Mohammed Khallouk, “In Deutschland angekommen: Marburg”
Liebe Leserinnen und Leser,
anbei
möchte wir Ihnen ein Buch präsentieren, das man als ein Beispiel
muslimischer Migrantenliteratur bezeichnen könnte. Es stammt von Prof.
Mohammed Khallouk, der sich autobiografisch mit seinen Erfahrungen in
Deutschland auseinandersetzt.
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare hierzu.
dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi – ProMosaik e.V.
Wenn
Immigranten aus der Islamischen Welt nach Europa gelangen und ihre
Weltsicht in literarischer Form nach außen tragen, steht dabei zumeist
eine Auseinandersetzung mit ihrem Herkunftsland und dem dortigen Leben
im Vordergrund. Der Deutschmarokkaner Mohammed Khallouk, der zum Studium
aus Marokko nach Deutschland gekommen ist, setzt sich in seinem Buch
„In Deutschland angekommen: Marburg“ hingegen intensiv mit seiner neuen
Heimatstadt, Marburg an der Lahn, auseinander.
In
fragmentarischer Form gibt er seine Wahrnehmung vom Leben dieser Stadt,
ihrer Geschichte und ihrer studentisch geprägten Mentalität aus seiner
kulturellreligiös dem arabischen Raum entstammenden Sichtweise wieder.
Einerseits ist er Teil der deutschen Gesellschaft geworden, andererseits
steht er weiterhin seiner Ursprungsheimat und ihren Traditionen nahe.
Insofern ist er Bewohner zweier Welten und ihm gelingt es, die
Wirklichkeit Deutschlands mit den Augen eines Fremden zu sehen. Allein
so kommen Wahrnehmungen zustande, die das Fremde im Bekannten und
Gewohnten deutlich zu machen verstehen.
Das
erste Fragment schildert seine Einreise nach Deutschland: Der Empfang
an einem kalten Junitag und die Überprüfung durch die Polizei auf dem
Flughafen haben etwas beunruhigend Unfreundliches. Er verspürt eine
Kälte und Abweisung, die in absolutem Kontrast zu seiner bisherigen
Vorstellungskraft vom Land der Dichter und Denker steht.
Aber
nicht nur den unpersönlichen Flughafen, sondern auch das Studentenleben
in Marburg, auf das er in den folgenden Fragmenten eingeht, erlebt er
zuerst einmal von seiner Schattenseite. Die nächtlichen Partygeräusche
im Studentendorf lassen den von der Reise erschöpften nicht seine
ersehnte Ruhe finden.
Doch die
Marburger Gesellschaft zeigt sich nicht immer nur kalt und unpersönlich.
Reinhard Kiefer verweist in seinem Nachwort auf eine anrührende Szene,
die im abendlichen Marburg spielt. Darin erleben zwei junge arabische
Männer die Macht der Musik Johann Sebastian Bachs, die aus einer Kirche
auf die Straße dringt. Einen alten Mann fesselt die Musik so stark, dass
er gleichsam aus seiner Wirklichkeit in eine ganz andere entführt wird.
„Die beiden arabischen Orientalistikstudenten schauen den Wartenden
bewundernd an. ‚Wir haben doch gelernt‘, sagt der eine zum anderen, ‚die
Worte des Korans bringen die Menschen in Verzückung. Der christliche
Kirchenchor in Marburg schafft das bei Einzelnen offenbar auch.‘ “ (10)
Es
wäre unverständlich, wenn Khallouk, der Islamwissenschaftler, am in der
ältesten protestantischen Universitätsstadt überall sichtbaren
Christentum und seinen verschiedenen Facetten achtlos vorbei ginge. Die
Unterschiede zu seiner Religion, dem Islam, aber auch zum Judentum, zum
Buddhismus des Dalai Lama, sowie untereinander fallen ihm sofort ins
Auge. Die religiöse Pluralität erkennt er jedoch als Bereicherung und
Herausforderung an. „Dort am Sternenhimmel offenbart sich die
unerreichbare Größe Gottes. Er kennt so viele Facetten, seine Botschaft
auf die Erde zu senden. Die Menschen müssen nur in der Lage sein, sie
richtig zu deuten, dann können sie sich als Seher bezeichnen.“ (10)
Trotz
des positiven Gesamteindruckes, die das praktizierte Christentum in
Marburg Khallouk vermittelt hat, kann er sich kritische Anfragen nicht
verkneifen. So merkt er im Hinblick auf deutsche Scheidungsraten an:
„Die kirchliche Trauung scheint nur noch wenige deutsche Paare vor dem
späteren Ehebruch zu bewahren. Vielleicht hilft den Christen der Glaube,
dass die Sünde im Vorhinein vergeben wird. In dieser Hinsicht ist das
Christentum offenbar sehr praktisch, denn für die heute begangenen
Sünden – in und außerhalb der Ehe – soll Jesus schon vor zweitausend
Jahren gelitten haben. Die Muslime haben es da nicht so einfach. Das
göttliche Gericht nach dem eigenen Tod sollte jeder stets vor Augen
behalten.“ (34)
Khallouk kommt es
jedoch nicht auf eine theologische Auseinandersetzung des Islam mit dem
Christentum an, er bringt stattdessen seine Verwunderung angesichts
eigener Unzugänglichkeit und eingestandenen beschränkten Wissens über
die andere Religion zum Ausdruck. Vor diesem Hintergrund ist er stets
Suchender, der sich nicht durch die Vorgaben von Anderen eine Sichtweise
aufdrängen lässt, zugleich aber den steten Respekt für die Ansichten
der Anderen als nachahmenswertes Markenzeichen der Marburger
Wissenskultur hervorhebt.
