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Kein «Göttinger Friedenspreis» für die «Jüdische Stimme»?

Christian Müller / 17. Feb 2019
Der «Göttinger Friedenspreis» soll an die «Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost» gehen. Und wieder wird gehetzt.

Seit 20 Jahren vergibt die Stiftung Dr. Roland Röhl den «Göttinger Friedenspreis». Zu den Geehrten gehörten bisher zum Beispiel der katholische Theologe Prof. Dr. Hans Küng(2002), die «Initiativen gegen Rüstungsexporte» (2011) oder auch das «Institut für Friedenspädagogik Tübingen» (2014).
Im Februar entschied die dazu verantwortliche Jury, den «Göttinger Friedenspreis» der Vereinigung «Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost» zuzusprechen. Die «Jüdische Stimme» ist eine Vereinigung innerhalb der gesamteuropäischen Vereinigung «European Jews for a Just Peace» (EJJP), einer Föderation jüdischer Gruppen in Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich, Schweden, Schweiz und dem Vereinigten Königreich, die das Ziel verfolgen, auf die Politik ihres jeweiligen Landes einzuwirken und sie dazu zu bewegen, sich für einen lebensfähigen palästinensischen Staat einzusetzen. Am Samstag, 9. März 2019, soll in der Georg-August-Universität in Göttingen die feierliche Preisübergabe stattfinden.
Die Hetze beginnt
Die «Jüdische Stimme» kritisiert die israelische Besatzungspolitik. Also darf es nicht sein, dass sie a) den «Göttinger Friedenspreis» zugesprochen erhält und b) an einer öffentlichen Veranstaltung reden darf. Das ist mittlerweile die Realität in Deutschland. Interveniert gegen diese Preisverleihung und gegen die öffentliche Veranstaltung haben bisher unter anderen Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in einem Brief an Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler, Felicitas Oldenburg, Vorsitzende der FDP-Fraktion im Göttinger Stadtrat, und FDP-Bundestagsabgeordneter Konstantin Kuhle, die gemeinsam auch eine Presseerklärung abgegeben haben.
Das tönt dann etwa so:
«Angesichts der geplanten Preisverleihung am 9.3.2019 an eine BDS-Vereinigung ‹Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost› durch die Röhl-Stiftung (Göttinger Friedenspreis) muss ich als Mitglied des Stadtrates Göttingen, Alumna der Universität Göttingen und Mitglied des Verwaltungsrates der Sparkasse dringend dazu auffordern, von der Verleihung des Preises abzusehen und die Preisverleihung nicht durch die Sparkasse, Stadt und Universität zu unterstützen. – Boykott, Divestment und Sanktionen gegenüber Israel sind eine einseitige, in höchstem Masse friedensfeindliche Bewegung mit mehr als nur antisemitischen Untertönen. Spätestens durch die Dachorganisation EJJP, auf die sich diese als ‹jüdisch› unter falscher Flagge (es ist eine völlige Minderheitsmeinung) segelnde Vereinigung stützt und der sie angehört, ist die Sache klar: Man hat es hier mit einer extremen und keinesfalls gerechten Splittergruppe zu tun, der zu Recht in vielen Städten nicht einmal Veranstaltungsräume offenstehen.»
Und weiter: «Umso mehr verdienen diese BDS-Vertreter keinen Preis einer Universität oder Stadt (Kuratorium der Stiftung), zu der vermutlich das Präsidium der Universität nicht einmal gehört wurde, der Stadtrat jedenfalls nicht. Als Stadtratsmitglied muss ich mich auf das Schärfste gegen die Preisverleihung an egal welche BDS-Organisation verwahren und erwarte dies auch von allen anderen, denn es widerspricht aller menschenrechtlichen Orientierung, der wir uns zutiefst verpflichtet fühlen. – Die Sparkasse kann mit Sicherheit nicht etwas sponsern, das den Prinzipien der Menschenrechte und Völkerverständigung zuwiderläuft und das Existenzrecht Israels verneint. Die weichgewaschenen Bekundungen der konkreten Vereinigung lassen aufgrund der Zugehörigkeit zum BDS insgesamt und mangelnder Distanzierung zu den Leitsätzen des EJJP dennoch keinen anderen Schluss zu.»
Anzumerken ist: BDS (Boycott, Disvestment and Sanctions) ist keine Organisation, es ist eine internationale, nicht-organisierte Bewegung von Privatpersonen, nicht zuletzt von Intellektuellen und Künstlern, die dafür eintreten, auf Israel gewaltfrei (!) Druck zu machen, von seiner Besatzungspolitik abzulassen.
