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Das Déjà-vu-Erlebnis

Von Elias Davidsson, Rubikon, 16.
Mai 2020.Die heutige digitale Diktatur hat mit dem
Hitler-Faschismus mehr gemeinsam als die meisten wahrhaben wollen.
Es ist offenkundig, dass im Dritten Reich eine Diktatur herrschte. Zahlreiche
Menschen nehmen aber nicht wahr, dass wir auch heute in einer solchen leben.
Diese Spielart wird als digitale Diktatur bezeichnet. Sie besteht in der Macht
einiger Konzerne — Google, YouTube, Amazon, Facebook, Twitter, Microsoft —, die
gesamte Menschheit stillschweigend zu überwachen und sie zu ihrem eigenen
Vorteilen zu manipulieren. Das tun sie in enger Zusammenarbeit mit staatlichen
Geheimdiensten, zum Beispiel der amerikanischen NSA und dem deutschen
Verfassungsschutz. Es gibt heute weltweit kaum Freiräume, wo Menschen ihr Leben
ohne Überwachung gestalten können. Zwei Maßnahmen fehlen noch, um die digitale
Diktatur zu vervollkommnen: die Abschaffung des Bargelds und die
Zwangsimplantierung von Identitätschips bei der Geburt.

Unterschied 1: Sichtbare versus
unsichtbare Diktatur
Der sichtbarste Unterschied
zwischen der Hitler‘schen und der digitalen Diktatur ist die heutige Benutzung
fortgeschrittener Überwachungstechnologien — dazu zählen unter anderem das
Internet, Satelliten, Sicherheitskameras und künstliche Intelligenz. Durch die
Erstellung automatischer Algorithmen ist nun die ganze Armee menschlicher
Schnüffler, die es in früheren Diktaturen gab, nicht mehr vonnöten. Das beste
Beispiel dafür bietet die chinesische totalitäre Überwachungsgesellschaft, die
mit relativ wenigen Mitteln 1,4 Milliarden Menschen diszipliniert.
China dient heute als Modell
der Zukunftsgesellschaft für die herrschende Elite des Westens. Diese
totalitäre Überwachungsgesellschaft unterscheidet sich von den Modellen der
Vergangenheit durch eine unsichtbare Kontrolle und Manipulation. Während im
Dritten Reich Staatsterror ganz bewusst zur Schau gestellt wurde, um die
Menschen einzuschüchtern, benutzt die moderne Diktatur sanft anmutende
Methoden, die von den meisten Menschen nicht als diktatorisch wahrgenommen werden.
Die chinesischen Massen haben sich daran schnell gewöhnt. Insofern ist diese
Form der Diktatur nachhaltiger und effizienter als die der Nazis, und es ist
nicht notwendig, Andersdenkende zu ermorden oder in Konzentrationslagern
verschwinden zu lassen: Es genügt, sie gesellschaftlich zu isolieren und in der
Öffentlichkeit als Spinner zu diskreditieren.

Unterschied 2: Geschrei versus
seichter Diskurs
Der Begriff der Diktatur wird
weitestgehend mit dem Diskursstil des Dritten Reichs verknüpft. Viele, die auf
historischen Aufzeichnungen Adolf Hitler schreien gehört haben, denken, dieser
Stil sei ein Kennzeichen von Diktatur. Heute sprechen Politiker wie
geschmeidige Verkäufer, vermeiden unangenehme Begriffe, lächeln, machen Witze —
sogar über sich selbst — und geben vor, der Bevölkerung zu dienen, nach dem
Motto „Wir sind für Sie da!“.
Weniger bekannt allerdings ist,
dass Politiker heute von PR-Agenturen über ihr öffentliches Erscheinen beraten
werden: Ihr Überzeugungsgrad hängt im Allgemeinen von ihrem geschliffenen und
freundlichen Auftreten ab. Adolf Hitler dagegen wollte den Eindruck eines
unnachgiebigen Kämpfers und Befehlshabers vermitteln, weil damals genau diese
Eigenschaften vom Volk geschätzt wurden.

Unterschied 3: Feinde „von
außen“ versus Selbstentmachtung
Adolf Hitlers Hetzreden waren
darauf gerichtet, das Volk gegen innere Feinde — Kommunisten, Sozialisten,
Juden — und gegen äußere Feinde — die Russen — aufzupeitschen. Sein feuriger
Redestil war für diese Zielsetzung bestens geeignet; die Macht der damaligen
Diktatur beruhte weitgehend auf der Ausbreitung von Angst vor inneren und
äußeren Feinden.

