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Teilungsbefehl – Vision oder die nackte Angst

Von Jürgmeier, Infosperber,
14. Juni 2020, erste Veröffentlichung auf Infosperber.- «Das Amt für
gerechte Wohnraumzuteilung verfügt: Per 1.1.2020 werden Ihnen 3-4
wohnraumbedürftige P. als Mb. zugeteilt.»

Ohne erkennbaren äusseren
Anlass, vielleicht eine Szene in «Doktor Schiwago», dem Film – der gerne
während der Festtage im Fernsehen ausgestrahlt wird – erinnernd, der Gedanke,
die Vision oder auch die Angst, die Regierung könnte beschliessen, wer über
viel Wohnraum verfüge, müsse ihn mit anderen teilen. Müsse Leute aufnehmen, die
kein Dach über dem Kopf hätten oder in sehr engen Verhältnissen, in Bunkern
oder anderen Heimen, zum Beispiel, lebten. Und wir erhielten, ausgerechnet zwei
Tage vor Weihnachten, ein Schreiben – «Betrifft: Teilungsverordnung» –, bei der
Grösse sowie Belegung unserer Wohnung –«zu viele Quadratmeter pro Person» –
würden uns drei oder vier Wohnraumbedürftige zugeteilt, wir sollten die
entsprechenden Zimmer leer räumen, auch eines der Badezimmer.
Wie würde ich auf so eine
grundsätzlich gerechte Massnahme reagieren? Darauf, dass diese Leute ein paar
Tage später mit Koffern und Säcken vor der Türe stünden, diese in unseren
(ehemaligen) Zimmern auspackten, in unserem Bad duschten, in unserer Küche – zu
vereinbarten Zeiten – so kochten, dass sich fremde Gerüche,
MaggisauceKnoblauchBlutwurst, in unseren vier Wänden einzunisten begännen, bis
spät in die Nacht laut amerikanische Serien und deutsche Telenovelas mit ihrem
monströsen Fernseher, den sie mitgebracht, schauten und sich so gar nicht als
Gäste (wie lange dauern ihre Ferien?) verhielten.
Wäre ich, trotz meiner
Utopien, empört, dass der Staat Hand an unseren Privatbesitz legte – der zur
Hälfte der Bank gehört – und uns die Wohnung oder wenigstens Teile davon
wegnähme? Hätte ich das Gefühl, mir würde Unrecht widerfahren? Würde ich das
die zugewiesenen Mitbewohner*innen spüren lassen? Würde ich versuchen, sie zu
vertreiben (wohin)? Indem ich ihnen das Essen versalzte. Das warme Wasser in
der Dusche abstellte. Die roten Wandersocken zu ihren hellen Sachen stopfte
(würden sie sich über die neue Farbe ihrer Hemden freuen?). Wanzen (woher nähme
ich die?) in ihrem Bett aussetzte. Ihnen die Koffer packte und vor die Tür
stellte. Würde ich so wütend werden, dass ich sie umbringen könnte (und es
womöglich täte, so Wohnraum für siebenacht Leute schaffte)? Oder würde ich mich
bei der Amtsstelle für gerechte Wohnraumzuteilung lautstark und mit wüsten
Drohungen beschweren? Bei nächster Gelegenheit die SVP oder
wenigstens die FDP wählen?
Monate später – der
Greifensee wird erst acht Grad sein – wird die Regierung tatsächlich Massnahmen
beschliessen. Radikale. Mehr Staat. Weniger Freiheit. Zu Hause bleiben. Sich
von anderen Menschen fernhalten. Auch Bekannten und Verwandten. Freund*innen
und Geliebten. Ausser sie gehörten zum gleichen Haushalt. Wären uns tatsächlich
dreivier Wohnbedürftige zugeteilt worden und die am 1. Januar eingezogen, die
Fremden gehörten schon im Frühling zu unserem Haushalt. Zu unserer Familie.
Wenn nicht, müssten sie – Corona sei Dank – Distanz halten und bleiben, wo sie
sind.