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Jürgmeier im Gespräch mit ProMosaik: Wo das Gespräch nicht abgebrochen wird, ist kein Platz für Gewalt.

Von Milena
Rampoldi, ProMosaik. Ein aufschlussreiches Interview mit dem Schweizer Autor
und Publizist Jürgmeier. Anbei noch einige Informationen über ihn: *1951.
Studien in Psychologie, Soziologie, Pädagogik. MAS Cultural & Gender
Studies. Seit über 40 Jahren in publizistischen, soziokulturellen und
Bildungszusammenhängen tätig, u.a. bei Radio DRS (heute SRF), an einer Höheren
Fachschule (heute FH) im Sozialbereich und an einer Berufsfachschule, u.a. als
Lehrer/Leiter Allgemeinbildung.
Arbeitet
heute als Schriftsteller, Redaktor «Infosperber» und Erwachsenenbildner. Letzte
Publikationen: Der Mann, dem die Welt zu gross wurde. Staatsfeinde oder
SchwarzundWeiss. «Tatort», Fussball und andere Gendereien. Diesen Herbst
erscheint sein Essay «Die Schule ist nicht zum Lernen da oder Lernen
verhandeln» in: Lernen ist meine Sache, hep verlag. Es ging mir in diesem
Interview vor allem um Themen rund um den Dialog und deren Hindernisse, u.a.
mit Einbeziehung des Gender-Diskurses.
Milena
Rampoldi: Sie sehen eine Dialektik zwischen der Tat (als männlichem Drang zur
Gewalt) und dem Wort als positive Alternative dazu. Wie kamen Sie zu diesem
Projekt und wie wichtig ist es in unserer schwierigen Zeit des Militarismus und
des Terrors?
Jürgmeier: Ich glaube nicht, dass es einen
männlichen «Drang» zur Gewalt gibt; es ist vielmehr das Konzept «Mann», das den
real existierenden Männern tendenziell Gewalt abverlangt, das heisst: Gewalt
macht «Männer». Weil Gewalt die Welt in «meine Welt» verwandelt und denen, die
zum Zauberstab der Gewalt greifen, die Illusion verschafft, alles unter
Kontrolle zu haben. Was zentraler Bestandteil von Männlichkeitskonstruktionen
ist. Es ist ja so, dass auch Frauen Gewalt ausüben, aber Gewalt macht Frauen
nicht zu «Frauen».
Das Wort steht u.a. für den Versuch, auf Gewalt
in einer nicht gewalttätigen Form zu antworten, das heisst die
Handlungsoptionen zu erweitern, zum Beispiel durch Verhandeln. Das gilt auch in
der so genannten Zeit des Terrorismus – die, übrigens, zumindest in Europa,
trotzdem eine äusserst friedliche Zeit ist –, denn wer den Terror mit Gewalt beziehungsweise
mit Kriegserklärungen bekämpft, setzt die Logik der Gewalt und des Terrors
fort. Die Gewaltfreien lächerlich zu machen, «Wort»-Menschen als Feiglinge zu
diskreditieren, die nicht handelten, verengt die Optionen auf Nicht-Handeln und
Handeln=Gewalt. Aber das ist eine Form der Kapitulation vor der Logik der
Gewalt.
Das Wort steht auch für den utopischen Versuch,
die Optionen zu erweitern, der Gewalt in einer anderen Form, das heisst gewaltfrei
zu begegnen; zum anderen ist das Wort möglicherweise auch die einzige Option
derer, die nicht die Möglichkeit zur Gewalt haben – weil ihnen die Waffen
fehlen, weil sie physisch nicht stark genug sind.
Am Ende bleiben wir immer im Paradox stecken,
dass Gewalt mit Gewalt nicht zu beenden ist, aber die Gewaltlosigkeit die Opfer
der Gewalt auch nicht wirklich zu schützen vermag. Siehe das bekannte Dilemma
zwischen «Nie wieder Krieg» und «Nie wieder Auschwitz».
Milena
Rampoldi: «Worte statt Taten.» Solange Menschen reden (und zuhören) wird nicht
geschossen. Das ist genau auch das Prinzip von ProMosaik. Welches sind die
Haupthindernisse? Welches sind Strategien, um eine Kultur des Dialogs
aufzubauen?
