Vorgesehen war der Abend, um im
Gedenken an die Ermordung von Jitzchak Rabin vor 20 Jahren Wege der
Versöhnung im Israel-Palästina Konflikt zu zeigen, und doch zeigte der
Abend genauso die unüberwindbar scheinenden Barrieren.


Die letzte Ansprache Rabins am 4. November 1995 bei der großen
Friedenskundgebung in Tel Aviv wurde zu Beginn der Veranstaltung
gezeigt. Im Anschluss an diese bewegende Rede war Rabin von einem
fanatischen religiösen Juden getötet worden. Rabin bezeichnete die
Kundgebung, bei der 100 000 Menschen ihre Unterstützung für seine
Friedenspolitik ausdrückten, die besten Stunden seines Lebens.


Ina Darmstädter vom Canaan Project, das den Trialog mit
Frauen aus Palästina und Israel stärken möchte, deutet Rabins Schritte
zu einem Friedensprozess, zusammen mit dem Palästinenserführer Arafat,
als seine persönliche innere Versöhnung. Der Ministerpräsident Rabin
hatte als Kämpfer der israelischen Untergrundarmee Hagana, als Offizier
der israelischen Armee und später als Verteidigungsminister alles mit
erlebt: Die Befreiung der Holocaustüberlebenden, die Gründung des
israelischen Staates, den ersten Krieg gegen die arabischen Mächte und
die weiteren Kriege. Er habe, so Darmstädter, statt weiter auf Gewalt zu
setzen, den Schlüssel gefunden zu innerem Frieden. In seiner letzten
Rede sagt er: „Ich möchte frei heraus sagen, dass wir auch unter den
Palästinensern einen Partner für den Frieden gefunden haben: die PLO,
die ein Feind war und die dem Terrorismus abgeschworen hat. Ohne Partner
für den Frieden wird es keinen Frieden geben. Wir werden von ihnen
verlangen, dass sie ihren Teil zum Frieden beitragen, wie wir unseren
beitragen werden, um den komplizierten, langen und emotional
aufgeladenen Aspekt des israelisch-arabischen Konflikts zu lösen: den
palästinensisch-israelischen Konflikt.“


Sehr unterschiedliche Perspektiven

Ramsis Kilani, ein 24jähriger Deutscher mit palästinensischem Vater,
der ihn, seine Stiefmutter und seine fünf Halbgeschwister letztes Jahr
in Gaza verloren hat, wehrt sich gegen diese Darstellung. Da gäbe es
sehr unterschiedliche Perspektiven: „Rabin war kein Mann des Friedens!“
Er habe in seiner Funktion als Offizier ethnische Säuberungen
durchgeführt, er habe in Bezug auf palästinensische Demonstranten
gesagt: „Brecht ihnen die Knochen!“ Mit bewegter, aber betont
nicht-aggressiver Stimme erzählt er von der Situation in Gaza: 89
Familien wurden im Bombardement letztes Jahr ausgelöscht, 146 Familien
verloren mindestens drei Angehörige, der Wiederaufbau fände praktisch
nicht statt (ein Haus sei seitdem wieder aufgebaut worden). Das Oslo
Abkommen, für das Rabin so hoch gelobt wird, sei das „Palästinensische
Versaille“ gewesen. Jerusalem war aus den Verhandlungen ausgeklammert
worden, auch das Rückkehrrecht oder ein palästinensischer Staat seien
nicht Teil der Verhandlungen gewesen. Die Palästinenser hätten
dementsprechend eine ganz andere Perspektive auf Rabin und dessen
Friedenspolitik.


