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Massive Wilderei – eine unerwartete Folge des Lockdowns

Von Daniela Gschwena, Infosperber, 15. Mai 2020. Wilderei nimmt durch die Corona-Krise in vielen Ländern zu. Das ist eine grosse Gefahr für bedrohte Tierarten – und auch für uns. Seit Unternehmen den Betrieb einstellen, Tourismus fehlt und Grenzen geschlossen sind, treibt Armut Betroffene zur Suche nach alternativen Einkommensquellen. Sie verkaufen Hörner, Knochen, Krallen und Schuppen seltener Tiere oder jagen Tiere, um sie zu essen.

Ein Nashorn im Serengeti Nationalpark in Tansania.

Die Entwicklung trifft Tierpopulationen weltweit. Indien
meldete laut der «
BBC» eine Zunahme bei der Wilderei von Tigern.
Für die Population gefährlich ist auch die zunehmende Wilderei von Hirschen.
Todesfälle durch eine eventuelle Infektion mit dem Virus seien dagegen
vernachlässigbar, 
sagt ein Experte. In Kambodscha fand die Umweltorganisation «Wildlife
Conservation Society» (WCS) vor kurzem drei vergiftete Riesenibisse. Weltweit
gibt es nur noch einige hundert der bedrohten Vögel. In 
Sibirien werden immer mehr Rentiere illegal gejagt.
Die Reservate können Tiere nicht mehr schützen
Tierschutzorganisationen und Behörden sind vermehrt
gefordert. Nico Jacobs, Gründer der Non-Profit-Organisation «Rhino 911», die
Nashörner per Helikopter rettet, musste seit dem Beginn des Lockdowns in
Südafrika am 23. März fast täglich fliegen. Am 25. März rettete er ein Kalb,
dessen Mutter von Wilderern getötet worden war. Zwei Nashörner, denen die
Hörner abgehackt worden waren, konnte er am Tag darauf nicht mehr lebend
finden, berichtet die «
New York Times». Solange noch Geld da sei, sagte er, werde er weiter fliegen.
Nashorn-Pulver wird vor allem in asiatischen Ländern zu extrem hohen Preisen
als Potenzmittel gehandelt.
Wie lange Wildtiere noch gerettet werden können, ist
schwer zu sagen. Ein grosser Teil der Wildtierreservate bezieht seine Einnahmen
aus dem Tourismus. Durch die Massnahmen gegen Sars-Cov-2 ist dieser aber
weltweit zum Erliegen gekommen. Parks, private Reservate und Naturschutzgebiete
sind nicht mehr in der Lage, ihre Mitarbeiter zu bezahlen.
Touristen schützen Wildtiere schon durch ihre Anwesenheit
«Zu sagen, wir sind in einer verzweifelten Lage, ist
untertrieben», sagt beispielsweise Lynne MacTavish, Betriebsleiterin des
Mankwe-Wildschutzgebietes in der Nordwestprovinz Südafrikas. Sie zahlt sich
selbst inzwischen kein Gehalt mehr aus, die Bezüge der anderen leitenden
Angestellten hat sie um 30 Prozent gekürzt. Drei bis vier Monate wird sie so
noch durchhalten können. Falls der Lockdown länger andauert, erwartet sie einen
massiven Anstieg der Wilderei, den sie mit einer Rumpf-Crew nicht mehr verhindern
kann.
Ähnliche Nachrichten gibt es aus Kenia, Botswana,
Tansania und anderen afrikanischen Ländern. Einige tausend Wildhüter können
Wilderer in den riesigen Schutzgebieten, die für die Jahreszeit unüblich leer
sind, nicht aufhalten. Die plötzliche Ruhe ist für viele Tiere
lebensbedrohlich. Wo sich Touristen mit ihren Tourguides aufhalten, schlagen
Wilderer normalerweise selten zu, das gilt selbst bei Trophäenjägern. Nun kommt
Wilderei in früher sicheren Gebieten häufiger vor.
