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Muslimfeindlichkeit in Europa: Anstieg und Desinteresse machen Dokumentation nötig

Von Islamische Zeitung, 4. April 2018. Dritte Ausgabe des
„European Islamophobia Report 2017“ belegt Notwendigkeit für entschlossenes
Handeln

 

Foto: J. McPherson, flickr
„Obwohl
Islamophobie objektiv eine Bedrohung europäischer Demokratien darstellt,
leugnen viele europäische Intellektuelle und Politiker (…) die Existenz und
Gültigkeit des Konzepts. Ihre Sorgen um Terrorangriffe und Einwanderung hindern
sie an der Anerkennung des täglichen Rassismus, vor dem Muslime in Europa
stehen.“
 (Burhanettin Duran,
SETA-Generalkoordinator)
Berlin/Straßburg
(iz). Laut Angaben der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA) fühlen sich
mehr als 75 Prozent der befragten Muslime ihren europäischen Heimatländern
verbunden. Gleichzeitig hätten 31 Prozent in den letzten fünf Jahren
Diskriminierungserfahrungen im Arbeitsleben gemacht. Aber nur 12 Prozent hätten
ihre Erfahrungen an offizielle Stellen weitergegeben. Nach Ansicht von
Beobachtern sei das ein Hinweis darauf, dass das Ausmaß der realen
antimuslimischen Diskriminierung höher sei als die offiziellen Zahlen zur
Islamfeindlichkeit und damit verbundenen Hassverbrechen in Europa nahelegten.
FRA-Direktor Michael O‘Flaherty betonte, der Bericht seiner Agentur
widerspreche dem Narrativ, Muslime seien kein Teil europäischer Gesellschaften.
Im Gegenteil, ihr Vertrauen in die demokratischen Einrichtungen sei höher als
im europäischen Durchschnitt.
Zu den Projekten,
die hier Abhilfe schaffen wollen, gehört der seit drei Jahren erscheinende „European
Islamophobia Report“ (EIR)
. Die Dokumentation des Phänomens auf
europäischer Ebene sowie in ausgesuchten europäischen Staaten inner- und
außerhalb der Europäischen Union (EU) ist nun für das Jahr 2017 erschienen. In
jedem Frühjahr erscheint die Sammlung in elektronischer und gedruckter Form.
Sie richtet sich an Interessierte, aber insbesondere an relevante Akteure,
Politiker, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und anti-rassististische
Aktivisten.
Veröffentlicht wird
der EIR von der türkischen Denkfabrik SETA. Herausgegeben wird die Aufstellung
von den beiden Politikwissenschaftlern Dr. Enes Bayrakli und Dr. Farid Hafez. Die
Länderberichte stammen von relevanten Experten sowie zivilgesellschaftlichen
Aktivisten aus ganz Europa. Sie schreiben jeweils über das Land, von dem sie
die größte Fachkenntnis haben.
Obwohl der Begriff
„Islamophobie“ Einzug in den öffentlichen Diskurs sowie in die akademische Welt
fand, bezieht er sich für die Herausgeber nicht notwendigerweise auf die Kritik
einzelner Muslime oder ihrer Religion. Für sie stellt sie das
Herrschaftsinstrument einer dominanten Gruppe zur Dominanz einer Minderheit und
der Kontrolle von Privilegien dar. Islamfeindlichkeit funktioniere, indem das
Bild einer statischen „muslimischen“ Identität gezeichnet werde, das man in
negativen Begriffen verallgemeinernd allen Muslimen zuschreibe. Gleichzeitig
seien islamophobe Bilder wandelbar und veränderten sich je nach Zusammenhang.
„Die Leugnung der
eigentlichen Existenz von Islamfeindlichkeit, antimuslimischem Rassismus und
antimuslimischer Hassverbrechen in Europa durch viele demonstriert den Bedarf
nach angemessenen Anstrengungen und dem politischen Willen zum Umgang mit
diesem normalisierten Rassismus und seinen Manifestationen“, heißt es in der
Ankündigung zum EIR 2017. Diese fände sich nicht nur bei extremen Rändern der
Gesellschaft. Vielmehr hätten sich politisch weit rechts stehende Diskurse in
die Mitte der politischen Macht bewegt. Als Folge verließen sich nicht nur
Rechte auf antimuslimische Propaganda. Auch Sozialdemokraten, Liberale, Linke
und Konservative seien gegen sie nicht immun.
Den Herausgebern des
