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Die 1. Untersuchungskammer des IStGH erlässt ihr Urteil auf Antrag des Staatsanwaltes bezüglich der territorialen Zuständigkeit für Palästina

von ICC, 5. Februar 2021, deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi für Tlaxcala. Heute, den 5. Februar 2021, hat die 1. Untersuchungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs („IStGH“ oder „Gerichtshof“) mehrheitlich entschieden, dass sich die territoriale Zuständigkeit des Gerichtshofs bezüglich der Lage in Palästina, einem Vertragsstaat des Rom-Statuts des  IStGH, auf die seit 1967 von Israel besetzten Gebiete, und zwar auf Gaza und das Westjordanland, einschließlich Ostjerusalems, erstreckt.


Carlos Latuff

Am 20. Dezember 2019 gab der Staatsanwalt des IStGH den Abschluss der Voruntersuchung  der Lage in Palästina bekannt. Der Staatsanwalt stellte fest, dass alle gesetzlichen Kriterien des Rom-Statuts für die Einleitung einer Untersuchung erfüllt sind. Eine Entscheidung über die Einleitung der Untersuchung in dieser Situation liegt im Zuständigkeitsbereich des Staatsanwaltes des IStGH. Am 22. Januar 2020 verpflichtete der Staatsanwalt die Kammer gemäß Artikel 19 Absatz 3 des Rom-Statuts und forderte e
ine Entscheidung nur über den Umfang der territorialen Zuständigkeit des Gerichtshofs bezüglich der Lage des Staates Palästina.

Im heutigen Beschluss wies die Untersuchungskammer darauf hin, dass der IStGH verfassungsrechtlich nicht dazu befugt ist, staatliche Angelegenheiten zu bestimmen, welche die internationale Gemeinschaft binden würden. Durch die Entscheidung über den territorialen Geltungsbereich ihrer Zuständigkeit entscheidet die Kammer weder über einen völkerrechtlichen Grenzstreit noch über die Frage zukünftiger Grenzen. Die Entscheidung der Kammer dient ausschließlich der Festlegung der territorialen Zuständigkeit des Gerichtshofs selbst.

Die erste Untersuchungskammer untersuchte den Antrag des Staatsanwalts sowie die Beiträge anderer Staaten, Organisationen und Wissenschaftler, die als Amicus Curiae und Opfergruppen teilnahmen. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass im Einklang mit der gängigen Bedeutung von Begriffen in ihrem Kontext und angesichts des Gegenstands und des Zwecks des Statuts, der Verweis auf den Staat, in dessen Hoheitsgebiet das fragliche Verhalten gemäß Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe a des Statuts an den Tag gelegt wurde, als ein Verweis auf einen Vertragsstaat des Rom-Statuts ausgelegt werden muss. Die Kammer stellte fest, dass der Beitritt Palästinas zum Statut unabhängig von seinem völkerrechtlichen Status dem korrekten und ordentlichen Verfahren folgte und dass die Kammer nicht dazu befugt sei, das Ergebnis des von der Versammlung der Vertragsstaaten durchgeführten Beitrittsverfahrens anzufechten und zu überprüfen. Palästina hat sich daher bereit erklärt, sich den Bestimmungen des Rom-Statuts des IStGH zu unterwerfen. Demzufolge steht Palästina das Recht zu, in Fragen der Umsetzung des Statuts wie jeder andere Vertragsstaat behandelt zu werden.

Die erste Untersuchungskammer hob hervor, dass unter den ähnlich lautenden Beschlüssen, die Generalversammlung der Vereinten Nationen in ihrer Resolution 67/19 „das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit in ihrem Staat Palästina auf dem seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiet“ [erneut bestätigte]. Auf dieser Grundlage stellte die Mehrheit, bestehend aus der Richterin Reine Adélaïde Sophie Alapini-Gansou und dem Richter Marc Perrin de Brichambaut, fest, dass sich die territoriale Zuständigkeit des Gerichtshofs bezüglich der Lage in Palästina auf die seit 1967 von Israel besetzten Gebiete erstreckt, und zwar auf Gaza und das Westjordanland, einschließlich Ostjerusalems.

Darüber hinaus stellte die Kammer mehrheitlich fest, dass die Argumente zu den Oslo-Abkommen und deren Klauseln, die den Umfang der palästinensischen Zuständigkeit einschränken, für die Lösung der Frage der territorialen Zuständigkeit des Gerichtshofs in Palästina keinerlei Relevanz aufweisen. Solche Angelegenheiten und andere weitere Fragen zur Zuständigkeit können geprüft werden, wenn und falls der Staatsanwalt einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls oder einer Vorladung stellt.

Der Richter Marc Perrin de Brichambaut fügte eine teilweise gesonderte Stellungnahme zu den Gründen hinzu, auf deren Grundlage der Artikel 19 Absatz 3 des Statuts in der gegenwärtigen Lage Anwendung findet. Der Vorsitzende, Richter Péter Kovács, fügte eine zum Teil abweichende Stellungnahme hinzu. Darin stimmt er dem nicht zu, dass „Palästina“ zu den Zwecken gemäß Artikel 12 (2)(a) des Statuts „als ein Staat auf einem Territorium gilt, auf das die angesprochene Verhaltensweise Anwendung findet“ und dass die territoriale Zuständigkeit des Gerichts bezüglich der Lage in Palästina quasi automatisch und ohne jegliche Einschränkungen auf die von Israel seit 1967 besetzten Gebiete auszudehnen ist, und zwar auf Gaza und das Westjordanland, einschließlich Ostjerusalems.

Die Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft im Einklang mit dem Artikel 19 Absatz 3 zwecks Entscheidungsfindung bezüglich der territorialen Zuständigkeit des Gerichtshofs in Palästina’

Die zum Teil abweichende Meinung von Richter Péter Kovács

Die teilweise getrennte Stellungnahme von Richter Perrin De Brichambaut


Juan Kalvellido, Tlaxcala, January 2009