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Thomas Sitte – „Der Mensch“ hat noch nie wirklich etwas aus Katastrophen gelernt.

Von
Milena Rampoldi, ProMosaik 02.04.2020. Anbei mein Interview mit Dr. Thomas Sitte,
Palliativmediziner der Deutschen Palliativstiftung in Fulda zum Thema Corona,
Tod, Medienhysterie und wie man mit Corona am besten umgehen sollte. Er gibt
uns wie schon Dr.
Leopoldo Salmaso
in seinem Interview zum Thema Vorschläge, wie man von der
Massenhysterie Abstand nimmt und sich mit dem Tod und somit mit dem eigenen
Leben beschäftigt.

Wir
sind von einer weltweiten „Pandemie“ des Corona-Virus betroffen. Wie sehr geht
es hier aber um Virologie und wie sehr um Massenhysterie?

Weder noch und sowohl als auch. Ich kann nicht vorhersagen, was kommen wird. Gerade
auch deshalb, weil hoffentlich wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Aber,
damit muss man rechnen, eine solche virale Pandemie hat das Potenzial der Pest,
die ganze Landstriche weitgehend entvölkert hat.
Deshalb ist es sinnvoll ruhig die Gefahren und Risiken
abzuwägen und dabei vorsichtig zu sein. Wir alle haben doch in den modernen
Autos neben dem Sicherheitsgurt auch Airbags und obendrein noch erhebliche
Sicherheiten durch die Konstruktion der Karosserie. Warum sollten wir dann bei
pandemischen Lebensgefahren weiterwursteln wie bisher?
Dennoch sollten wir auch weitermachen wie bisher und nicht
alles einstellen, was zum (sozialen) Leben in mitmenschlicher Gemeinschaft
gehört. Risiken gehören zum Leben. Diese Pandemie jetzt ist für viele Menschen greifbarer
als die anderen wie Alkohol, Bewegungsmangel, Fettsucht, Überarbeitung und
vielem mehr.
Wie denken Sie wird der Mensch vor allem im Westen
durch diese Krise erneut über seine Beziehung zum Tod nachdenken?
Da habe ich wenig bis keine Hoffnung, dass sich irgendetwas
zum Besseren, zum Reflektierten wendet. Ich liebe die letzte Seite im Roman
„Das Parfüm“, es ist eine Parabel auf menschliches Miteinander. Nach der
letzten, grausamen, ultimativen Orgie gehen die Menschen auseinander als ob
nichts gewesen wäre. Und in der Tat, sie haben auch völlig vergessen, was eben
noch war.
„Der Mensch“ hat noch nie wirklich etwas aus Katastrophen
gelernt.
Wie kann man dieser Medienhysterie entgegenwirken,
indem man medizinisch und wissenschaftlich argumentiert?
Argumente werden in einer Hysterie nicht gehört. Ich bin da
(leider) kein Experte. Doch ich habe eine wichtige Lektion in der Medienarbeit
um die Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland gelernt: Wir brauchen neben
Wahrhaftigkeit und Fakten in aller erster Linie platte, gängige Parolen. Die
natürlich aus meiner Sicht immer auch wahr sein müssen. Aber eben insbesondere
sehr eingängig.
Wie sehen Sie die gleichgeschalteten Meldungen zu
Thema aus medizinischer Sicht? Werden andersdenkende oder kritische Ärzte aus
den Medien ausgeblendet?
Ich kenne in Deutschland keine gleichgeschalteten Medien,
sondern eine fast schon übergroße Vielfalt. „Ausgeblendet“ wird
da keiner. Wobei oft der eine vom anderen abschreibt und schnelle
Halbwahrheiten fruchtbaren Boden finden. Ich denke, dass aufgeblendet wird, wer
medienwirksame Botschaften mit gutem Einschaltquotenpotenzial bringt. Das wird
von unserer Seite unzureichend berücksichtigt.
Als Palliativmediziner betreuen sie Sterbende. Welche
Tipps können Sie anderen Ärzten zum Thema Corona geben?
Sei bereit! Es könnte schlimmer kommen, als man befürchten
mag. Für den Fall ist es gut, wenn die eigenen Patienten dokumentiert haben,
wie sie behandelt werden und wie nicht. Insbesondere bei
alten Menschen ist eine Verfügung „Ich will nicht mehr
ins Krankenhaus!“ hilfreich. Das wird von allen mir bekannten Vorlagen
noch unzureichend berücksichtigt. Viele Menschen haben jetzt Angst bei Corona
zu ersticken. Und deshalb ist fast noch wichtiger die Botschaft: Atemnot ist erschreckend
leicht und wirksam behandelbar mit starken Opioiden, die mit Sachverstand schnell aufdonnert werden!
Welchen positiven Paradigmenwechsel könnte man
hervorbringen? Ist die Idee von Feyerabend „Everything goes“ das Richtige? Ist
es richtig, die gesamte Gesellschaft, auch die Laien, in die Diskussion
einzubeziehen?
Definitiv ist die gesamte, aber auch wirklich die gesamte
Gesellschaft aufgefordert, sich in die notwendige Diskussion einzubringen. Nur
bringen faktenfreie Dispute nichts. Deshalb ist es das allerwichtigste, dass
die Regierungen endlich Werbekampagnen fahren für die Hospizarbeit und
Palliativversorgung mindestens im Umfang von „Gib AIDS keine
Chance!“, „Deutschland sucht den Impfpass“ oder „Organpate
werden“. Mindestens. Aber eigentlich noch viel größer.
Danach kann diskutiert werden. Sonst werden die Ergebnisse wieder
eine so unerträglich faktenfreie Grundlage haben wie beim Entscheid über den §
217 StGB, mit der das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidförderung gekippt und
dem sozialverträglichen Frühableben Tür und Tor geöffnet wurde.