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Die Existenzbedrohung als Pfeiler der israelischen Politik – Zeev Sternhell –

Donnerstag, 19. Februar 2015

08:58


 
Wer kann
Israel retten, wenn die Chefs des Militärstabs
und des Mossad so schwach und gefügig
sind wie der derzeitige Justizminister?
Die israelische Gesellschaft
hat immer die Macht bewundert. Die Verachtung
für die jüdische Schwäche war das wichtigste
Element für die Negation des Exils.
Das Land wurde mit Gewalt erobert und
der Staat mit der ausgeklügelten Ausnutzung
der Schwäche der Araber in den Unruhen
des Krieges gegründet.
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Der Sechstage-Krieg wurde
nicht nur als Fortsetzung des Unanhängigkeitskrieges
gesehen, sondern auch als Beweis für
unsere Macht als politisches Werkzeug
und Dauerinstrument zur Legitimierung
unseres Status im gesamten Nahen Osten.
Der Friede mit Ägypten machte den ersten
Libanonkrieg unter Luxusbedingungen
möglich, er war die erste Sprosse auf
der Leiter, die die Regierung in großem
Ausmaß von der Notwendigkeit der Selbstkontrolle
befreite, die im Yom Kippur-Krieg entstanden
war. Die Eliminierung der PLO im Libanon
in den 80er-Jahren stützte das Recht
Israels, die 1967 eroberten Gebiete
zu behalten und aus der Schwäche des
Feindes den maximalen Nutzen zu ziehen.
Das war anfangs das Geheimnis des Zaubers,
den das Siedlungsunternehmen auch in
den Augen vieler Linken hatte.
Daher ist die Möglichkeit,
dass Israel in ernsthafte Verhandlung
mit den Arabern tritt, gleich null,
gleichgültig welche Regierung nach den
Wahlen gebildet wird. Wenn das nicht
so wäre, hätte Israel der gemeinsamen
arabischen Initiative von 2002 längst
zugestimmt. Israel sieht keinen Grund,
die Araber wegen ihrer Schwäche zu belohnen:
das Siedlungsunternehmen und die Unterdrückung
der Palästinenser und sie unter Apartheidbedingungen
zu halten wird weiter gehen, solange
nicht die EU  und die USA gemeinsam
einen massiven diplomatischen und wirtschaftlichen
Druck auf Israel ausüben.
Der Kult der Macht ist
aber nur einer der Aspekte der Realität.
Das Gefühl Opfer zu sein, war immer
der zweite. Die abstoßende und derzeit
gut aufgestellte israelische Weinerlichkeit
sowie der schändliche Gebrauch der Erinnerung
des Holocaust durch die israelischen
Funktionäre haben den Kult der Existenzgefährdung
zu einem der Pfeiler der israelischen
Politik gemacht. So war es schon vor
dem Auftauchen des iranischen Nuklearprogramms.
In diesem Kontext hat sich auch die
Macht der israelischen Armee aufgebaut.
Sicher stellt das arabische Potenzial
in seiner Gesamtheit eine reale Gefahr
dar, vielleicht sogar eine Existenzbedrohung.
Und dank dieser Tatsache hat der junge
israelische Staat in den 50er-Jahren
– mit der stillschweigenden Billigung
durch die USA – die Kooperation Frankreichs
bekommen, die Israel nach ausländischen
Quellen seine nicht-konventionelle militärische
Kapazität verschafft hat.
Das ständige Insistieren
auf seiner Existenzbedrohung ist einer
der Gründe für das Verhalten Israels,
aber nicht die vollständige Erklärung.
Jeder rationale Mensch fragt sich: Wie
kann Benjamin Netanyahu, der Meister
im Lamentieren, sich erlauben, den wichtigsten
Rüstungslieferanten Israels und unseren
einzigen Halt imUN-Sicherheitsrat zu
provozieren? Spielen die Sheldon Adelsons
und das große jüdische Geld, die Israel
unterstützen, dabei eine Rolle?
Es ist demnach schwer
zu glauben, dass die Militärmacht in
ihren verschiedenen Aspekten die einzige
Verteidigungswaffe ist, die uns zur
Verfügung steht. Sie ist auch ein politisches
Werkzeug, das die Welt darauf hinweist,
dass sie Israel niemals an die Wand
stellen darf, da es unter extremen Bedingungen
dafür verantwortlich ist zu reagieren
und die ganze Region, vom Persischen
Golf bis zu den Grenzen Pakistans, in
Brand zu setzen.
Und hier taucht eine
weitere Frage auf: Was sind genau diese
vitalen Interessen, die die israelische
Armee verheimlichen könnte, und wer
definiert sie? Vielleicht beziehen sie
sich auf mehr als auf “die befreiten
Gebiete der Heimat” und die jüdischen
Siedlungen dort? Und was wird hier passieren,
wenn die Bennets, Elkins und Levins
an die Regierung kommen?  Was wird
geschehen, wenn die Sicherheitsorgane
nicht mehr von Personen geführt werden
wie solchen, die in einer nicht allzu
fernen Vergangenheit dazu beitrugen,
das gefährliche iranische Abenteuer
zu bremsen, das Netanyahu eingehen wollte,
sondern durch schwache und unterwürfige
Köpfe des Generalstabs, des Mossad,
des Justizministers und der staatlichen
Kontrolle? Wer wird dann kommen, um
uns von ihnen zu retten?