#LiebeMarwa – Ein Brief an Marwa El-Sherbini
Islamiq |
Heute vor zehn Jahren wurde Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht mit 16 Messerstichen ermordet. Unsere Gastautorin Amina Kaddour richtet sich in einem Brief an Marwa.
Liebe Marwa,
wir erinnern uns an dich und werden nicht aufhören über dich zu sprechen. Vor 10 Jahren ist dir das Unsagbare passiert, vor den Augen deines Sohnes, deines Mannes, mitten in einem Gerichtssaal wird dir gewaltsam mit 18 Stichen das Leben genommen. Deines und das deines ungeborenen Kindes. Diejenigen, die dich hätten beschützen sollen greifen statt deines Mörders deinen Ehemann an und verletzen ihn schwer.
Über deinen Mord wird geschwiegen, wochenlang. Von Schaukelstreit wird berichtet. Wie kann als „Islamistin“ und „Terrorsitin“ beschimpft zu werden ein Schaukelstreit sein? Erst als die internationale Presse Druck auf die deutschen Medien ausübte wurde eingeräumt, dass die Justiz versagt und dir ein großes Unrecht angetan wurde. Jedes Jahr am ersten Juli gedenken wir dir Marwa, heute zum zehnten Mal. Dir, der Handballspielerin, der Pharmazeutin, der Mutter, dem Menschen. Dein Leben wurde dir genommen, aus tiefem, unergründbarem Hass. Und dieser Hass wird heute, zehn Jahre später von der Politik noch weiter befeuert und salonfähig gemacht.
An deiner Geschichte sehen wir, wie antimuslimischer Rassismus wirkt und was für Folgen er hat. Wenn ein Mann dich einfach beim Spielen mit deinem Sohn beleidigt und die Polizei es nicht ernst nimmt. Wenn dein Gerichtsverfahren erst dann neu aufgerollt wird, als der Täter sagt, du seist kein richtiger Mensch und könntest daher beleidigt werden, wenn er bei der neuen Verhandlung nicht auf Waffen kontrolliert wird, weil er weiß ist und rechte Gewalt in diesem Land immer heruntergespielt wird. Wenn die Polizeibeamten die Gewalt im Gerichtssaal bemerkt, braune Haut sieht und nur von brauner Haut Gewalt erwartet und auf braune Haut schießt. Und nicht auf den weißen Täter. Das ist Rassismus.
„Vielleicht fragst du dich, wie es jetzt aussieht Marwa“
Und heute, am Jahrestag dieses Verbrechens, stehen unter den Artikeln dazu Kommentare wie „Erinnern wir uns auch an deutsche Opfer?“, „Wer Wind säht, wird Sturm ernten“ und „das Sommerloch beginnt“. 910 Straftaten gab es im vergangenen Jahr gegen Muslim*innen in Deutschland, und sie alle fußen auf derselben Ideologie wie die deines Mörders. Hass gegen eine Religion, Hass gegen eine Kultur und Hass gegen Menschen, deren unschuldiges Leben von diesem Hass gewaltsam gestört – und wie in deinem Fall beendet – werden.
Vielleicht fragst du dich, wie es jetzt – 10 Jahre nach deinem Mord – in unserer Gesellschaft aussieht. Ob nach deinem Tod die Gesellschaft aufmerksamer auf antimuslimischen Rassismus wurde und wir uns als Muslim*innen heute sicherer fühlen. Die Antwort ist Ja und Nein. Ja, weil deine Geschichte die muslimische Community und all jene, die sich gegen Rassismus solidarisieren aufmerksamer auf antimuslimischen Rassismus gemacht hat und wir seitdem – vor allem an deinem Todestag – Aktionen gegen diesen Rassismus organisieren, darauf aufmerksam machen und darüber sprechen.
Wir haben ein Problem mit rechter Gesinnung
Und nein, weil zwei Jahre nach deinem Tod die NSU-Morde aufgedeckt und danach von der Justiz nur vertuscht wurden, sie in der Gesellschaft zwar auf organisierten Rechtsextremismus aufmerksam machten, nicht jedoch auf das Problem dahinter. Weil seitdem die AfD von der Gesellschaft mit fast 13% in den Bundestag gewählt wurde und ungeniert antimuslimischen Rassismus propagiert.
Wir haben heute, zehn Jahre nach deinem Tod ein großes Problem mit rechter Gesinnung in unserem Land. Und wir hoffen mit der Erinnerung an dich die Menschen erreichen und ihnen die Augen öffnen zu können. Damit keine junge Frau wie du, die ihr Leben noch vor sich hatte, ihr Leben für den Hass lassen muss. Damit keine Kinder mehr ihre Mutter wegen diesem Hass verlieren müssen.
Ich hoffe, dass dir die Tore des Paradieses geöffnet wurden. Wir denken an dich, wir vergessen dich nicht.