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Die katholisch-evangelikale Achse für «Meinungsfreiheit»

von Kurt Marti, Infosperber, 22. April 2018. Fundamentalistische Christen sehen die «Meinungsfreiheit» in Gefahr, weil ihre skurrilen Ansichten auf öffentliche Kritik stossen.


Der Glarner Schokoladen-Produzent Johannes Läderach ist nicht etwa «irritiert» über die homophobe Behauptung (Seite 27) des Zürcher SVP-Gemeinderats Daniel Regli, dass «sich promiske Homosexuelle zwischen 30 und 40 das Leben nehmen, weil der Analmuskel nicht mehr hält, was er verspricht», sondern paradoxerweise über «die Reaktion von Presse und Politik», die weitherum empört waren.
Der Gesandte des Bistums Chur
Selbst SVP-Vertreter distanzierten sich von Regli. Nicht so der Schokoladen-Hersteller Johannes Läderach. Er beklagte die Kritik der Medien, die «alle nur auf den Mann spielten», und sah die «Meinungsfreiheit» wegen der «derzeit dominant scheinenden ‹political correctness›» in Gefahr, wie er im Bulletin 1/2018 der evangelikalen «Christen für die Wahrheit» (Christians for truth, cft) ausführte. Und er kündigte für die cft-Jahreskonferenz 2018 von gestern Samstag ein Podium mit dem Titel an: «Meinungsfreiheit – Eine Illusion: Verhindert politische Korrektheit konstruktive Debatten?»
«…dürfen wir in Zeiten, wo kein Wert wichtiger scheint als Nicht-Diskriminierung und Political Correctness, wirklich noch offen unsere Standpunkte vertreten? Dürfen Christen noch die Bibel zitieren? Ist unsere Gesellschaft wirklich so tolerant, wie sie sich gibt?», heisst es in der Einladung zum cft-Podium, an dem neben Johannes Läderach auch Giuseppe Gracia, der Mediensprecher des Bistums Chur, und der katholisch-konservative, deutsche Journalist Matthias Matussek teilnehmen.
Auch die liberale NZZ mischt mit
Die Teilnahme des Bischofssprechers Gracia ist nicht zufällig, denn aus dem Bistum Chur waren in letzter Zeit ähnliche Gedanken zur angeblich gefährdeten «Meinungsfreiheit» zu hören. So monierte der Churer Generalvikar Martin Grichting in der NZZ «Zustände wie im alten Rom», und der Bischofssprecher Giuseppe Gracia kommentierte ebenfalls in der NZZ: «Keine Meinungsfreiheit für Katholiken
Grichting schrieb, «dass heute nicht mehr Blut fliesst, sondern nur noch Druckerschwärze». Und Gracia klagte: «In vielen europäischen Medien erscheint die Lehre der katholischen Kirche als etwas Krankhaftes oder Menschenfeindliches. Auch lässt man etwa den ‘Marsch fürs Leben’, der in den USA Millionen bewegt, aussehen wie eine Ansammlung verblendeter Anti-Feministen und ‘Abtreibungshasser’.»
Dass die Nebelpetarden aus Chur in der NZZ erschienen sind, ist kein Zufall. Denn auch NZZ-Chef Eric Gujer schlüpfte als Moderator der «NZZ Standpunkte» in die Opferperspektive der christlichen Fundamentalisten und stellte sie als bedrohte Minderheit dar, wobei er ausdrücklich auf die Äusserungen von Giuseppe Gracia verwies (siehe Infosperber: Liberaler Theologe erteilt NZZ-Chef eine Lektion).
Evangelikale Schule und Missionsgesellschaft
Doch wieso greift ein junger Glarner Chocolatier einem Zürcher SVP-Gemeinderat unter die Arme? Eine Antwort liefert der Ort, an dem das cft-Podium stattfindet: Hof Oberkirch in Kaltbrunn, mitten in der Linth-Ebene zwischen Zürichsee und Walensee.