Seiner
Offenheit gegenüber der religiösen Vielfalt in Marburg zum Trotz bleibt
der Autor seiner islamisch geprägten, streng monotheistischen Grundsicht
treu. Besonderes Unverständnis bringt diese der Trinitätslehre im
Christentum gegenüber. Khallouk löst diesen theologischen Grundkonflikt
zwischen den beiden Weltreligionen auf eine ungewöhnliche Weise, wie
folgende Szene zeigt, aus der er zugleich einen unkonventionellen Weg
erkennen lässt, mit der ihm unbekannten, ja fast unheimlichen
Liberalität der Marburger Gesellschaft gegenüber von der Standardnorm
abweichenden sexuellen Ausrichtungen umzugehen: „Vor dem Tor der
Baptistenkirche haben sich homosexuelle Frauen und Männer versammelt.
Sie skandieren: ‚Nein zu Homophobie. Nein zum religiösen Konservatismus.
Die schwule und die lesbische Liebe sind auch gottgewollt.` Als er mit
den Sonntagszeitungen unterm Arm an dem Protestzug vorbeigeht, reibt er
sich verwundert die Augen. Plötzlich geht ihm ein Licht auf: ‚Jetzt weiß
ich, warum die Christen die Trinitätslehre brauchen‘, sagt er sich.
‚Ein Gottvater, der die Heterosexuellen liebt, reicht nicht aus.
Gottsohn ist für die Liebe der Schwulen und der Heilige Geist für die
Liebe der Lesben. So haben sie alle ihren liebenden Gott.‘ “ (37)
Nicht
selten offenbart der Autor bei der Schilderung sein Unverständnis und
muss sich eingestehen, nicht überall eine Erklärung parat zu haben.
Dennoch ist er stets bemüht, das ihm Unerklärliche nicht von vorn herein
als „sinnwidrig“ abzuqualifizieren und aus dem Verhalten der Anderen,
Lehren für das Eigene zu ziehen.
In diesem Sinne schreibt Murad Wilfried Hofmann:
„Dies ist das Buch eines Liebhabers. Des Liebhabers nicht einer Frau, sondern einer Stadt.
Die
eingehende Schilderung Marburgs, seiner Geliebten, aus jedem denkbaren
Blickwinkel ist mehr als eine liebenswürdige Hommage. Es ist eine wahre
Huldigung des Ortes, der den Autoren umgarnt und schließlich bezaubert
hat.
Kann sich ein wahrer Muslim
überhaupt in eine fremde Stadt “vergucken” ? Er kann es nicht nur, wie
Khallouk erweist. Glücklich sind Stadtväter, die zur Werbung auf eine
solche Liebeserklärung zurückgreifen können.
Noch
größer wird das Erstaunen, wenn man feststellt, daß es sich um die
Schilderung eines recht jungen Muslims handelt, der Marburg als Student
so liebenswürdig fand, daß er einfach darüber schreiben mußte.
Es
ist ein mustergültiges Beispiel dafür, wie es gelingen kann, die
Muslime in Deutschland zu integrieren, ohne sie notwendig zu
assimilieren.“