Dr. Ayyub Köhler spricht über kulturelle Bildung
Liebe Leserinnen und Leser,
möchte Ihnen ein schönes Interview mit Dr. Ayyub Köhler im März dieses Jahres auf “Kultur bildet” vorstellen.
Danke Ihnen allen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen eine friedliche und erfolgreiche Woche.
dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.
Hier finden Sie den Link zum Interview:
http://www.kultur-bildet.de/artikel/kulturelle-bildung-was-ist-das-ueberhaupt-herr-koehler
bei dem sich Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Ausbildung,
Wohlfahrtsverbänden, Erwachsenenbildung, Kinder- und Jugendbildung,
Migrantenorganisationen, Religionsgemeinschaften, Verwaltung des Bundes,
der Länder sowie den Kommunalen Spitzenverbänden über aktuelle Vorhaben
und Entwicklungen in der kulturellen Bildung austauschen.
kultur-bildet.de stellt in der Interviewreihe „Kulturelle Bildung, was
ist das überhaupt?“ die Mitglieder des Arbeitskreises vor.
HEUTE: DR. AYYUB AXEL KÖHLER, Koordinationsrat der Muslime
kultur-bildet.de: Kulturelle Bildung, was ist das überhaupt für Sie?
Dr. Ayyub Axel Köhler: Kulturelle Bildung formt den
inneren Menschen. Sie bietet Möglichkeiten zur Entfaltung seiner Anlagen
und Fähigkeiten. Dazu ist Freiheit eine notwendige Voraussetzung.
Kulturelle Bildung sollte den Menschen befähigen, Kunst und Kultur zu
schaffen, zu rezipieren und Orientierung in der unüberschaubaren Kultur-
und Medienlandschaft im eigenen Land und in der Welt anbieten. Dazu
muss kulturelle Bildung über das Erlernen von künstlerischen
Tätigkeiten, wie das Malen oder Musizieren hinausgehen. Die kulturelle
Bildung im engeren Sinne sollte als eine Initialzündung für eine
umfassendere ästhetische Bildung, die in alle Lebensbereiche dringt
dienen, und grundlegend für eine lebenslange Selbstbildung sein.
Entscheidend für das tiefere Verständnis der kulturellen
Erscheinungsformen ist das Wissen um Religionen, mit ihren alles
umfassenden Menschen- und Weltbildern. Sie prägen entscheidend Inhalt
und Form der Kulturen. Und es sind die unterschiedlichen Sprachen, die
das Denken der Menschen und die damit auch die Philosophie hinter den
Kunstwerken erscheinen lassen, wie andererseits die Kunst das
auszudrücken vermag, was die Sprache nicht leisten kann. Von der
ästhetischen Bildung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt hin zur
interkulturellen Bildung, die angesichts unserer globalen Verflechtungen
nach interkulturellen Kompetenzen verlangen. Und es soll nicht
vergessen werden, dass kulturelle beziehungsweise ästhetische Bildung
Wege zum gelungenen Leben und zum Glück eröffnet.
kultur-bildet.de: Wann und wie kamen Sie zum ersten Mal in den „Genuss“ kultureller Bildung? Oder war es vielmehr eine Qual?
Köhler: Meine kulturelle Bildung nahm natürlicher
Weise in der Familie ihren Anfang. Familie und Familienverhältnisse
spielen in der sich vollziehenden kulturellen Bildung ja eine
entscheidenden Rolle. Meist dort werden die ersten Anstöße für die
kulturelle Bildung gegeben. Bewusst wurde mir der Wert der kulturelle
Bildung für den Menschen erst im Gymnasium unter den Bedingungen eines
totalitären Staates, und dass die Freiheit eine notwendige Voraussetzung
für eine den Menschen formende kulturelle Bildung ist. Nicht viel
später wurde mir bewusst, welche entscheidende Rolle der Religion bei
der ästhetischen Bildung zukommt. Religion und Aufenthalte im
nichteuropäischen Kulturkreis gaben meiner „kulturellen
Bildungskarriere“ einen neuen Schub. Kulturelle bzw. ästhetische Bildung
macht einen Teil meines Glücks aus.
kultur-bildet.de: Wir haben Sie als Vertreter des
Koordinationsrates der Muslime in unseren Arbeitskreis Kultur bildet.
berufen. Inwiefern haben Sie in Ihrem Arbeitsfeld mit kultureller
Bildung zu tun?
