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Informationen über die Geschichte der Ostermärsche für den Frieden

Ostermärsche

Geschichte der Ostermärsche
Stichwort: Ostermarsch – 4 Texte zum Hintergrund
Ostermarsch-Bewegung/Kampagne für Demokratie und Abrüstung (Kurzüberblick von K.A. Otto)
ap-Meldung von 1995 (Auszug)
Zur Genesis der Ostermarschbewegung (Hintergrundfeature von Dr. Günter Wernicke)
Bedingungsfaktoren, Wirkungsbedingungen und Auswirkungen der Ostermarsch-Bewegung (Analyse von Christoph Butterwegge)
Die ersten Ostermärsche
7. April 1958: Erster Ostermarsch findet statt (mdrInfo)
Andreas Buro: 1960, Erinnerungen an den ersten Ostermarsch in Deutschland
Helga und Konrad Tempel: 1960, Erinnerungen an den ersten Ostermarsch in Deutschland
Broschüre “Wir werden nicht Ruhe geben.”, Kapitel: Die Ostermarschbewegung
Link: www.wdr.de: Unzählige Kilometer für den Frieden
Historische Fundstücke “Ostermarschbewegung”
Bilderbox: 50 Jahre Ostermarsch in der Bundesrepublik


Ostermarsch-Bewegung/Kampagne für Demokratie und Abrüstung

Prof. Dr. Karl A. Otto

Die
Bewegung entwickelte sich ab 1960 von zunächst ethisch-pazifistisch
motivierten dreitägigen “Ostermärschen” gegen die atomare Aufrüstung
(nach dem Vorbild der britischen “Campaign for Nuclear Disarmament”) zur
permanenten “Kampagne für Abrüstung” (1963) und schließlich zur
gesellschaftskritisch argumentierenden “Kampagne für Demokratie
Abrüstung” (1968). Dabei nahm sie Ausmaße Massenbewegung an.

Von
1960 bis 1968 stieg die Zahl der Marsch- und Kundgebungsteilnehmer bei
den Ostermärschen 1.000 auf 300.000; die Zahl der Unterschriften unter
die jährlichen Ostermarsch-Aufrufe stieg von 230 auf 15.000 (darunter
1.416 Geistliche und Theologen, 1.507 Pädagogen, 1.378
Gewerkschaftsfunktionäre, 1.008 Vertreter von Jugend- und
Studentenorganisationen, 891 Künstler, 577 Schriftsteller und Publizist
sowie 486 Hochschullehrer und Wissenschaftler). Es konnten nur
Einzelpersonen, nicht Organisationen an der Bewegung teilnehmen. Die
notwendige Koordination und Organisation der Aktionen wurde von
Ausschüssen übernommen, die auf zentraler und regionler Ebene nach dem
Detegationsprinzip und örtlich zumeist basisdemokratisch fungierten.
Durch selbstorganisierte Öffentlichkeitskampagnen, Demonstrationen sog.
“direkte Aktionen” des gewattfreien Widerstandes und zivilen Ungehorsams
der Ostermarsch-Bewegung wurden in der Bundesrepublik Formen der
unmittelbaren Interessenwahrnehmung praktiziert und dauerhaft
durchgesetzt, die bis dahin als suspekt gegolten hatten und repressiv
abgewehrt worden waren. Damit wurden der Spielraum für politische
Bürgerbeteiligung real erweitert und Bedingungen geschaffen, ohne die
das Aufkommen der späteren Bürgerinitiativen kaum denkbar gewesen wäre.

Insbesondere
unter dem Eindruck der Notstandsgesetzgebung (1968), der
Militärintervention in der CSSR (1968) der Bildung einer sozialliberalen
Bundesregierung (1969) sowie interner Differenzierungsprozesse durch
Verselbständigung der studentischen Protestbewegung und der Ausbildung
einer antiautoritären Subkultur kam die Bewegung 1970 faktisch zum
Erliegen.
Literatur:
A. Buro, Die Entstehung der Ostermarschbewegung als Beispiel für die
Entfaltung von Massenlernprozessen. In: Friedensanalysen, Bd. 4, Ffm.
1977, S. 50-78. – K. A. Otto, Vom Ostermarsch zur APO. Geschichte der
außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik 1960-197O. Ffm.
1980.

aus: Die Friedensbewegung, Hermes Handlexikon, Düsseldorf, 1983, S. 296-297


ap-Meldung von 1995 (Auszug):


Ihren Ursprung hat die Ostermarsch-Bewegung in den 50er Jahren in
Großbritannien. Seither gehen jedes Jahr zu Ostern in verschiedenen
Ländern Zehntausende von Menschen auf die Straße, um für den Frieden zu
demonstrieren. In Deutschland fand der erste Ostermarsch 1960 statt. Der
Bewegung gehörten zunächst vornehmlich Anhänger eines
ethisch-religiösen Pazifismus an. Schon bald wurde sie zu einer
außerparlamentarischen Sammlungsbewegung, die jedoch 1970 mit dem
Austritt führender Mitglieder, unter anderem wegen der Haltung der
Deutschen Kommunistitschen Partei (DKP) zur Intervention der
Warschauer-Pakt-Truppen in der Tschechoslowakei, zerfiel.

Erst
1982 erlebte die Ostermarsch-Bewegung mit der Debatte über die
Nachrüstung der NATO eine Wiedergeburt. Mit dem Ende des Kalten Krieges
und dem Zerfall des Ostblocks hat aber das Interesse an den
Ostermärschen inzwischen wieder erheblich nachgelassen. Waren zu
Spitzenzeiten der Ostermärsche noch Hunderttausende auf den Beinen, so
beteiligten sich 1993 in Deutschland gerade noch 70.000 Menschen an den
Veranstaltungen, die vor allem den AWACS-Einsatz der Bundeswehr zur
Durchsetzung des Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina zum Thema hatten.


