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Abbau von Vorurteilen und Feindbildern durch vertieftes Wissen über die eigene Religion im Koranunterricht

Für mich gehört auch die
Erziehung zum Abbau der Feindbilder wesentlich zur Korandidaktik im
deutschsprachigen Raum. In diesem Rahmen sollte die pädagogisch-didaktische
Arbeit des Koranlehrers/der Koranlehrerin vor allem das Ziel verfolgen, Kinder
präventiv und nicht nur reaktiv zur Toleranz zu erziehen.
Die Prävention setzt
nämlich an den Wurzeln von Radikalisierungsprozessen an und kann viele Probleme
der Zukunft lösen, wenn sie schon im Kindesalter effektiv umgesetzt wird. In
diesem Zusammenhang sei der Begriff der präventiven Pädagogik im positiven und
dynamischen Sinne gemeint, wie ihn zum Beispiel der Pädagoge Don Bosco auslegte
und nicht nur als negative Vorbeugung gesellschaftlich gefährlicher
Verhaltensweisen der Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen.
In dieser Anschauung  der Präventivpädagogik von Don Bosco geht es
vordergründig nicht darum, durch Prävention negatives Verhalten, in unserem
Falle Handeln nach Stereotypen und Vorurteilen bzw. Feinbildern, zu vermeiden.
Präventivpädagogik bedeutet stattdessen die Verstärkung positiver Verhaltensweisen
der Toleranz und Offenheit gegenüber der anderen Kulturen und Religionen durch
entsprechend positive Erfahrungen. Und diese positiven Erfahrungen können die
Kinder in der eigenen Koranklasse machen. Hier soll es schon zum Abbau der
Feindbilder kommen, weil der kleine Kreis der MitschülerInnen, die zwar alle
muslimischen Glaubens sind, aber aus verschiedenen Kulturen stammen, ein Labor
für die positive tolerante Lebensweise der Kinder in der deutschen Gesellschaft
darstellen soll.

Koran 2:62
Immer wieder zeigt sich,
dass Fremdenfeindlichkeit und der Mangel an interkultureller und
interreligiöser Kompetenz durch unzureichende Erfahrungen und Kontakte zwischen
Menschen unterschiedlicher ethnischer und kultureller Herkunft und durch die
ungenügende Reflexion über die eigenen Vorurteile und Vorannahmen gefördert werden,
wie auch die Geschichte der Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen klar
zum Ausdruck bringt. 
Diesen Ursachen der Vorurteilsbildung
kann im Koranunterricht, in Zusammenarbeit mit der Schule, Gemeinde und
Gesellschaft, schon vom Kindesalter an, entgegengewirkt werden. Es ist daher
wichtig, Angebote interkulturellen und anti-rassistischen Lernens zu entwickeln
und zu fördern, die entsprechende Erfahrungen bzw. Kontakte „auf gleicher
Augenhöhe“ ermöglichen, sowie dabei unterstützen, diese Erfahrungen zu
verinnerlichen und einzuordnen. Dies gilt zum ersten unter den Musliminnen und
Muslimen verschiedener kultureller und ethnischer Herkunft und dann auch für
die gesamte Gesellschaft, in der sich verschiedene Religionsgemeinschaften,
Agnostiker und Atheisten zusammenfinden.
Die zunehmend multikulturelle
Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft ist durch eine zunehmende Anzahl von
Menschen, die verschiedene nicht-christliche und unterschiedlich stark
ausgeprägte religiöse Bindungen aufweisen, geprägt. Gleichzeitig verfügt die
einheimische Bevölkerung teilweise unzureichendes Wissen über die Religionen
der Einwanderer. Dies gilt vor allem für den Islam, der auch aufgrund der
negativen Darstellung in den Medien massiv missverstanden wird.
Dieses Defizit gibt es aber
auch in der muslimischen Gemeinde, wenn es um interkulturelle Empathie unter
Musliminnen und Muslimen geht. An der interkulturellen Begegnung innerhalb der
Ummah muss daher im Koranunterricht sehr intensiv gearbeitet werden.
Der Korankurs in der
Grundschule ist ein ideales Labor, um in diese Richtung zu arbeiten.
Interreligiöses Lernen und die Eingliederung interreligiöser Aspekte in das
interkulturelle Lernen sollen den Aufbau eines differenzierten Wissens und den
Abbau von Vorurteilen bzw. Feindbildern von Kindern mit unterschiedlichem,
religiösem und weltanschaulichem Hintergrund fördern.

In diesem Sinne
argumentiert auch Sanem Kleff in der Initiative „Voneinander Lernen –
Praxisforum Schule und Islam“, die ich hier als Beispiel anführen möchte, um
tolerantes Zusammenleben, aufgebaut auf Wissen, in die Praxis umzusetzen. In Kleffs Praxisbuch Islam im
Klassenzimmer, Impulse für die Bildungsarbeit
geht es um die Bedeutung
der Vernetzung zwischen Korankurs und Schule und über den zentralen Wert der
fachübergreifenden Erziehung. Die Autorin zeigt auf, wie sich der Islam in den
Fächern wie Deutsch, Geschichte oder sogar Mathematik einbeziehen lässt. In der
fachübergreifenden Arbeit in der Schule kristallisiert sich erneut die
Bedeutung des Koranlehrers/der Koranlehrerin als VermittlerIn islamischen
Wissens nicht nur in der eigenen Schulklasse, sondern auch im LehrerInnenteam
der gesamten Schule, um auch die Vorurteile von Lehrern und Lehrerinnen der
anderen Fächer gegenüber dem Islam konstruktiv abzubauen.
Abschließend möchte ich
zusammenfassend die Lernziele dieses Bereiches auflisten, die meiner Meinung
nach die Arbeit des Koranlehrers/der Koranlehrerin sei es im eigenen
Unterricht, als auch in der Team- und Vernetzungsarbeit, in beide Richtungen
leiten sollten:
– Die Wesensmerkmale von Vorurteilen und Feindbildern erkennen
– Die gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche,
psychologische Bedingtheit von Vorurteilen und Feindbildern erkennen
– Die Ursachen für die Entstehung von Vorurteilen und Feindbildern
kennen
– Verhaltensfördernde und –erhaltende Manipulationen und
Meinungsbildungen erkennen
– Erkennen, dass Vorurteile und Feindbilder den Denk- und Handlungsspiel-raum
der Menschen einschränken, wodurch häufig fruchtbare Alternativen des Dialogs
und des Kontaktes ausgeschlossen werden
– Erkennen, dass Vorurteile und Feindbilder für die eigene
Wahrnehmung als negative Selektionsfilter wirken
– Erkennen, dass eine schachförmige Weltanschauung eine Verzerrung
der Wirklichkeit mit sich bringt
– Erkennen, dass Vorurteile und Feindbilder die Bereitschaft zu
Diskriminierung, Gewalt und Aggression steigern
– Sensibilität gegenüber Unrecht, Missachtung und Gewalt als
Voraussetzung für den Abbau von Vorurteilen anerkennen
– Erkennen, dass der Abbau von Vorurteilen und Feindbildern zur
Entideologisierung von Konflikten dient und somit gewaltfreie
Konfliktregelungen begünstigt
– Die Bereitschaft, vorhandene Urteile einer kritischen
Überprüfung zu unterziehen
– Die Bereitschaft, Vorurteile und Feindbilder, die den Frieden
behindern, abzubauen, z. B. durch die Infragestellung bisher unreflektierter
Einstellungen durch Feststellen von Informationslücken, durch Informationsbeschaffung
und kritische Analyse.
Dr. phil. Milena Rampoldi
Redaktion von ProMosaik e.V.