Ein Teil der Wilderer hat schlicht Hunger
Zu denen, die hinter Horn und Elfenbein her sind, kommen
diejenigen, die kleinere Tiere erlegen, um sie zu essen oder ihr Fleisch zu
verkaufen. «Man kann es ihnen nicht verübeln», sagt Martin Ives, der Leiter von
«Rhino Conservation Botswana», «die Menschen hungern». Ives rechnet mit einer
Zunahme von Buschfleischwilderei auf dem ganzen Kontinent.
Wilderei ist in Afrika kein neues Thema. Vor allem ärmere
Haushalte verlassen sich noch heute auf Wildfleisch, meist im Verborgenen. 
Die Gründe sind vielfältig. Eine Freundin, die in Südafrika aufwuchs,
erzählte einmal von Wild nicht ganz legaler Herkunft, das ihre Wohngemeinschaft
für ein Fest vorbereitete. Sie marinierte das Tier – ich glaube, es war ein
Wildschwein – tagelang im Badezimmer des Studentenwohnheims, bevor es gegrillt
und verzehrt wurde. Nach dem Alter der Erzählerin zu urteilen fand diese Party
irgendwann in den 1990er-Jahren statt.
Warum Wilderei in Afrika auch uns bedroht
Diese Geschichte zeigt zweierlei: Der Verzehr von
«Bushmeat» war zwar vor 30 Jahren schon verboten, aber auch in privilegierten
Schichten akzeptiert. Und meistens ging dabei nichts schief.
Manchmal aber doch. Sars-Cov-2 ist nicht der erste
gefährliche Krankheitserreger, der auf Menschen übergesprungen ist. Auch das
SARS-Virus und HIV traten zuerst bei Tieren auf.
In ländlichen Gegenden, wo durch den Lockdown Geld fehlt
und soziale Netzwerke zusammengebrochen sind, kommen sich Mensch und Tier jetzt
wieder viel zu nahe und bereiten so vielleicht der nächsten Epidemie den Weg.
Diese Entwicklung ist nicht nur für Antilopen und Nashörner gefährlich, sondern
potentiell für die ganze Welt.
China hat schon zu Beginn der Corona-Krise Konsequenzen
gezogen und den Verzehr von Fleisch wilder Tiere verboten. Daran, ob sich das
Verbot auch durchsetzen lässt, gibt es eher Bedenken kultureller Art. Nach
einer Recherche von «
SRF» ist der Verkauf wilder Tiere teilweise einfach in den Untergrund
gewandert. Viele Chinesen beginnen jedoch umzudenken. Verbote gibt es auch in
anderen Ländern, wo sie mehr oder weniger befolgt werden. China bleibt
weiterhin der weltweit grösste Abnehmer von Horn, Elfenbein, Schuppen und
Knochen wilder Tiere.
Solange der Lockdown andauert, stehen die
Chancen schlecht
Die Chancen, Wilderei einzudämmen, stehen derzeit eher
schlecht. Durch den Lockdown verschärfte Armut lässt sich so schnell nicht
beseitigen. Nach Meinung einiger Experten steht die Corona-Welle 
den afrikanischen Ländern
noch bevor
. Tourismus wird
es für einige Zeit nicht geben. Ostafrika erwartet dazu die zweite Welle einer 
Heuschreckenplage, die Millionen Hungernde zur Folge haben könnte. Zur
Kontrolle von meist unzugänglichen Gebieten reicht weltweit das Personal nicht
aus.
Bleibt nur, den Menschen zu helfen, um die Tiere zu
retten. Naturschutzorganisationen müssten ihr Möglichstes tun, um die Menschen
vor Ort zu unterstützen, sagt Colin Poole, Regionaldirektor der «Wildlife
Conservation Society» (WCS) in Phnom Penh, Kambodscha. «Die Leute brauchen
gerade jetzt Unterstützung, damit sie Alternativen haben und nicht auf zwar
natürliche, aber gefährdete Tierarten zurückgreifen müssen», erklärte er der
«BBC».