Remember history

Zur Genesis der Ostermarschbewegung – Anmerkungen von Dr. Günter Wernicke

Blickt
man auf die fast vier Jahrzehnte dieser unvergleichlichen
Friedensinitiative zurück, stellt sich wie von selbst die Frage, was sie
war und was sie ist, welches ihre bewahrenswerten Aktionsformen und
ihre bis heute wirkenden Traditionen sind? Allein schon der Rückblick
auf die Ursprünge der Bewegung in Großbritannien ist lohnend,
unterstreicht er doch den sehnlichen Wunsch der Menschheit, das 21.
Jahrhundert ohne atomares Damoklesschwert erleben zu wollen.

In
Großbritannien dominieren seit letztem Jahr als eine spezifische Form
des gewaltfreien Aktionismus Proteste gegen Straßenbaumaßnahmen u.a. in
Newbury, Aktionen in der Nähe des seit Anfang der 80er Jahre zu einem
Symbol gewordenen Frauenfriedenslagers von Greenham Common. Die
historisch untrennbar mit der Genesis der Ostermarschbewegung verknüpfte
“Kampagne für nukleare Abrüstung” (CND) versucht auch heute
ungebrochen, mit gezielten direkten Aktionen den Kampf um die
Abschaffung aller Kernwaffen fortzusetzen. Das bewies im November
vergangenen Jahres ihre Aktion gegen das 3. britische Trident-U-Boot mit
der Zielstellung; entsprechend dem Urteil von Den Haag das U-Boot “zu
arretieren”. Die CND- Vorsitzende Janet Bloomfield sprach von “the tide
is turning”. Wenngleich noch in den 80er Jahren die Mehrheit der Briten
an die nukleare Abschreckung glaubte, so belegen Meinungsumfragen des
letzten Jahres, daß sich eine Kehrtwende vollzogen hat.

Die
Ostermarschbewegung demonstriert eine bislang nicht gekannte
außerparlamentarische Mobilisierungskampagne, die vor allem zu Beginn
der 60er Jahre eine außerordentliche Resonanz erfuhr. Zugleich
reflektiert sie einen neuen Typus basisdemokratischer Politikformen, die
die politische Kultur nachhaltig verändert hat. In jener Zeit
symbolisiert sie zugleich auch die Krise des parteistaatlichen Systems
repräsentativer Demokratie und wurde zu einem wesentlichen Fokus der
sich herausbildenden außerparlamentarischen Opposition in den 60er
Jahren.

Die britische Kampagne wurde binnen kurzer Zeit auch zum
Vorbild für andere europäische Anti-Atomwaffenbewegungen, wie die der
Bundesrepublik. Die CND als überparteiliche Organisation zur
Verhinderung der britischen Atomrüstung trat im Februar 1958 an die
Öffentlichkeit, nachdem es im Januar zum ersten Dialog zwischen dem
aktionistischen “Nationalrat für die Abschaffung der Kernwaffentests”,
der ca. 20 Labourparlamentarier umfassenden
“Labourparty-H-Bomben-Kampagne” sowie zweier Wissenschaftlergruppen, die
gegen Kernwaffen und Wasserstoffbomben eintraten, gekommen war.

Im
Vordergrund stand dabei der zum Synonym für die Bewegung gewordene Lord
Bertrand Russel, der 1955 mit Albert Schweitzer in dem berhümten
Russell-Einstein-Manifest die Weltöffentlichkeit gegen einen möglichen
nuklearen Holocaust wachzurütteln versuchte. Russell wurde zugleich der
erste Präsident der CND, die bereits ein Jahr später zur größten
politischen Massenbewegung in Nachkriegsgroßbritannien angewachsen war.
Höhepunkt dieser Kampagne wurden die alljährlich zu Ostern
durchgeführten viertägigen Protestmärsche von London nach Aldermaston,
dem 83 km entfernten britischen Atomforschungszentrum bzw. ab 1959 von
Aldermaston nach London, zum Trafalgar Square. Diese Demonstration
begründete eine Traditionslinie, die sich sehr schnell auf dem
europäischen Festland fortsetzte. Die Forderung nach einseitigem
Verzicht Großbritanniens auf Nuklearwaffen (Unilateralismus) wurde zur
Grundforderung. Zu den Begründern zählten sowohl Michael Foot, als auch
Peggy Duff und der Kanonikus Collins, der auch ein Hauptbefürworter des
Dialogs zwischen Ost und West innerhalb der Friedensbewegung war, wobei
er gegen stereotypes Denken, Ressentiments auf beiden Seiten ankämpfte.

In
der Bundesrepublik fand der erste Ostermarsch 1960 statt. Die
Initiative dazu ging von einer kleinen Gruppe religiös motivierter
Pazifisten aus, die sich innerhalb der Hamburger Gruppe des “Verbands
der Kriegsdienstverweigerer” (VK) zu einem “Aktionskreis für
Gewaltlosigkeit” zusammengeschlossen hatten. Sprecher war der Lehrer
Hans Konrad Tempel. Ein erster Ausschuß wurde gebildet “Ausschuß für den
Ostermarsch zum Raketen-Übungsgelände Bergen-Hohne”, der bald der
Zentrale Ausschuß wurde. Allein in der Bundesrepublik stieg die Zahl der
Ostermarschierer von ca. 1.000 im Jahre 1960 auf 50.000 1963 bis hin zu
150.000 1967 und 1968 über 300.000 bundesweit! Wie breit die Bewegung,
die seit 1963 von der Kampagne für Abrüstung geführt wurde, gefächert
war, bewies der Ostermarschaufruf 1967: 1.416 Geistliche und Theologen,
1.507 Pädagogen, 486 Hochschullehrer und Wissenschaftler, 1378
Gewerkschaftsfunktionäre, 1.008 Vertreter von Jugend- und
Studentenorganisationen, 891 Künstler und 577 Schriftsteller und
Publizisten unterzeichneten das Dokument.