Der Oberbürgermeister ist bereits eingeknickt
Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler hat auf die diversen Schreiben bereits reagiert. In einem Brief an die Stiftung Dr. Röhl empfiehlt er, die Preisverleihung «vorläufig auszusetzen». Der Druck des Zentralrats der Juden in Deutschland, israel-kritische Veranstaltungen zu verhindern, scheint stärker als jede Meinungs- und Redefreiheit.
Wissen muss man: Der Vorsitzende der Jury, die für die Stiftung Dr. Röhl den Preisgewinner auswählen muss, ist Andreas Zumach, selber Preisträger des «Göttinger Friedenspreises» im Jahr 2009 (damals notabene noch nicht Mitglied der Jury).
Unter dem Titel «So werden in Deutschland Journalisten mundtot gemacht» hat Infosperber eingehend darüber berichtet, wie letzten Herbst versucht wurde, ein Referat von Andreas Zumach in Karlsruhe zu verhindern und wie er Anfang Jahr in der «Süddeutschen Zeitung» aufgrund eines Referates in München verleumdet wurde. Obwohl die «Süddeutsche Zeitung» auf Andreas Zumachs Klage hin einen Rückzieher machen musste, wird weiterhin versucht, ihn mundtot zu machen. Zum ausführlichen Bericht hier anklicken.
Zur Begründung der Jury:
Warum hat die Jury für den «Göttinger Friedenspreis» die «Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost» als Preisträgerin 2019 des «Göttinger Friedenspreises» ausgewählt?
Auf Basis ihrer Überzeugungen hat die Jury entschieden, den Göttinger Friedenspreis 2019 an die Organisation «Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.» zu verleihen «für ihr unermüdliches Engagement, eine gerechte Friedenslösung zwischen zwei souveränen Nachbarstaaten, zwischen Israelis und PalästinenserInnen, anstreben und erreichen zu können».
Weiter heisst es in der Jurybegründung:
«Unter der Massgabe des seit 1947 völkerrechtlich verbriefen Rechts der PalästinenserInnen auf Selbstbestimmung, setzt sich die ‹Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost› für eine ausgleichende Friedenslösung ein, die auch eine Vorbedingung ist für die gesicherte und unbedrohte Existenz Israels. Die ‹Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost› möchte darauf hinwirken, dass die Bundesregierung ihr aussenpolitisches und ökonomisches Gewicht in der Europäischen Union, in den Vereinten Nationen sowie in Nahost nachdrücklich und unmissverständlich dafür einsetzt, einen lebensfähigen, souveränen Staat Palästina auf integriertem Hoheitsgebiet und innerhalb sicherer Grenzen zu schaffen und sich damit aktiv an der Verwirklichung eines dauerhaften und für beide Nationen lebensfähigen Friedens zu beteiligen.»
Und weiter aus der Begründung der Jury: «Die ‹Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost› wurde im November 2003 von in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen als deutsche Sektion des ein Jahr zuvor in Amsterdam gegründeten Verbands European Jews for a Just Peace (EJJP) ins Leben gerufen. Dieser Verband, 2002 von 18 jüdischen Organisationen aus 9 europäischen Ländern gegründet, hat seinen Sitz heute in London. Ausser in Deutschland hat die EJJP Sektionen in Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich, Schweden, Schweiz und Grossbritannien. Die Forderungen der ‹Amsterdamer Gründungserklärung› der EJJP von 2002 sind Bestandteil des Selbstverständnisses der ‹Jüdischen Stimme› ebenso wie aller anderen EJJP-Sektionen:
– Vollständiger Abzug Israels aus den besetzten Gebieten und der Abbau aller dort befindlichen israelischen Siedlungen.
– Jede Gewalt gegen ZivilistInnen in dem Konflikt, egal von welcher Seite an wem begangen, wird verurteilt.
– Israel wird in den Grenzen von 1967 anerkannt.
– Das Recht der Palästinenser, im Gazastreifen, im Westjordanland und in Ost-Jerusalem einen Staat zu gründen, wird anerkannt.
– Das Recht beider Staaten, Jerusalem als ihre Hauptstadt zu haben, wird anerkannt.
– Israel wird dazu aufgerufen, seinen Teil an der Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems beizutragen, und verpflichtet, eine gerechte, faire und praktische Lösung auszuhandeln.»
Was ist sachlich – und moralisch – gegen diese Begründung der Jury einzuwenden?
Siehe den Vorläufer dieses Berichts: «So werden in Deutschland Journalisten mundtot gemacht», hier anklicken.