„Mein Background ist der Nährboden meines künstlerischen Schaffens“
Von Islamiq, 30. Januar 2021, „Die Kunst ist frei“. Frei von Grenzen und Debatten. Muslimische Künstler nutzen diese Freiheit und machen deutlich: Wir gehören zu Deutschland. Heute mit Ismail Metin Çadıroğlu.
IslamiQ: Kannst du dich vorstellen?
İsmail Metin Çadıroğlu: Ich heiße Ismail Metin, bin 28 Jahre alt und lebe in Frankfurt. Ich spiele und unterrichte die Ney, also Schilfrohrflöte, komponiere eigene Musik und beschäftige mich seit geraumer Zeit mit Foto- und Videographie. Seitdem ich denken kann, war Musik für mich allgegenwärtig. Sei es mein Vater mit der Saz in der Hand oder aber auch die Lieblings-CDs meiner Mutter, auf denen Bach & Beethoven gern mal den ganzen Tag im Haus zu hören waren.
Mit dem Verkauf meines Gameboy konnte ich mir dann endlich mein erstes Studio- Equipment, nämlich mein Mikrofon kaufen, dass ich übrigens bis heute noch verwende. Schließlich gelang es mir mit 14 Jahren ein kleines Homestudio im Keller meiner Eltern zu errichten, wo ich dann meine ersten musikalischen Erfahrungen im deutschen RnB gemacht habe. Nach langem hin und her, in welche Musikrichtung es mich letztendlich verschlagen sollte, entschied ich mich im Alter von 17 Jahren für die Ney und darf seither von unterschiedlichen Lehrern profitieren.
Anfang 2019 fiel dann der Startschuss für mein Projekt: „Erkenntnis & Klang“. Wie der Name vielleicht schon erahnen lässt, finden im Rahmen des Projekts nicht nur reine Musikkonzerte, sondern vielmehr musikalische Lesungen statt. Geschichten & Weisheiten laden dazu ein, über das geistliche Leben und Wirken großer Sufi-Meister zu reflektieren und gewähren Einblick in deren Annäherung auf essentielle Fragen zur Selbsterkenntnis. Aus dem Wechselspiel meditativer Sufi-Musik und inspirierenden Geschichten entstand zuletzt die Idee, innerhalb des Projekts auch vereinzelte Hörstücke zu produzieren.
IslamiQ: Was möchtest Du mit Deinem Projekt „Erkenntnis & Klang“ bewirken?
Çadıroğlu: Eines meiner Anliegen bei diesem Projekt ist es, nicht nur die Klang-, sondern auch die Gedankenwelt der Jahrhunderte alten Sufi-Tradition zu teilen und ein Stück weit zugänglich zu machen. Die Kombination aus Musik und Literatur soll eine Atmopshäre schaffen, die die Zuhörer dazu einlädt, über das Unaussprechliche jener Geschichten nachzudenken oder gar nachzuempfinden, was die gewöhnliche Sprache ansonsten kaum auszudrücken vermag. In Anbetracht der kulturellen Vielfalt in Deutschland könnte dies hoffentlich dazu führen, mehr Verständnis für nicht immer transparente Denk- und Verhaltensweisen untereinander aufzubringen.
IslamiQ: Ist dir dein kultureller und oder religiöser Background wichtig?
Çadıroğlu: Ja, beide sind mir sehr wichtig. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich selbst oder andere auf ihren Background reduzieren würde. Vor allem stellt sich die Frage, was alles darunter fällt? Das türkische Essen zuhause, der portugiesische Freund aus der Uni oder der bereits vollständig geöffnete Schokokalender zum 1. Advent? Ich sehe es als große Bereicherung von Kindheit an mit verschiedenen Kulturen aufgewachsen zu sein. All das hat mich geprägt und neue Sichtweisen sowie Denkansätze mitgegeben.
IslamiQ: Wie stark beeinflusst Dein Background Dein künstlerisches Schaffen?
Çadıroğlu: Mein Background ist mittlerweile Nährboden meines künstlerischen Schaffens geworden. Die Kunst des Ney-Spielens und die dahinter verborgene Philosophie hatten mich schon immer fasziniert. Neben dem, was mich meine Religion lehrt, habe ich dadurch plötzlich eine persönliche Ausdrucksform gefunden, geistliche Erfahrungen zu verinnerlichen und in neue Werke einfließen zu lassen. Ich würde nicht behaupten, immer im Bewusstsein geistlicher Tiefe zu musizieren. Manchmal spiele ich auch einfach so vor mich hin. Aber in den meisten Fällen versuche ich nicht zu vergessen, dass meine musikalischen Fähigkeiten letztendlich nur geliehenes Gut und eine Gabe Gottes sind.
IslamiQ: Wirst oder wurdest Du wegen Deiner Kunst diskriminiert? Wenn ja, von wem und wie?
Çadıroğlu: Nein, ich wurde bisher wegen meiner Kunst von niemandem diskriminiert. Ganz im Gegenteil: Musik verbindet. In der Musik sprechen wir alle dieselbe Sprache und teilen insgeheim dieselbe Sehnsucht.