Vergleichbar mit
anderen sozialen Bewegungen und wesentlich geprägt in ihrem
Mobilisierungsgrad durch das Verhältnis Spannung-Entspannung zwischen
den beiden Machtblöcken, erlebte die Ostermarschbewegung und mit ihr die
CND sowie ab Anfang der 80er Jahre die von ihr wesentlich initiierte
European Nuclear Disarmament Campaign (END) Höhen und Tiefen. Anfang der
80er Jahre erfolgte eine Reaktivierung. Mit über 90.000 nationalen
Mitgliedern und 250.000 in lokalen Gruppen Organisierten erlebte die CND
1984 ihren Höhepunkt, nachdem bereits ein Jahr zuvor Großbritannien die
größte politische Demonstration seit 1909 gesehen hatte, ähnlich wie
der im Bonner Hofgarten mit über einer Million 1983.

Und heute?
Der direkte Aktionismus in Form der Proteste, des Einrichtens von Camps
wie in Fairmile nahe Devon gegen den Ausbau der A 30, das von der
Polizei geräumt wurde, das Sich-Stärker-Konzentrieren auf vielfältige
Aktionsformen gegen den Straßenbau, der “Food not Bombs”-Aktionen und
ähnlicher Aktionskampagnen, die die in Großbritannien relevantesten und
öffentlichkeitswirksamen Protestbewegungen der letzten Jahre darstellen,
und die zum einen Erfahrungen der früheren Ostermarsch- und
CND-Bewegung absorbieren, und zum anderen eine neue Generation von
Protestierenden politisieren.

Wie in allen entwickelten Ländern,
deren öffentliches Bild einstmals Massenostermärsche bestimmten, sucht
man auch in Großbritannien nach zeitgmäßen Artikulationsformen des
Widerstandes. Diesem Ziel dienen auch das Osten 1997 an der Universität
von Leeds geplante Diskussionswochendende über zukünftige gewaltfreie
Aktionsformen, eine Vernetzung verschiedener sozialer Bewegungen und
ihre perspektivische Ausrichtung. In Großbritannien hat die
traditionelle Ostermarschbewegung zugleich einen Rückschlag erhalten
durch den Entzug der Unterstützung seitens der neuen Labour Party unter
Tony Blair, der auf dem letzten Jahreskonvent der Labourparty definitiv
abrückte von dem Forderungskatalog der CND. In die nunmehr offenkundige
politische Lücke versucht sich die Grüne Partei einzubringen, die sich
hinter CND stellt und damit einen günstigen Rahmen für eine stärkere
perspektivische Verquickung der Ökologie und Friedensbewegung bietet.

aus: Pax Report 3/97, S. 4


Bedingungsfaktoren, Wirkungsbedingungen und Auswirkungen der Ostermarsch-Bewegung

Christoph Butterwegge

Am
Anfang des Ostermarsches standen Selbstzweifel, Enttäuschung und
Verunsicherung über die Zukunft der Friedensbewegung, die sich gegen
Ende der 50er Jahre in einer der gegenwärtigen “Sinnkrise” durchaus
vergleichbaren Umbruch- und Krisensituation befand. Die von SPD und DGB
ins Leben gerufene Kampagne “Kampf dem Atomtod” hatte im Frühjahr 1958
zwar erreicht, daß in Bremen, Hamburg und mehreren hessischen Gemeinden
ein Plebiszit über die geplante Ausrüstung der Bundeswehr mit
Nuklearraketen durchgeführt werden sollte. Als das
Bundesverfassungsgericht die Volksbefragung jedoch am 12. Juni 1958
aussetzte und am 30. Juli desselben Jahres mit der Begründung verbot,
Landesverteidigung sei keine Ländersache und durch solche Abstimmungen
werde unzulässiger Druck auf die zentralstaatlichen
Entscheidungsinstanzen ausgeübt, zogen sich SPD und Gewerkschaften
zurück, woraufhin die Bewegung zerfiel, obwohl sie formal
weiterexistierte.(1)

Auf nationaler und supranationaler Ebene
vollzogen sich seinerzeit tiefgreifende Veränderungen: Der Kalte Krieg
wurde zwar beim Bau der Berliner Mauer (August 1961) und bei der
Kuba-Krise (Oktober 1962) noch zweimal wiederbelebt, ging aber seinem
Ende entgegen. Die Globalstrategie der USA antizipierte bereits ein
nukleares Patt (“Gleichgewicht des Schreckens”) zwischen den
Weltmächten, indem sie weniger auf politische und militätische
Konfrontation als auf Kooperation, Rüstungskontrolle und Vereinbarungen
zur Regelung der gegenseitigen Beziehungen orientierte. Die
Adenauer-Regierung widersetzte sich diesem Strategiewechsel und
vertraute einer “Politik der Stärke”, womit sie Gefahr lief,
international isoliert zu werden. “Während weltpolitisch, vor allem
zwischen UDSSR und USA, eine Tendenz zur Entspannung trotz partieller
Rückschläge und vieler Hemmnisse immer nachhaltiger zu wirken begann,
drängte die Bonner Regierung in die entgegengesetzte Richtung; sie
wollte sich weder mit dem europäischen Status quo noch mit
normalisierten Staatsbeziehungen und ersten Rüstungsbegrenzungs- oder
Abrüstungsmaßnahmen abfinden.”(2)Der Opposition boten sich hervorragende
Möglichkeiten, im Einklang mit der Nato-Führungsmacht
Entspannungspolitik zu fordern. Die SPD – selbst im Umbruch begriffen –
nutzte diese Chance jedoch (noch) nicht. Ihre Führung paßte sich nach
der verlorenen Bundestagswahl im September 1957, bedingt durch den
überraschend klaren CDU/CSU-Wahlsieg, diesen Parteien immer mehr an, um
als mögliche Partnerin in einer Großen Koalition Regierungsverantwortung
übernehmen zu können. Das Godesberger Grundsatzprogramm, verabschiedet
auf einem Parteitag im November 1957, bekannte sich zu dem zehn Jahre
früher gegen sozialdemokratischen Widerstand errichteten Separatstaat
und betrachtete die Bundeswehr als Instrument zu dessen Verteidigung.(3)
Herbert Wehner bot dem Regierungslager am 30. Juni 1960 in einer
berühmten Bundestagsrede die Gemeinsamkeit in Fragen der Außen- und
Sicherheitspolitik an.(4) Nunmehr stellte sich die SPD auf den Boden der
NATO und bisher von ihr grundsätzlich bestrittener
Bündnisverpflichtungen. Besiegelt wurde der Kurswchsel auf dem
Hannoveraner Parteitag im November 1960: Mit der Befürwortung einer
allgemeinen Wehrpflicht fiel auch noch jene Position, die als letzte
Bastion des sozialdemokratischen Pazifismus bzw. Antimilitarismus
galt.(5)