Jürgmeier: Der Griff zum Zauberstab der Gewalt,
ist der Versuch, die Angst, die Ohnmacht, die Trauer zu beseitigen. Das
bedeutet umgekehrt, dass die Unfähigkeit zur Trauer, zur Ohnmacht und zur Angst
– die vor allem für das Konzept «Mann» konstitutiv, dem sich aber auch Frauen unterwerfen
können – uns daran hindert, gewaltfrei zu handeln, weil die Gewaltfreiheit,
zumindest scheinbar, nichts gegen die Gewalt zu bewirken vermag. Aber am Ende
bleibt immer nur das Reden, das Verhandeln, nach jedem Krieg, am Ende jeder
Terrorserie.
Die interessante Frage ist, ob es gelingen
könnte, schon im Vorfeld realer Gewalt (am besten ganz früh in menschlichen
Leben) andere Formen der Konfliktlösung zu entwickeln, die, vermutlich, meist
mit Kommunikation, Dialog usw. zu tun hätten. Wo das Gespräch nicht abgebrochen
wird, ist kein Platz für Gewalt. Gewaltfreiheit ist der utopische und immer
wieder zu wagende Versuch, wider jede Erfahrung, zu allen Menschen in eine
Beziehung zu treten und gewaltfreie Kommunikationsformen beziehungsweise
Konfliktlösungen zu entwickeln.
Milena
Rampoldi: Wie können wir als Autoren und Journalisten dazu beitragen, dass
Menschen soziopolitisch handeln und an der Förderung einer multikulturellen
Gesellschaft ohne jegliche Form von Diskriminierung beitragen?
Jürgmeier: Autor*innen und Journalist*innen
können in erster Linie durch ihre Art des Schreibens mithelfen, dass Vorurteile
überwunden werden beziehungsweise erst gar nicht entstehen, dass Menschen nicht
zu Feind*innen gemacht werden, dass Kollektiven keine (rassistischen)
Stereotype zugeschrieben werden usw. Der Gewalt geht im Allgemeinen eine sprachliche
Vorbereitung voraus, durch die jene, denen später Gewalt angetan wird, in
gewisser Weise «ent-menschlicht» werden, so dass ihre Ausgrenzung oder
Ermordung als legitim erscheint. Im Extremfall: Die Beseitigung von «Läusen»
ist eine Frage der «Hygiene»; wenn Menschen Menschen und ihre Beseitigung Mord
genannt wird, dann ist den meisten das Morden unmöglich.
Milena
Rampoldi: Flüchtlingskrise: Grosszügigkeit als Lösung. Wie lassen sich hier
Strategien finden, damit die Flüchtlingskrise nicht den Rechtsradikalen
zugutekommt?
Jürgmeier: Die Vorstellung der Lösung ist schon
Teil des Problems. Die Flüchtlingsfrage kann nicht einfach so gelöst werden,
dafür müsste die Welt eine andere werden als sie ist. Also werden wir vorderhand
immer mit unlösbaren Situationen konfrontiert sein. Wobei es für die meisten
von uns die Situation anderer ist, die nicht gelöst werden kann. So paradox und
beklemmend es ist, Grundlage eines respektvolleren Umgangs mit Flüchtlingen ist
das Eingeständnis, dass «wir» nicht allen helfen können, die ein Recht auf
Hilfe hätten. Die unsägliche Formel «Wir helfen allen, die es nötig haben»
führt dazu, dass die Mehrheit Flüchtender und Not leidender Menschen als
«unechte» Flüchtlinge, die nur ein «besseres Leben» wollten, diffamiert werden.
Denn nur so ist die Formel «Wir helfen allen, die es nötig haben» einzulösen.
Das aber bedeutet – wir helfen diesen Menschen nicht nur nicht, sondern wir
treten sie auch noch mit Füssen. Aber eine Lösung ist das für die Betroffenen
natürlich noch lange nicht. Eine «Lösung» zu skizzieren, übersteigt meine
Möglichkeiten, und vieles ist schon gesagt. Im Kampf gegen den
Rechtsradikalismus müssen wir uns und anderen eine Welt zumuten, die so komplex
ist wie unsere Realitäten, in der es keine einfachen Lösungen gibt, was vor
allem für die direkt Betroffenen, nicht für uns, beunruhigend und beängstigend
ist.
Im folgenden Werk von Jürgmeier findet sich ein grösseres
Kapitel über Gewalt und Geschlecht:
Jürgmeier/Helen Hürlimann: «Tatort», Fussball
und andere Gendereien – Materialien zur Einübung des Genderblicks.
Luzern/Zürich: Verlag Interact/Verlag Pestalozzianum. 2008.
Link auf die Website des Autors: http://www.wort.ch/Tatort.html