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Behandlung von Covid-19: Hohe Sterberate bei Beatmungspatienten lässt Ärzte rätseln

Von Stern,
14. April 2020. Bei Corona-Patienten mit schwerem Verlauf werden häufig Beatmungsgeräte
eingesetzt. Allerdings werden bei jenen Patienten höhere Todesraten gemeldet.
Einige Ärzte beginnen deshalb, bei der Therapie umzudenken.
© Picture Alliance Beatmungsgerät sind bislang der Standard
in der Behandlung von schweren Covid-19-Fällen. Immer mehr Ärzte probieren nun
Alternativen aus.
Zu viele Corona-Patienten, aber zu wenige Beatmungsgeräte:
Diese Angst trieb Klinikchefs und Regierungen in den vergangenen Wochen um. Um
sich für eine mögliche Welle an Covid-19-Patienten zu rüsten, erhöhten viele
Krankenhäuser die Zahl der Intensivbetten und Beatmungsgeräte. Denn besonders schwere
Fälle seien auf eine mechanische Beatmung angewiesen, so lautet bislang der
Konsens unter Ärzten.
Damit ausreichend Geräte verfügbar sind, stellten einige
Unternehmen – darunter E-Auto-Pionier Tesla und Staubsauger-Gigant Dyson –
sogar ihre Produktion in der Corona-Krise um. Hierzulande wurde die Kapazität
innerhalb weniger Wochen von 20.000 auf 30.000 Betten mit Beatmungsgerät
erhöht.
Doch nun stellen einige internationale Studien den Nutzen
von Beatmungsgeräten zur Behandlung von Covid-19-Patienten infrage. Einige
Ärzte gehen sogar so weit, die Geräte nicht mehr zu benutzen, solange es sich
vermeiden lässt.
Hohe Todeszahl bei Corona-Patienten
Mechanische Beatmungsgeräte pumpen Sauerstoff in Patienten,
deren Lungen versagen. Bei der Anwendung der Geräte wird der Patient zunächst
sediert, anschließend wird ihm ein Schlauch in den Rachen gesteckt. Todesfälle
bei solch kranken Patienten sind häufig, egal aus welchem Grund sie die
Atemhilfe benötigen, schreibt die Nachrichtenagentur “Associated
Press” (AP). Im Allgemeinen sterben 40 bis 50 Prozent der Patienten mit
schweren Atembeschwerden, während sie an Beatmungsgeräten angeschlossen sind,
so die Experten.
Bei den Coronavirus-Patienten, die in New York City an
solche Geräte angeschlossen wurden, liegt die Rate jedoch bei 80 Prozent und
mehr, so die offiziellen Angaben. Diese Beobachtung ist kein New Yorker
Phänomen. Auch in anderen Teilen der Vereinigten Staaten wurden höhere als die
normalen Sterberaten gemeldet, sagte Albert Rizzo, der leitende Arzt der
American Lung Association, gegenüber “AP”.
Ähnliche Größenordnungen wurden auch aus China und dem
Vereinigten Königreich berichtet. Ein britischer Bericht beziffert die Zahl der
Todesfälle im Zusammenhang mit Beatmungsgeräten auf 66 Prozent. Einer
vergleichsweise kleinen Studie aus Wuhan – jener chinesischen Stadt, in der das
Virus und die Krankheit Covid-19 erstmals auftrat – zufolge seien sogar 86 Prozent
gestorben. Die Fallzahl betrug jedoch nur 22 Patienten, insofern ist die
Aussagekraft gering.
Schaden die Geräte in Einzelfällen sogar?
Über die Hintergründe können die Wissenschaftler bislang nur
spekulieren. Womöglich hänge es stark vom Zustand des jeweiligen Patienten ab,
bevor er mit dem Coronavirus infiziert wurde. Eventuell sei aber auch
entscheidend, wie krank die Patienten zu dem Zeitpunkt, als sie an die
Maschinen angeschlossen wurden, schon waren.
Immer mehr Ärzte stellen jedoch eine grundsätzliche Frage:
Was, wenn die Maschinen, die eigentlich helfen sollen, einigen Patienten sogar
schaden? Das ist bislang reine Spekulation, doch es mehren sich kritische
Stimmen, vor allem aus den USA – mittlerweile das Epizentrum der Corona-Pandemie.
Man wisse, dass mechanische Beatmung nicht positiv sei, sagt
Dr. Eddy Fan, ein Experte für Atembehandlung am Toronto General Hospital, im
Gespräch mit “Associated” Press. “Eine der wichtigsten
Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte ist, dass die medizinische Beatmung
Lungenverletzungen verschlimmern kann – wir müssen also vorsichtig sein, wie
wir sie einsetzen”. Man könne mögliche Schäden jedoch mildern, indem man
die Druckmenge und die Größe der von der Maschine abgegebenen Atemzüge
begrenzt, so Fan.
Alternativen zur künstlichen Beatmung
Einige Ärzte versuchen auch, den Einsatz der
Beatmungsmaschinen herauszuzögern, sehen sie eher als letztes Mittel im Kampf
gegen das Virus. Bislang wurden Covid-19-Patienten mit schwerem Verlauf in den
USA standardmäßig an solche Geräte angeschlossen. Nun werden vermehrt
Alternativen ausprobiert: Eine besteht darin, die Patienten in verschiedenen
Positionen – auch auf dem Bauch – liegen zu lassen, um Teile der Lunge besser
zu belüften. Andere versuchen, den Patienten durch Nasenschläuche oder andere
Geräte mehr Sauerstoff zu geben oder durch Zugabe von Stickstoffmonoxid den
Blutfluss der am wenigsten geschädigten Teile der Lunge zu verbessern.
Dadurch erhofft man sich auch, die Dauer zu reduzieren, die
ein Patient an Beatmungsmaschinen angeschlossen ist. Die ist bei
Covid-19-Patienten ohnehin ungewöhnlich hoch: Es sei üblich, dass
Coronavirus-Patienten “sieben Tage, zehn Tage, 15 Tage an einem
Beatmungsgerät waren, und sie sterben”, sagte New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo,
als er bei einer Pressekonferenz am Mittwoch zu den Todesraten von
Beatmungsgeräten befragt wurde. Zum Vergleich: Patienten mit bakterieller
Lungenentzündung bleiben in der Regel nicht länger als ein oder zwei Tage am
Beatmungsgerät.
“Es ist eine unterstützende Maßnahme”
“Das Beatmungsgerät ist nicht therapeutisch. Es ist
eine unterstützende Maßnahme, während wir darauf warten, dass sich der Körper
des Patienten erholt”, sagte Dr. Roger Alvarez, ein Lungenspezialist der
University of Miami Health System in Florida. Er setzt in der Behandlung von
Covid-19-Patienten ebenfalls auf die Zugabe von Stickstoffmonoxid, um Patienten
so lange wie möglich vom Beatmungsgerät fernzuhalten.
Doch wie immer in der Medizin kommt es auf den Einzelfall
an. Als Zachary Shemtobs Mann vergangenen Monat an ein Beatmungsgerät
angeschlossen wurde, sei er “absolut verängstigt” gewesen.
“Beatmungsbedürftig zu sein, könnte bedeuten, dass er das Beatmungsgerät
nie wieder verlassen kann”, sagte er.
Doch sechs Tage später konnte sein Mann wieder selbstständig
atmen. Sein Mann sei der lebende Beweis, dass diese Maschinen Leben retten
können.