Mit ihrer friedenspolitischen Glaubwürdigkeit verloren
SPD und Gewerkschaften auch die Hegemonie innerhalb der
Friedensbewegung. Einerseits machten sich Rat- und
Orientierungslosigkeit breit, andererseits fand eine Umgruppierung der
linksoppositionellen Kräfte statt, die nach der Rezession 1966/67 und
Bildung der Großen Koalition zur Schüler- und Studentenbewegung führte.

Auf
dem Gipfel des “Wirtschaftswunders”, verbunden mit hohen
Wachstumsraten, einer Gewinnexplosion und Reallohnzuwächsen für breite
Gesellschaftsschichten, war es nicht leicht, Menschen für ihre
Überlebensinteressen, Frieden und Abrüstung zu mobilisieren. Eine
weitere Barriere bildete der Antikommunismus. Durch das KPD-Verbot im
August 1956 und die Unterbindung der Volksbefragung zur Atombewaffnung
hatte sich der Spielraum für Protestbewegungen spürbar verengt. Die
Illegalisierung, Kriminalisierung und (durch die Rechtfertigung
sowjetischer Rüstungsanstrengungen einerseits, die Übernahme
stalinistischer Praktiken andererseits verstärkte) Ghettoisierung der
Kommunisten erschwerten die Friedensarbeit zusätzlich. Die
Friedenskräfte waren gesellschaftlich isoliert, atomisiert und
weitgehend handlungsunfähig. “Für Rüstungskritiker in der Bundesrepublik
stellte sich somit zu Beginn der 60er Jahre die Aufgabe, alle Kräfte,
die für Abrüstung eintraten, in einer Sammlungsbewegung zu konzentrieren
und durch unkonventionelle Protestformen die Öffentlichkeit
herzustellen, die ihnen zunächst verschlossen war.”(6)Der Ostermarsch
war die zeitgemäße Aktionsform, mit deren Hilfe die Friedensbewegung
wieder Fuß faßte und zuerst nur ganz wenige, opferbereite und längst von
der Notwendigkeit atomarer Abrüstung überzeugte, später dann Millionen
Menschen erreichte. Das Erfolgsgeheimnis des Ostermarsches bestand
darin, über kein Patentrezept zu verfügen, sondern ein Experimentierfeld
für alle Beteiligten und in sich widersprüchlich zu sein: Es handelte
sich nämlich um eine zentralistisch organisierte und straff geführte
Basisbewegung. Dieser Doppelcharakter unterschied den Ostermarsch von
anderen, vergleichbaren Projekten. Der antikollektivistische,
organisationskritische Grundzug der Ostermarsch-Bewegung entsprang
leidvollen Erfahrungen mit Großorganisationen (Sozialdemokratie,
Gewerkschaften) und entsprach dem Zeitgeist: Privatinitiative und
Individualismus standen hoch im Kurs. Die InitiatorInnen des
Ostermarsches stellten weder die kapitalistische Marktwirtschaft noch
die bürgerlich-parlamentarische Demokratie in Frage; sie hielten sogar
an der Staatsdoktrin der Bundesrepublik, Bollwerk der “freien Welt”
gegen den Kommunismus und die “Gefahr aus dem Osten” zu sein, sowie der
im Kalten Krieg herrschenden Ideologie (Totalitarismus) fest. Gleichwohl
widersprach der ethische Rigorismus bzw. Moralismus vieler
OstermarschiererInnen, zumeist verbunden mit asketischer
Selbstbeschränkung und missionarischem Eifer, dem Materialismus,
Konsumismus und Warenfetischismus einer Gesellschaft, die sich aufgrund
der Entbehrungen des Zweiten Weltkrieges und der unmittelbaren
Nachkriegszeit im Kaufrausch befand und “Wohlstand für alle”, nicht eine
Welt ohne Waffen auf ihr Panier geschrieben hatte.

Die Forderung
der Kampagne “Kampf dem Atomtod” übernahm die Ostermarsch-Bewegung und
entwickelte sie weiter. Das Postulat, die Bundeswehr nicht mit
Nuklearwaffen auszustatten, verallgemeinerte man zum Prinzip der Gewalt-
und Atomwaffenfreiheit in Ost und West, ergänzt um den Vorschlag,
notfalls einseitig abzurüsten.(7) Später griff die Ostermarsch-Bewegung
damit verwandte Themen auf: Die Konsequenzen der Aufrüstung für das
“soziale Netz” wurden immer wieder diskutiert, Notstandsgesetze und
Vietnamkrieg seit Mitte der 60er Jahre zum Kristallisationskern aller
Ostermärsche. Diese Schwerpunktverschiebungen der “Kampagne für
Abrüstung” bzw. “Kampagne für Demokratie und Abrüstung”, wie sich die
Ostermarsch-Bewegung der Atomwaffengegner seit September 1963 bzw.
Januar 1968 nannte, waren das Resultat eines breitangelegten
Diskussions-, Radikalisierungs- und Politisierungsprozesses.

