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Handke. Werk und Künstlerin. Tat und Täter.

Von Jürgmeier, Infospeber,
03. Mai 2020, erste Veröffentlichung von Infosperber.  Die oft geforderte Trennung von Werk und
(umstrittenem) Autor ist nur zum Preis des Tods der Autorin zu haben.

Es wird in diesen Tagen – Literaturnobelpreis an Peter
Handke – in unterschiedlichen Zusammenhängen gerne über die Trennung von Werk
und Autor*in geredetgeschriebengestritten. Und mir wird der Satz «Verdient hat
er’s, das Arschloch» zugetragen. Jede Äusserung von mir über Peter Handke
beziehungsweise sein Werk wäre eine Anmassung. Ich habe, mit Schmunzeln, glaube
ich, vor Jahrzehnten seine «Publikumsbeschimpfung» gelesen und mich ihr, wenn
ich mich recht erinnere, irgendwann auch im Zürcher Neumarkt-Theater
ausgesetzt. Ich glaubte, seine «Angst des Tormanns beim Elfmeter» stehe in
einem meiner Blechregale. Aber da finde ich nur zweidrei andere Bücher des
Preisträgers. Gekauft und bei Umzügen in der Hand gehabt. Ein weiteres habe ich
mir auf den E-Reader geladen und nie gelesen. Bisher. Das passiert selbst einem
«literarischen Seher unter Blinden». So sehe Handke selbst seine Rolle. Schreibt
Paul Jandl in der NZZ online (6.12.2019). Das erinnert an die
Perspektive von Geisterfahrer*innen. Auf Autobahnen mit und ohne
Geschwindigkeitsbegrenzungen. Nur am Rande habe ich die Interventionen des
Dichters im Kontext der Balkankriege in den Neunzigerjahren mitbekommen. Die er
als literarische gesehen haben will. «Ich hasse Meinungen. Ich mag Literatur,
keine Meinungen» (Spiegel online, 6.12.2019).
Was mich, ganz grundsätzlich, umtreibt – diese
Denkfigur der Trennung von Werk und Autor, Kunst und Künstlerin. Wer, zum
Beispiel, nähme dann Scheck und Ovationen entgegen? Man kann ja nicht alles
haben: Das Werk, unabhängig von Haltungen und Aussehen des Künstlers, ehren und
gleichzeitig die Autorin feiern, die (auch) ihre Biografie sowie ihr Handeln
ist. Individuelle Berühmtheit, Personenkult und Überweisungen aufs persönliche
Konto auf der einen, Freispruch für jede Meinung und jedes Verhalten jenseits
des ausgezeichneten Werks auf der anderen Seite. Die konsequente Trennung von
Werk und Autor*in ist nur zum Preis des Verschwindens der Autorin hinter dem
Werk, der Anonymisierung des Künstlers zu haben. Dann würde der Text endgültig
den Lesenden – die ihn, jede und jeder für sich, bei der Lektüre erst vollenden
– gehören. Wie es Roland Barthes schon 1968 formuliert hat: «Die Geburt des
Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors.»
Für solche Anonymisierung gibt es innerhalb und
ausserhalb des Kulturbetriebs Beispiele. Wettbewerbe, bei denen die Jury nicht
weiss, von wem die Texte beziehungsweise die künstlerischen Produkte sind, die
sie beurteilt. Bei der Vergabe von Lehrstellen wird teilweise mit
anonymisierten Bewerbungsschreiben und Lebensläufen experimentiert, damit
Jugendliche mit (vermeintlich) verräterischem Namen nicht bevorzugt oder
benachteiligt werden. Erst die Anonymisierung der Autorin, der Verzicht auf
persönlichen Ruhm und individuelle Schande sowie auf den durch die
Friedfertigkeit oder die Grausamkeit des Künstlers gesteigerten Marktwert würde
es möglich machen, dass auch Werke von Vergewaltigern, Rassistinnen, Mördern,
Genozidleugnerinnen und Kriegsverbrechern, aber auch von Friedensaposteln und
Gutmenschen ausgezeichnet würden – oder nicht. Wenn das «reine» Werk es
verdient – oder eben nicht. Nur – wer holte dann den Preis für einen Roman ohne
Autorin, für eine Skulptur ohne Bildhauer ab? Wer erhielte die Preissumme? Und
teilte sie mit wem?
Im Übrigen: Wer für die Trennung von Werk und Künstler
plädiert, wer für die Auszeichnung des Textes (insbesondere seiner «reinen»
Form), nicht der Autorin ist – weil sie im Werk eine ganz andere sein könnte
als in ihrem Alltagsleben –, der müsste, konsequenterweise, auch die Trennung
von Tat und Täterin fordern. Das heisst, die Tat strafen, nicht die
Täter*innen. Weil ja auch der Täter – der meist ein Teilzeittäter ist – in
seinem übrigen Leben ein ganz anderer sein kann als in seiner Tat. (Keiner und
keine stiehltvergewaltigtmordet ja 24 Stunden im Tag, 366 Tage im Schaltjahr.)
Nur, wer käme dann für einen Mord ins Gefängnis? Für einen Massenmord an den
Galgen? Eine Tat kann man ja nicht wegsperren und wenn, würde es potenzielle Opfer
nicht wirklich schützen.