Heute agiert Diktatur nicht mit
der Beschwörung innerer oder äußerer Feinde, sondern schürt die Angst vor einer
— angeblich — tödlichen Krankheit.

Der Feind hat nun eine
unsichtbare Gestalt, er ist ein Virus, dem unheimliche zerstörerische Wirkungen
zugeschrieben werden, die jeden Menschen als Einzelperson gefährden. Die Bürger
sind heute nicht mehr aufgerufen, unter der Fahne des Reichs ihr Leben im Kampf
gegen menschliche Feinde zu opfern. Die Herrschenden fordern sie vielmehr dazu
auf, einem ihrer fundamentalsten Rechte, nämlich dem Recht auf Freiheit den
Krieg zu erklären und sich zum vermeintlichen Schutz der eigenen Gesundheit
entmündigen zu lassen.

Unterschied 4: Nationale versus
internationale Diktatur
Die Hitler-Diktatur agierte im
Namen des Nationalstaats und rief daher zum Kampf gegen äußere Feinde auf.
Deshalb konnte sie durch den Sieg der Alliierten beendet werden.
Jetzt gibt es aber keine Feinde
„da draußen“, also kann auch kein Befreiungskrieg seitens irgendwelcher
Staatsmächte die Menschen von der Diktatur befreien. Im Gegenteil agieren die
Staaten gemeinsam, um ihre Völker zu entmündigen, weil die Disziplinierung der
Völker für ihre Machtausübung unabdingbar ist. Mit gehorsamen Völkern können
die Machthaber ihre Pläne ohne Gegenwehr durchsetzen. Dazu gehört auch die
Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft — bis Roboter diese Arbeit erledigen
und die Herrschenden sich der „überflüssigen“ Menschen entledigen können.
Die Zusammenarbeit der Staaten
findet in internationalen Organisationen statt, zum Beispiel im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen, in der WHO, in der WTO und im IWF und auch in
informellen Foren wie bei G20-Treffen oder innerhalb der EU.
Keines der Völker hat seine
eigene Regierung beauftragt, den Überwachungsstaat aufzubauen. Um die
Legitimität ihres Handelns aufrechtzuerhalten, müssen Staaten daher konspirativ
agieren. Es wird niemanden überraschen, dass nur wenige Menschen darüber Bescheid
wissen, denn was weder sichtbar ist noch in den Leitmedien steht, „existiert
nicht.“

Unterschied 5: Irreführung
durch Ideologie versus Manipulation durch Wissenschaft
Die Hitler-Diktatur
vereinnahmte die Massen durch die Verbreitung einer Rassenideologie, die für
die Mehrheit der deutschen Bevölkerung eine Erhöhung ihrer Identität und
nationalen Stolz bedeutete.

Die digitale Diktatur von heute
braucht dafür weder Rassenvorurteile noch religiöse Intoleranz. Anstatt
veralteter Ideologien wird „die Wissenschaft“ als Schlagargument herangezogen,
um diktatorische Maßnahmen zu rechtfertigen.
Hofexperten liefern den Regimes
den „heiligen Stempel der Wissenschaft“. Und die Existenz unabhängiger
Wissenschaftler stellt für die heutige Diktatur kein Problem dar: Sie werden
entweder ignoriert oder als Spinner abgetan.

Fazit
Die moderne Diktatur ist (a)
unsichtbar, (b) global und (c) totalitär. Sie unterscheidet sich von früheren
Diktaturmodellen durch ihre scheinbare Sanftheit, was höhere Nachhaltigkeit
gewährleistet. Das globale Ausmaß der Diktatur von heute ist mühelos
wahrnehmbar: Jeder Schüler, Student, Lehrer, Professor, Journalist, Arzt,
Anwalt, Politiker — und das weltweit — kann so gut wie nicht mehr auf die
Dienstleistungen einer Handvoll von US-Konzernen, also GoogleYoutubeAmazonFacebook und Microsoft verzichten. Das bedeutet, dass sämtliche
Bereiche des täglichen Lebens kontrolliert werden: zwischenmenschliche
Beziehungen, Arbeitsleistungen, die Informationsumwelt der Einzelperson,
Bewegungen, Reisen und Aufenthaltsorte, Einnahmen und Ausgaben sowie der
Gesundheitszustand.
Die Frage, ob sich der Mensch
mit seiner Unterwerfung unter eine globale, totalitäre Diktatur abfinden, seine
„sanfte Versklavung“ vielleicht sogar genießen wird, bleibt hier unbeantwortet.
Das chinesische Modell zumindest deutet auf eine bejahende Antwort hin…