Zu
Beginn eher unpolitisch, stieß der Ostermarsch sehr bald auf verkrustete
Machtstrukturen, bürokratische Gegenmaßnahmen und obrigkeitsstaatliche
Traditionen, die den MarschiererInnen mehr zu schaffen machten als Wind
und Wetter. Der Ostermarsch wurde zum Nährboden einer Bewegung, die
personell mit ihm eng verzahnt und fundamentaloppositionell war.(8) Die
Ostermarsch-Bewegung fungierte als Geburtshelferin und Ziehmutter der
“Außerparlamentarischen Opposition” (APO). Diese bewirkte Ende der
60er/Anfang der 70er Jahre einen politischen Klimawechsel in der BRD, so
daß man von einer “kulturrevolutionären Veränderung durch den
Ostermarsch” sprechen kann.(9) Die Überpolitisierung des Ostermarsches
führte jedoch zur Polarisierung (zwischen pazifistischen,
traditionalistisch-marxistischen und linkssektiererischen bzw.
antiautoritär-spontaneistischen Kräften) sowie in letzter Konsequenz zu
einer Paralysierung der Bewegung. Der Zerfall wurde durch ideologischen
Zündstoff bewirkt, den dogmatische Analysen des BRD-Imperialismus und
Konfliktstrategien von APO-Gruppen lieferten. Dazu kamen außenpolitische
Ereignisse (CSSR-Intervention des Warschauer Pakts 1968), die
unterschiedlich eingeschätzt wurden und nicht zu überbrückende Gräben
innerhalb der Ostermarsch-Bewegung hinterließen.

Der Ostermarsch
ist die erste organisch gewachsene Massenbewegung in der Geschichte der
Bundesrepublik, die nicht von Parteien bzw. Organisationen vereinnahmt
wurde, sondern bis zuletzt unabhängig und überparteilich blieb.
Kennzeichnend für die Ostermarsch-Bewegung der 60er Jahre war, daß sie
wichtige Entscheidungen in den örtlichen, regionalen und zentralen
Beschlußgremien nach dem Konsensprinzip traf, ohne ihren Minimalkonsens
(Ablehnung aller Nuklearwaffen) als Beschränkung auf einen Punkt zu
empfinden. Minderheiten und Extrempositionen wurden nicht ausgegrenzt,
sondern integriert, Heterogenität und Meinungspluralität als Gütezeichen
einer neuen Protestkultur begriffen. Der Ostermarsch bewies, daß
weltanschauliche, politische und “Kulturschranken” überwunden werden
können und müssen, wenn das Gattungsinteresse (am Überleben der
Menschheit) im Atomzeitalter die Zusammenarbeit aller Friedenskräfte
gebietet.
Anmerkungen

1)
Vgl. Hans Karl Rupp, Außerparlamentarische Opposition in der Ära
Adenauer: Der Kampf gegen die Atombewaffnung in den fünfziger Jahren.
Eine Studie zur innenpolitischen Entwicklung der BRD, Köln 1970, S. 213
ff.; Christoph Butterwegge, Friedenspolitik in Bremen nach dem zweiten
Weltkrieg, Bremen 1989, S. 176 ff.

2) Lorenz Knorr, Geschichte der Friedensbewegung in der Bundesrepublik, Köln 1983, S. 119

3)
Vgl. Abschnitt “Landesverteidigung” im Godesberger Grundsatzprogramm
der SPD (1959), abgedruckt bei: Christoph Butterwegge/Heinz-Gerd
Hofschen (Hrsg.), Sozialdemokratie, Krieg und Frieden. Die Stellung der
SPD zur Friedensfrage von den Anfängen bis zur Gegenwart. Eine
kommentierte Dokumentation, Heilbronn 1984, S. 320

4) Die
Rede findet sich in: Ossip K. Flechtheim (Hrsg.), Dokumente zur
parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945, Bd. 3:
Programmatik der deutschen Parteien, Teil 2, Berlin (West) 1963, S. 226
ff.

5) Vgl. Entschließung des Hannoveraner SPD-Parteitages
1960 zur Sicherheitspolitik, in: Christoph Butterwegge/Heinz-Gerd
Hofschen (Hrsg.), Sozialdemokratie, Krieg und Frieden, a.a.O., S. 323 f.

6)
Guido Grünewald, Zur Geschichte des Ostermarsches der Atomwaffengegner,
in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/1982, S. 306

7)
Vgl. Andreas Buro, Die Entstehung der Ostermarsch-Bewegung als Beispiel
für die Entfaltung von Massenlernprozessen, in: Friedensanalyse 4. Für
Theorie und Praxis, Frankfurt am Main 1977, S. 72

8) Vgl.
dazu: Karl A. Otto, Vom Ostermarsch zur APO. Geschichte der
außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik 1960-1970,
Frankfurt am Main/New York 19779) Siehe Uli Jäger/Michael
Schmid-Vöhringer, “Wir werden nicht Ruhe geben…”, Die Friedensbewegung
in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1982. Geschichte, Dokumente,
Perspektiven, Tübingen 1982, S. 27

aus:
30 Jahre Ostermarsch, Ein Beitrag zur politischen Kultur der
Bundesrepublik Deutschland und ein Stück Bremer Stadtgeschichte, Bremen,
Steinstor Verlag, 1990


7. April 1958: Erster Ostermarsch findet statt

von Dietrich Karl Mäurer (mdrInfo)

Am
07. April 1958 bewegte sich in London vom zentralen Platz Trafalgar
Square aus der weltweit erste große Ostermarsch durch die Straßen. Mit
dem Ruf “Ban the bomb” (Verbietet die Bomben) zogen tausende
Kernwaffengegner zum britischen Atomforschungszentrum Aldermaston. Sie
forderten einseitige Abrüstung. Großbritannien sollte seine Kernwaffen
insbesondere die Wasserstoffbombe aufgeben.

