General

Kakaoanbau in Westafrika. Die Schokoladenindustrie ist bei der Bekämpfung von Kinderarbeit gescheitert

Von Nicolai Kwasniewski, Spiegel, 4. Mai 2020. Vor fast 20 Jahren verpflichteten sich Schokoladenhersteller dazu, gefährliche Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in Westafrika zu bekämpfen. Jetzt zeigt eine Studie: Das Gegenteil ist der Fall.



Dorf in der Elfenbeinküste:
Zwei Millionen Kinder leisten gefährliche Arbeit in der Kakaoproduktion
Es ist einer der unangenehmsten Widersprüche der
westlichen Konsumwelt: Die Schokolade, die hier zu Ostern, Weihnachten und
einfach so zwischendurch an Kinder verschenkt wird, beruht auf der Ausbeutung
von Kindern in anderen Teilen der Welt.
Auf den Kakaoplantagen weltweit arbeiten
Minderjährige: Sie verspritzen Pestizide, jäten Unkraut mit Macheten, tragen
schwere Säcke mit den geernteten Bohnen, oft in langen Schichten.

Das ist alles seit Langem bekannt, ebenso wie
die 
Abholzung von Regenwald für Kakaoplantagen. Die großen
Schokoladenhersteller wie Mondelez, Barry Callebaut, Mars oder Godiva, um nur
einige zu nennen, stehen deshalb seit Jahren in der Kritik. Beim Thema
Kinderarbeit haben sie sich – auch um eine gesetzliche Regelung in den USA zu
verhindern – im sogenannten Harkin-Engel-Protokoll 2001 verpflichtet,
wenigstens die gefährlichsten Formen von Kinderarbeit in den Hauptanbauländern
für Kakao, Elfenbeinküste und Ghana, um 70 Prozent zu reduzieren.


Kakaoplantage
in der Elfenbeinküste: 2,26 Millionen Kinder sind in der Kakaoproduktion
beschäftigt   
Mighty Earth

Das
Ziel sollte zunächst 2015 erreicht werden, dann 2020. Alle fünf Jahre
untersucht die Universität von Chicago die Fortschritte im Auftrag des
US-Arbeitsministeriums. Die aktuelle Studie soll in den kommenden Wochen
vorgestellt werden, der finale Entwurf liegt dem SPIEGEL vor. Er zeigt: Die
Konzerne haben nicht nur ihr Ziel verfehlt – die Entwicklung geht sogar in die
andere Richtung.

Mehr zum Thema Kakaoanbau in Westafrika
Zwei
Millionen Kinder leisten gefährliche Arbeit

Auf mehr als 200 Seiten zeigt das National Opinion
Research Center (NORC) der Universität Chicago detailliert auf, dass sich die
Lage in den vergangenen Jahren verschlechtert hat. Die Wissenschaftler haben
Daten verglichen, die in den Haupterntesaisons 2008/09, 2013/14 und 2018/19
erhoben wurden.
In Ghana und der Elfenbeinküste ist Kinderarbeit
ohnehin weitverbreitet, der Report konzentriert sich auf ausbeuterische
Kinderarbeit nach Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Dazu zählen übermäßige Arbeitsbelastung und die Ausübung “gefährlicher
Tätigkeiten”. Die ernüchternden Ergebnisse:
  • In der Elfenbeinküste und in Ghana sind etwa
    2,26 Millionen Kinder in der Kakaoproduktion tätig. Zwischen 2008/09 und
    2018/19 stieg der Anteil der Kinder, die in der Kakaoproduktion
    gefährliche Kinderarbeit verrichten, von 30 auf 41 Prozent – auf insgesamt
    rund zwei Millionen Kinder.
  • Als gefährliche Arbeit gelten der Gebrauch
    scharfer Werkzeuge wie Macheten (35 Prozent der Kinder), das Tragen
    schwerer Lasten (28 Prozent), Landräumungsarbeiten (18 Prozent) und die
    Exposition gegenüber Agrochemikalien. Der Anteil der Kinder, die
    Chemikalien ausgesetzt sind, hat sich in den vergangen zehn Jahren von 5
    Prozent auf 24 Prozent fast verfünffacht.
  • Die Studie stellt hier einen Zusammenhang her
    mit den Nachhaltigkeitsprogrammen von Unternehmen. Die setzen darauf, die
    Erträge auch durch den verstärkten Einsatz von Dünger und Pflanzenschutz
    zu erhöhen – worunter viele Kinder in der Produktion leiden.
  • Zu den wenigen positiven Entwicklungen gehört,
    dass mehr Kinder in die Schule gehen als noch vor zehn Jahren. Bei den
    Fünf- bis Elfjährigen sei der Anteil von 80 Prozent auf 94 Prozent
    gestiegen, bei den 15- bis 17-Jährigen von 64 auf 79 Prozent.