Köhler: Die Muslime sind in Deutschland in erster
Linie mit politischen und gesellschaftlichen Existenzproblemen sowie
wegen der Islamfeindlichkeit, dem Generalverdacht, den Diskriminierungen
und in letzter Zeit zunehmend auch mit Angriffen auf sie persönlich und
auf ihre Einrichtungen befangen. Die kulturelle Bildung tritt schon
deswegen in den Hintergrund. Einer meiner Herzensanliegen in der
islamischen Community ist gerade jetzt, in Zeiten der entarteten
Tendenzen im Islam bzw. unter den Muslimen, für eine ästhetische Bildung
zu werben und diese zu fördern. Auch das ist ein Grund für mein
Engagement in einem Islamischen Stiftungswerk für Bildung und Kultur.
kultur-bildet.de: Welche Themen und Fragestellungen zur
kulturellen Bildung finden viel zu selten Beachtung? Welche sind Ihrer
Meinung nach überflüssig oder gar kontraproduktiv für die
Weiterentwicklung des Feldes?
Köhler: Der kulturellen Bildung kommt in unserem
Bildungssystem zu kurz. Sie beschränkt sich vorwiegend auf eine engere
kulturelle Bildung. Sie sollte weitergefasst als ästhetischen Bildung
unterrichtet werden, und auf das Wesen der Kulturen und die ethnische,
kulturelle und religiöse Vielfalt in unserem Lande eingehen. –
Kontraproduktiv war und ist die Propagierung einer deutschen Leitkultur.
Sie integriert nicht. Sie gibt keinen Raum für einen kulturellen
Dialog. Es verwundert also nicht, dass die nichtchristlichen Teile
unserer multikulturellen Gesellschaft in unserer Bildungslandschaft
kaum beachtet und gewürdigt werden. Für den interkulturellen Dialog,
insbesondere für den notwendigen kulturellen Dialog mit dem Islam,
sollten zum vielfaltigen Nutzen auf breiter Ebene schon in den ersten
Schuljahren die Grundlagen geschaffen werden. – Für besonders notwendig
halte ich die kulturelle bzw. ästhetischen Bildung im Rahmen der
Medienerziehung. Sie sollte die Fähigkeit zur Orientierung in der mit
den neuen Medien angebotenen verwirrenden Vielfalt von Wirklichkeiten
vermitteln.
kultur-bildet.de: Und nun ein Blick in die Zukunft. Welche Visionen haben Sie für die kulturelle Bildung?
Köhler: Meine Vision ist ein Bildungssystem, das auf
einer vertieften Bildungsidee beruht. In einer Zeit, in der die
Ökonomie das Zentralgebiet der Politik geworden ist, und man in einem
globalen Wettlauf um technisch-wissenschaftliche Innovationen den Erhalt
unseres Landes sieht, setze ich auf ein Bildungssystem, in dem die
kulturelle bzw. ästhetischen Bildung übergreifend eine Schlüsselrolle
einnimmt. Aus ihr wachsen die originären Innovationen. Sie macht Länder
zu Kulturnationen. – Deutschland sollte systematisch als Schmelztiegel
der Ideen und Kulturen ausgebaut werden. Der Islam in Deutschland könnte
hier ein vorbildliches Beispiel für einen gegenseitigen Nutzen des
Zusammenführens des islamischen und abendländischen Erbes abgeben. Für
einen Austausch auf Augenhöhe sollte die kulturelle Bildung die
Grundlagen schaffen. – Ausgehend von einer erweiterten Bildungsidee,
sollte eine auch die außereuropäischen Kulturen umspannende kulturelle
Bildung zur Selbstvergewisserung, einem Selbstbewusstsein und Identität
Deutschlands beitragen.