Trotz schlechten
Wetters an diesem Ostersonntag waren Tausende gekommen. Aus der kleinen
und unbedeutenden Kampagne gegen nukleare Aufrüstung war beinahe über
Nacht eine Massenbewegung geworden. Die Initiative fand breite
Unterstützung von Parlamentsabgeordneten der Labour-Party, von
Kommunisten, von Kirchenführern und von Persönlichkeiten des
öffentlichen Lebens.

Die britische Presse berichtete sehr vorsichtig über diesen ersten Ostermarsch.

Ein
Auszug der Londoner TIMES: “Es dauerte 40 Minuten, bis die Kolonne der
Ostermarschierer an uns vorbei war. Man kann also sagen, dass die
Bewegung rein zahlenmäßig Zulauf hat. Welche Leute gingen mit? Alles
Kommunisten, sagte ein Zuschauer. (…) Es gab aber auch andere
Reaktionen. Gruppen von wohlgesinnten Zuschauern hatten sich hier und da
versammelt und spendeten jedem Vater Beifall, der ein Kind auf den
Schultern oder einen Kinderwagen schiebend mitmarschierte oder jeder
jungen Mutter, die ein Kind an der Hand mitzog. Man sah auch Leute im
mittleren Alter, Männer im Sonntagsanzug und Frauen im besten Kostüm.
Alte Jungfern in Wanderkluft. Und Rentner, denen das Marschieren Mühe
machte. Vor allem aber sah man Studenten, die selbst der Atom-Angst noch
Lustiges abzugewinnen schienen. Junge Mädchen in Bluejeans, Doublecoat
und derben Schuhen zogen lachend vorbei. An der einen Hand hielten sie
ein Schreckensbanner, an der anderen einen jungen Mann, manchmal mit
Bart.”

Die Forderungen der Ostermarschierer sorgten schon bald
für kontroverse Diskussionen im linken Lager – insbesondere bei der
Labour-Party. Der Deutsche Dienst der BBC schildert 1973 rückblickend
die damalige Lage: “Der Daily Herold, die Arbeiterzeitung, die bis dahin
eine linientreue Parteirichtung vertreten hatte, griff die Forderungen
nach der einseitigen nuklearen Abrüstung Großbritanniens auf und zog
sich eine öffentliche Rüge durch den Generalsekretär der Labour-Party
zu. Auf dem Jahreskongress der Labour-Party im Herbst 58 kam es zwar
noch nicht zur Spaltung, aber die Parteiführung hatte es bereits schwer,
sich gegen den Abrüstungsflügel durchzusetzen.”

Aus dem Londoner
Marsch entwickelte sich in den folgenden Jahren in verschiedenen
westeuropäischen Ländern eine Tradition solcher Demonstrationsmärsche zu
Ostern. Der erste Ostermarsch in der Bundesrepublik fand 1960 mit etwa
1.000 Teilnehmern in Norddeutschland statt.

Quelle: MDR INFO Kalenderblatt, Sendung am 7. April 2006

Andreas Buro
Damals in Bergen-Hohne flossen Tränen

Mit
einer gewissen Berechtigung kann man sagen, die außerparlamentarische
Opposition als unabhängige Friedensbewegung wurde durch die
Sozialdemokratische Partei Deutschlands bewirkt. Es begab sich nämlich
zu der Zeit in Bad Godesberg 1959, dass die SPD ihre Kampagne “Kampf dem
Atomtod” abrupt beendete. Der große Stratege Herbert Wehner hatte
erkannt, die SPD würde niemals an die Regierung kommen, wenn sie sich
nicht in Richtung auf die Adenauer`sche Politik der Wiederbewaffnung
Deutschlands orientieren würde. Über eine große Koalition konnte der Weg
zur Macht geebnet werden, wenn nur die größten Stolpersteine aus der
SPD-Programmatik gestrichen würden. Einer der größten war die radikale
Ablehnung jeglicher atomarer Waffen durch die Partei, die sich eben
gerade in jener Kampagne gegen den Atomtod bislang kräftig geäußert
hatte. Der Parteivorsitzende Ollenhauer selbst hatte alle rhetorischen
Register gezogen und die Gewerkschaften schritten Seit an Seit mit den
Genossen.

Doch über Nacht sollte das nun alles nicht mehr gelten.
Die Kampagne wurde auf allen Ebenen eingestellt. Freilich erklärte
keiner der Sozialdemokraten, für Nuklearwaffen zu sein, aber man kämpfte
halt nicht mehr dagegen. In dieser Situation mischte sich die
Ungleichzeitigkeit von Entwicklung in den europäischen Ländern ein. In
England nämlich wuchs der Protest mit den Ostermärschen von Aldermaston
nach London unter dem runenartigen Zeichen des sterbenden römischen
Kriegers oder wie andere das Zeichen deuteten als über einander
kopiertes N und D aus der Flaggensignalsprache. ND stand für Nuclear
Disarmament. Helga und Konrad Tempel, zwei engagierte Pazifisten und
Quäker, nahmen an den Märschen in England teil und brachten die
Protestform nach Deutschland. 1960 sollten auch in Deutschland
Ostermärsche stattfinden. Pazifisten und
Kriegsdienstverweigerungsgruppen in den vier norddeutschen Städten
Hamburg, Bremen, Hannover und Braunschweig beschlossen, in einem
Sternmarsch 3 bis 4 Tage über Ostern nach Bergen-Hohne zu marschieren,
wo die US-Army die Honest John Raketen als Träger für Atomwaffen
erprobte. Kriegsdienstverweigerung und Pazifismus waren in dieser hohen
Zeit des Kalten Krieges zwischen Ost und West noch sehr, sehr
randständig und Bergen-Hohne in der Heide war umlagert von Orten mit
kräftiger nationalsozialistischer Vergangenheit und Bevölkerung. Da
mussten wir durch.