Klar ist: Auch wenn die großen Kakao- und
Schokoladenunternehmen in den vergangenen Jahren rund 215 Millionen Dollar in
die Bekämpfung der Kinderarbeit investiert haben, reicht das nicht. Die
Unternehmensprogramme, die wenigstens teilweise Erfolge bei der Reduzierung von
Kinderarbeit zeigen, erreichen höchstens 15 Prozent der Kakaobauern.


Junge
Arbeiter auf getrockneten Kakaobohnen: Das beste Mittel gegen Kinderarbeit ist
ein höherer Kakaopreis   
Mighty Earth

Etelle Higonnet, Kampagnenleiterin der Organisation
Mighty Earth, die seit Jahren weltweit gegen die Rodung von Regenwald kämpft,
sagt, dass gefährliche Kinderarbeit im Kakaoanbau allgegenwärtig ist. Ebenso
übrigens auf Kaffee- und Palmölplantagen auf der ganzen Welt. Higonnet
bestätigt, dass einige Schokoladenhersteller versuchen, die Kinderarbeit in
Westafrika zu reduzieren – nur seien die Initiativen viel klein. “Die
Projekte erreichen vielleicht ein paar Tausend Kinder – im Kakaoanbau in Ghana
und der Elfenbeinküste leisten aber fast zwei Millionen Kinder gefährliche
Arbeit”. Die Unternehmen hätten in der Vergangenheit gelernt, dass sie
damit davonkommen.

Die Lösung ist
einfach
Die entwicklungspolitische Organisation Inkota setzt
sich seit Jahrzehnten gegen Kinderarbeit und für die Einhaltung von
Menschenrechten ein. Angesichts des aktuellen NORC-Berichts fordert der bei
Inkota für Wirtschaft und Menschenrechte zuständige Referent Johannes
Schorling:
  • Die Bundesregierung müsse ein
    Lieferkettengesetz verabschieden, mit dem Unternehmen weltweit zur
    Einhaltung der Menschenrechte und zur Vermeidung ausbeuterischer
    Kinderarbeit verpflichtet würden.
  • Unternehmen müssten ihre Anstrengungen im
    Kampf gegen Kinderarbeit intensivieren und bereit sein, die Kosten für die
    Einrichtung von Überwachungssystemen zu tragen.
  • Unternehmen müssten existenzsichernde
    Kakaopreise zahlen, um die Armut der Kakaobauernfamilien zu beenden.
Gerade Letzteres zeigt die Studie: Familien, die es
sich leisten können, Erntehelfer anzustellen, greifen deutlich seltener auf
Kinderarbeit zurück. Die Hauptursache für ausbeuterische Kinderarbeit ist allen
Beobachtern zufolge Armut. Inkota-Referent Schorling weist darauf hin, dass
genug Geld vorhanden sei: “Die Ausgaben der Schokoladenindustrie für den
Kampf gegen Kinderarbeit in den letzten Jahren entsprechen gerade einmal 0,2
Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes 2019”. In Ghana müsste sich das
Einkommen einer durchschnittlichen Kakaobauernfamilie Inkota zufolge etwa
verdoppeln, um existenzsichernd zu sein. In der Elfenbeinküste müsste es sich
demnach sogar fast verdreifachen.
Das bedeutet auch: Steigt der Preis, den die
Unternehmen für Kakaobohnen zahlen, müssen weniger Kinder arbeiten. Laut
Berechnungen von Nichtregierungsorganisationen liegt ein existenzsichernder
Kakaopreis in der Elfenbeinküste bei fast 3200 Dollar pro Tonne. Aktuell
erhalten die Kakaobauern laut Inkota etwa 1500 Dollar pro Tonne.
Was Hoffnung macht

Immerhin, darauf weisen auch die Unternehmen und die
Industrieorganisation World Cocoa Foundation hin: Die Studie zeigt, dass
gefährliche Kinderarbeit in den Regionen, in denen die Regierungen, Unternehmen
und Hilfsorganisationen genau hinschauen, eingedämmt werden kann. In den
Gebieten mit historisch hoher Produktion ist der Anteil gefährlicher
Kinderarbeit weitgehend gleichgeblieben. Die Abmachungen im
Harkin-Engel-Protokoll könnten also durchaus etwas bewirkt haben – aber viel zu
wenig. Und weil der Kakaopreis in den vergangenen Jahren gestiegen ist, sind
viele Bauernfamilien in den Anbau eingestiegen – und bei diesen neuen
Kakaobauern ist der Anteil von gefährlicher Kinderarbeit besonders hoch.
Für die NORC-Studie befragten die Wissenschaftler die
Gemeinden in den Anbaugebieten. Das Ergebnis: Alles, was eine Verbesserung der Lebensgrundlagen
und der Einkommen und die Einschulung fördert, hat ein hohes Potenzial, zu
verhindern, dass Eltern ihre Kinder in die Kakaoarbeit einbeziehen.
Umso wichtiger wäre es, dass nicht nur die
Hauptanbauländer Ghana und Elfenbeinküste im Fokus stehen, sondern auch
Großproduzenten in anderen Erdteilen wie Brasilien oder Indonesien. Für die
gibt es nicht einmal einen Aktionsplan der Industrie.