Robi Damelin, eine Vertreterin des Parents Circle,
einem Zusammenschluss von Angehörigen getöter Menschen in diesem
Konflikt – israelische und palästinensische – gibt Kilani recht, dass
das Oslo Abkommen sicherlich nicht in allen Punkten richtig gewesen
seien. Sie selbst hat ihren Sohn David verloren, der an einem Check
Point von einem Palästinenser erschossen wurde. Sie entgegnet Kilani:
„Unsere Aufgabe ist es, statt den Pfad der Rache zu gehen, zu versuchen,
die Menschlichkeit im anderen zu erkennen.“ Politisch sei für sie klar,
dass Israel aus den besetzten Gebieten raus müsste, aber sie vermeide
jede Positionierung pro-Israel oder pro-Palästinensisch. Sie möchte
„nicht auf der Seite des Problems, sondern auf der Seite der Lösung
stehen.“ Diese Lösung oder das, was man momentan tun könne, ohne sofort
von allen Seiten angefeindet zu werden, sei für sie der Parents Circle.


Parents Circle: Versöhnung auf menschlicher Ebene

Gegründet wurde dieser 1995 in Israel von arabischen und jüdischen
Hinterbliebenen in diesem Konflikt Getöteter. Seitdem sind 600 Familien
aus Israel, dem Gazastreifen, Ost-Jerusalem und der Westbank darin
organisiert. Sie wollen zeigen, dass Versöhnung auf menschlicher Ebene
möglich ist und organisieren auf allen Ebenen Treffen, Workshop,
Bildungsprogramme, damit die Menschen sich begegnen. Denn das größte
Problem, so Damelin, sei der absolute „Cut Off“, dass die Trennung der
arabischen und der jüdischen Bevölkerung so absolut sei, dass
Palästinenser in der Westbank noch nie einen Israeli ohne Uniform und MG
kennengelernt hätten und Israelis keinerlei persönliche Beziehung zu
Arabern hätten.


In ein paar Bildsequenzen aus dem Dokumentarfilm „Two sided Story
zu diesem Projekt wurde gezeigt, wie sich zum ersten Mal Angehörige aus
Israel und Palästina treffen. Sie erzählen sich ihre Geschichten, wie
ihre Angehörigen umgekommen sind, durch Sniper, Soldaten, Bomben. Sie
beginnen, einen persönlichen Kontakt aufzubauen. Aber es wird auch
schwierig, sobald sie anfangen, über die unterschiedlichen Erzählweisen
des Konfliktes zu reden. Jede Seite hat ihre eigene historische Deutung
der gemeinsamen Geschichte. Wer hat was, wann gemacht, wer schmeisst
Steine, schiesst, bombt Zivilisten, … Wer muss sich schützen und wer ist
schutzbedürftig? Und doch, auf der menschlichen Ebene, können sie sich
der Annäherung nicht entziehen: „Sie ist so ein nettes Mädchen. Ich
liebe sie. Wirklich!“ bricht eine Palästinenserin bei einer Runde heraus
in Bezug auf die israelische Frau, eine ehemalige Soldatin, die neben
ihr sitzt. Der Kontakt vertieft sich, indem sie sich gegenseitig
besuchen und ihre Stadt, Familie, Nachbarn zeigen und die alltäglichen
Probleme erzählen, die sie haben.


Versöhnung nur auf Grundlage gleicher Rechte

Nach der Filmvorführung kommt jedoch Kilani, unterstützt von einigen
Leuten aus dem Publikum, darauf zurück, dass seiner Meinung nach ein
Versöhnungsprozess erst möglich sei, wenn die Palästinenser eine
rechtliche Gleichstellung mit den Israelis erlangen. Das bedeute die
Anerkennung als Staat, die Freilassung von politischen und
minderjährigen Gefangenen, der Abzug der israelischen Truppen, etc.
Damelin plädiert für eine Wahrheits- und Versöhnungskommission nach dem
Vorbild Südafrikas. Doch auch dort fand diese erst statt als, zumindest
auf dem Papier, die schwarze und weisse Bevölkerung gleiche Rechte
hatten.




Insgesamt ein spannender Abend und sehr interessante Projekte, die
ein bißchen Hoffnung geben. Aber gleichzeitig wird klar: die Wunden sind
tief und die Entwicklung momentan reisst sie nur tiefer.