Das Unternehmen wurde von Ost und West, links
und rechts mit Häme und Spott überschüttet. Naive Sektierer und
idealistische Spinner waren noch die freundlichste Bezeichnung. Die
Diffamierungsmaschine lief auch auf einer anderen Ebene. Ein bekanntes
Boulevard-Blatt schrieb “Sex auf dem Ostermarsch”. Der Hintergrund: Bei
den 3-4-tägigen Märschen hatten wir auch Turnhallen für die
Übernachtungen angemietet. Dort nächtigten die Marschteilnehmer nicht
getrennt nach Geschlechtern, sondern gemeinsam in den großen Hallen.
Damals zogen solche Diffamierung noch. Heute würde man darüber nur
lachen – auch ein deutliches Zeichen für den Wandel der Zeiten und vor
allem des gesellschaftlichen Bewusstseins nicht zuletzt durch die Arbeit
der sozialen Bewegungen.

Der erste Ostermarsch der
Atomwaffengegner war alles andere als eine Massenbewegung. Aus
Braunschweig standen wir zu 24 zwischen zwei Stützpfeilern der Kirche,
deren Pfarrer uns mit bewegenden Worten in die kalte und nebelige
Landschaft hinaus schickte. Ich wäre lieber zwischen den Pfeilern stehen
geblieben. Damals waren die meisten von uns das Demonstrieren noch
nicht gewöhnt. Drei Tage Marsch bei Kälte und Schnee und vielen
Anfeindungen. Wir lernten schnell, wie wichtig die Gruppe für unsere
seelische Stabilität war. Am Tag der Vereinigung mit den anderen
“Marschsäulen” war es eine große Erleichterung zu sehen, dass auch
andere den Protest mittrugen. In Bergen-Hohne angekommen, wurden vom
Dach eines VW-Busses Reden gehalten und der Protest gegen Atomwaffen in
Ost und West verkündet. Als H. G. Friedrich, der Vorsitzende unserer
Braunschweiger Gruppe der IdK (Internationale der Kriegsdienstgegner),
auf den Bus stieg, um zu sprechen, versagte ihm vor Tränen und Rührung
die Stimme, als er sah, wie viele sich doch zusammen gefunden hatten. Es
waren mehrere Hundert. Heute fände das kaum noch jemand erwähnenswert,
denn man hat sich an größere Zahlen gewöhnt.

Das eigentliche
Wunder von Bergen-Hohne geschah jedoch erst in der Zeit nach Ostern
1960. Viele politische und religiöse Gruppen entdeckten den Ostermarsch
als eine fabelhafte Möglichkeit, mit vielen anderen und auch vielen
unterschiedlich Gesinnten gegen Atomwaffen zu protestieren. So konnten
damals ganz randständige Gruppen von Pazifisten zu einem Fokus werden
für die erste von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und anderen
Großorganisationen unabhängige außerparlamentarische Opposition. Sie
breitete sich nicht nur in Windeseile über die ganze Bundesrepublik aus,
arbeitete während des ganzen Jahres und nicht nur zu Ostern, erweiterte
ihre Thematik, so dass sie sich später über viele soziale Lernprozesse
zu der “Kampagne für Demokratie und Abrüstung” verwandelte, einer Art
Urmutter der “neuen sozialen Bewegungen”.

Mit der Ausweitung und
Verbreiterung der Ostermärsche geschah ein zweites Wunder. Sehr viele
der sonst so disziplinierten SPD-Genossen und Gewerkschaftskollegen
konnten nicht begreifen, dass der einst so wichtige Kampf gegen den
Atomtod nun etwas Verabscheuungswürdiges sein sollte, das man besser
nach “drüben” zu schicken habe. Sie verweigerten den Herrschern ihrer
Apparate in diesem Punkt die Gefolgschaft – so eine Art ziviler
Ungehorsam. Das hat uns sehr gefreut, aber auch die unerbittliche
Feindschaft von Wehner und anderen Oberen eingetragen, die damals vor
keiner Diffamierung zurück schreckten.


Quelle: Geschichte aus der Friedensbewegung – Persönliches und
Politisches -, S. 13, Köln 2005, Hrsg: Komitee für Grundrechte und
Demokratie, Köln

Helga und Konrad Tempel
Berührungsängste und ihre Auswirkungen beim ersten Ostermarsch 1960

Unser
Hamburger Marsch begann am Karfreitag, 15. April, um 9 Uhr bei
regnerischem Wetter in Hamburg-Harburg – nach unserer Erinnerung mit
etwa 120 Leuten. Wegen der Feiertagsbestimmungen konnten wir uns erst ab
11 Uhr am ersten vorgesehenen Rastplatz zu einem Zug formieren…..

Wir
wussten noch nicht, welche reglementierende Funktion Ordnungsgesetze
haben und wie gezielt Behörden mit Hilfe von Bestimmungen einen
öffentlichen Protest einschränken können. Spätere Erfahrungen wie die
Vorzensur (bereits vor der Aktion verbotene Plakattexte) und
Einreise-Verbote für Atomwaffengegner aus England lagen noch vor uns, so
dass wir 1960 ohne inneren Widerspruch das Marschverbot an Feiertagen
bis 11 Uhr hinnahmen. Überrascht wurden wir auch von den Folgen einer
bemerkenswerten Behörden-Aktivität. Eine Gaststätte, in der wir 150
Portionen Eintopf-Essen bestellt hatten, war geschlossen, als wir
ankamen. Später hörten wir, dass man vor uns gewarnt hatte (ähnlich wie
1961 in Aschaffenburg, wo plötzlich zugesagte Quartiere für mehrere
hundert Teilnehmer nicht mehr zur Verfügung standen.)