„European Islamophobia Reports 2017“
 geht es um die
Offenlegung von strukturellem anti-muslimischen Rassismus. Auf jährlicher Basis
analysiere man die Trends und Entwicklungen in beinahe allen europäischen
Ländern – von Russland bis Portugal und von Malta bis nach Norwegen.
In Europa seien auf
Ebene der Nationalstaaten einige Trends zu beobachten. Das rechtsextreme Lager
sei vom Rand in die Mitte gerückt und nun ein integraler Bestandteil der
politischen Landschaft in Europa. In Ländern wie Österreich, Bulgarien und
Finnland säßen sie nicht mehr in der Opposition, sondern in der Regierung. Wie
auch immer sich ihr Einfluss gestaltet: Der von ihnen geführte islamfeindliche
Diskurs wurde von Parteien der ehemaligen Mitte übernommen. Für die Herausgeber
des „European Islamophobia Report 2017“ stellt der Aufstieg dieser Parteien
„eine wichtige Bedrohung für die demokratische Ordnung in Europa“ dar.
Ein weiteres
Problem sei die Leugnung von Islamfeindlichkeit. Führende Journalisten in
Ländern wie Österreich und Norwegen verlagerten ihren Fokus von
Islamfeindlichkeit als ein Problem auf Islamophobie als „Kampfbegriff“. Daher
gäbe es eine zögerliche Haltung bei der Verwendung des Begriffs.
Zu den beunruhigenden
Entwicklungen in Europa gehören für die EIR-Herausgeber terroristische Angriffe
gegen Muslime. Obwohl Rassisten, Nationalisten und Separatisten für den größten
Teil des Terrors in Europa verantwortlich seien, liege der Fokus auf dem
Dschihadismus. Es gebe aber Anzeichen, dass rechtsextreme Terrorgruppen und
Einzelgänger ihre Aktivitäten steigerten und Muslime in Europa ins Visier
nähmen. In Deutschland beispielsweise stiegen sie bei Häufigkeit und Gewaltgrad
an.
Das Ziel liegt aber
nicht nur in der Dokumentation des Phänomens. Der Bericht zielt auch auf
Veränderungen ab. „Er repräsentiert“, so die Webseite des Projekts, „ein
nützliches und wertvolles Werkzeug für jeden Aktivisten und Politiker, der
Islamfeindlichkeit entscheidend angehen will“. Die Autoren der jeweiligen
Länderberichte entwickelten spezifische Empfehlungen für das von ihnen
behandelte Land.
Der Kampf gegen
Islamfeindlichkeit auf nationaler und regionaler Ebene sei wichtig, aber nicht
genug. Daher brauche es Anstrengungen auf europäischer Ebene. Das wird durch
Bülent Senay unterstrichen. Senay ist OSZE-Kommissar für den Kampf gegen
Intoleranz gegen und Diskriminierung von Muslimen. Auf supranationaler Ebene
fehle es noch an entsprechenden Mitteln. Zu den von den EIR-Machern gemachten generellen
Empfehlungen gehören beispielsweise:
  • Die entscheidende Anerkennung, dass es
    einen spezifischen Rassismus gibt, der sich gegen Muslime richtet; oder
    jene, die als solche gesehen werden.
  • EU-Einrichtungen müssen Islamfeindlichkeit
    als Form des Rassismus anerkennen und politisch behandeln.
  • Die rechtliche und politische Wahrnehmung
    von Islamophobie ist von herausragender Bedeutung. Daher muss auf
    europäischer Ebene eine Konferenz zum Thema eingerichtet werden, die mit
    der Unterstützung eines EU-Mitgliedes oder des Europaparlaments organisiert
    wird.
  • EU-Mitgliedsstaaten sollten nationalen
    Maßnahmen gegen Rassismus beschließen, die Muslimfeindlichkeit als
    spezifische Form des Rassismus ansprechen.
  • Europa braucht mutige Führungspersonen und
    Aktivisten, die sich antimuslimischen Diskursen und Narrativen im
    Zeitalter weit rechts stehender Parteien stellen können.
In der Einleitung des
mehr als 700-seitigen Dokuments
 schreiben die
EIR-Herausgeber, dass Projekte wie das ihrige keine täglichen
Dokumentationsmechanismen bieten könne. Es sei die Pflicht der Nationalstaaten,
entsprechende Mechanismen zu realisieren und jährliche Daten zu
veröffentlichen. Namentlich wurde die Bundesrepublik erwähnt, die im
vergangenen Jahr antimuslimische Hassverbrechen als Unterkategorie einführte.