Schwerwiegender
waren die Schwierigkeiten, die wir mit uns selbst hatten. In der
Erinnerung eines Teilnehmers, der aus der Tradition der Arbeiterbewegung
kam und in anderer Form als wir aktiv für den Frieden arbeitete, liest
sich das so: “Es bedurfte vieler heftiger Diskussionen in verräucherten
Kneipenzimmern oder am Küchentisch, einem Kommunisten oder alten
Gewerkschaftler klarzumachen, warum der – der kein Pazifist war –
gemeinsam mit Pazifisten hinter der Parole `Die Bombe ist böse`herlaufen
sollte.”

Obwohl es diese Parole bei uns nie gegeben hat, ist die
Behauptung doch symptomatisch für das Misstrauen gegenüber
Grundpositionen, die einem selbst nicht vertraut waren. Und weiter: “So
setzte diese Gruppe durch, dass auf dem ersten Ostermarsch Diskussionen
verboten wurden, um den Linken keine Gelegenheit zur Propaganda zu
geben. Mehr als einmal wurde der Marsch bei Regen und Schnee
unterbrochen, wenn Hans-Konrad Tempel einen Kommunisten oder ein
Mitglied der “Jungen -Aktion” beim Politisieren erwischte …. Die
Marschleitung zog sich zur Beratung in den Straßengraben zurück. Da
Offenheit und Ausdiskutieren aller Fragen vereinbart worden war, kann
man sich vorstellen, wie lange solche Beratungen dauerten.”

In
dieser Darstellung ist nach einhelliger Meinung der Ausschuss- und
Marschleitungsmitglieder unsere Reaktion dramatisiert und entstellt
wiedergegeben; sie macht aber aus der Perspektive der anderen Seite
deutlich, dass bei uns erhebliche Berührungsängste vorhanden waren,
deren Auswirkungen zu solchen abwegigen Behauptungen führten.

In
der Tat: Ein wesentliches Merkmal des Marsches waren die lebhaften
Diskussionen, die uns Organisatoren in hohe Ängste versetzt haben. Und
zwar deshalb, weil diejenigen, die in diesen Diskussionen dominierten,
ungleich politischer argumentierten als wir. Und weil an einigen Stellen
durchaus agitiert wurde, hatten wir Organisatoren die ernste Sorge,
dass die sich gleichermaßen gegen die Atomrüstung des Westens wie des
Ostens richtende Gesamttendenz verändert werden könnte. Es tauchte im
Vorbereitungsausschuss sogar die Frage auf, ob möglicherweise für einige
der Teilnehmer die Agitation wichtiger sei als die Demonstration einer
gemeinsamen Auffassung gegenüber der Öffentlichkeit.

In diesem
Zusammenhang muss man berücksichtigen: Das KPD-Verbot hatte bewirkt,
dass Kommunisten sich in einer Vielzahl von Gruppierungen und Vereinen
betätigten; selbst wir im Verband der Kriegsdienstverweigerer hatten
ständig mit der Unterstellung zu kämpfen, wir seien eine sogenannte
Tarnorganisation. Das war der Hintergrund für unsere Angst vor einer
“Unterwanderung”. Nur aus dieser Sachlage heraus ist zu verstehen, dass
wir bereits im ersten Brief an unsere Freunde in Norddeutschland auf
einem Punkt bestanden: “Wegen der Gefahr des Auftretens von `östlichen
Friedensfreunden` unter dem Zeichen ihrer Verbände … wollen wir
betonen, dass nur Einzelpersonen, nicht Organisationen teilnehmen.”

Solche
Schwierigkeiten haben sich in der Folgezeit an einigen Stellen noch
gesteigert, nicht nur, weil wir unseren Argwohn nur allmählich
überwinden konnten, sondern auch, weil es hin und wieder koordinierte
Tendenzen gab, demonstrativ Verbandssymbole zu zeigen und optisch
herausragende Positionen einzunehmen, etwa beim Tragen von Spruchbändern
und Fahnen. Insgesamt aber hat sich in den folgenden Jahren das Prinzip
der `breiten Plattform` durchgesetzt, das auf dem Verzicht aller
basierte, den Marsch für die eigene Grundposition zu vereinnahmen und
mit ihm eigene Politik zu machen.


Quelle: Geschichte aus der Friedensbewegung – Persönliches und
Politisches -, S. 15, Köln 2005, Hrsg: Komitee für Grundrechte und
Demokratie, Köln


Die Ostermarsch-Bewegung

Uli
Jäger/Michael Schmid-Vöhringer: “Wir werden nicht Ruhe geben .”. Die
Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1982,
Geschichte, Dokumente, Perspektiven, Verein für Friedenspädagogik
Tübingen, 1982, 48 Seiten, (vergriffen)

Kapitel III: Die Ostermarsch-Bewegung http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/media/pdf/Ostermarschbewe
gung.PDF


Unzählige Kilometer für den Frieden

Seit vier Jahrzehnten gehen die Ostermarschierer auf die Straße
Link: http://www.wdr.de/themen/politik/veranstaltung/ostermarsch2002
/geschichte.jhtml?rubrikenstyle=rueckblick


Button

siehe auch Button der Ostermarschbewegung, 1962http://www.hdg.de/lemo/objekte/pict/NeueHerausforderungen_butt
onOstermarsch/index.html
)
Flugblatt


Ostermarsch `82. Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen –
Flugblatt mit Aufruf zu Ostermärschen in verschiedenen Städten.
Autor/Ersteller: Komitee für Frieden Abrüstung und Zusammenarbeit
(KoFAZ), Köln, 1982, Druck, 29,7 x 21 cm, Haus der Geschichte, Bonn,
EB-Nr.: 1996/02/0950http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/NeueHerausforderungen_flug
blattOstermarsch1982/

Bilder-Galerie “Ostermarsch vor 50 Jahren”, siehe hier

E-Mail: friekoop (at) friedenskooperative (Punkt) de