Es ist die Adresse der umstrittenen, evangelikalen Missionsgesellschaft «Kwasizabantu», in deren Vorstand Jürg Läderach sitzt, der Verwaltungsrats-Präsident der Schokoladen-Fabrik Läderach AG in Ennenda (GL) und Vater des jetzigen Geschäftsführers Johannes Läderach. Im Umfeld von «Kwasizabantu» sind auch die «Christen für die Wahrheit» angesiedelt, die ebenfalls von Läderach senior präsidiert werden.
An derselben Adresse in Kaltbrunn befindet sich zudem die evangelikale «Domino Servite Schule» (Dienet dem Herrn!), an der für die Mädchen der Dresscode «Kleid oder Jupe» gilt. Auch hier sitzt Läderach senior im Vorstand und amtet ausserdem als Sekretär. «Domino Servite»-Präsident ist Walter Mannhart, der gleichzeitig cft-Vorstands-Mitglied ist und der als Einkaufs-Chef bei der Schokoladen-Fabrik Läderach arbeitet, die er in der Aussenhandels-Kommission von Chocosuisse, dem Verband Schweizerischer Schokoladefabrikanten, vertritt.
Erstgenanntes Ziel der «Domino Servite Schule» ist laut Handelsregister die Erziehung der Kinder und Jugendlichen zur «Ehrfurcht vor dem dreieinigen Gott». Natürlich alles bestens kontrolliert und abgesegnet durch das St. Gallische Erziehungsdepartement.
Hier schliesst sich der Kreis zum SVP-Gemeinderat Daniel Regli, dessen Rede Anlass gab für das cft-Podium. Denn Regli ist Präsident des Vereins «Marsch fürs Läbe» (MfL), bei dem Walter Mannhart als Aktuar sowie Jürg Läderach als Kassier walten. Der MfL demonstriert jedes Jahr medienwirksam gegen die Abtreibung, nicht ohne bitter zu beklagen, man werde diskriminiert. In diese Klage stimmt jeweils auch Bischofs-Sprecher Giuseppe Gracia medienwirksam ein.
Die fundamentalistische Achse der Kreationisten
Alle diese evangelikalen Organisationen verbindet die fundamentalistische Bibel-Auslegung und der verbissene Kampf gegen Abtreibung, Homo-Sexualität, Homo-Ehe, Empfängnisverhütung, Sexual-Unterricht, vorehelichen Sexualverkehr und dergleichen angeblich unchristliche Praktiken.
Es ist derselbe fundamentalistische Kampf, den auch die katholischen Savonarolas im Bistum Chur führen. Die Ostschweizer katholisch-evangelikale Achse der Sexual-«Experten» funktioniert bestens.
Zu dieser Achse gehören auch die erz-katholischen Piusbrüder, die in ihren Schulen dem Kreationismus huldigen. Als vor einem Jahr im St. Galler Kantonsrat eine Motion bachab ging, die strengere Vorgaben für Privatschulen von «religiös-fundamentalistischen Kreisen» forderte, freute sich auch Walter Mannhart im cft-Bulletin: Es gereiche dem St. Galler Kantonsrat zur Ehre, «dass er sich für die Wahrung der Freiheit der christlichen Glaubensbezeugung eingesetzt» habe.
Mannharts Freude war berechtigt, denn die Motion war auch gegen den Kreationismus gerichtet, mit dem nicht nur die Schulen der Piusbrüder sympathisieren, sondern auch die «Christen für die Wahrheit», wie das cft-Bulletin 3/2007 zeigt.
Darin bedauert Mannhart, dass in Schulen «die Schöpfungslehre völlig aus den naturwissenschaftlichen Fächern verbannt werden» solle. Einzig im Religionsunterricht habe diese noch Platz. Im gleichen Heft breitet ein Biologie-Laborant seitenlang seine kreationistischen Thesen aus.
Auch das bekannte Lied über die bedrohte «Meinungsfreiheit» darf nicht fehlen: «Wer an Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde glaubt, wird von vornherein ausgegrenzt und mundtot gemacht», ärgert sich Mannhart.
«Eine differenzierte Betrachtung» der Körperstrafe
Dieselbe Leier präsentiert Domino-Servite-Präsident Mannhart im Zusammenhang mit der körperlicher Gewalt in der Erziehung. Auch dort wittert er instinktiv eine Bedrohung der «Meinungsfreiheit»: «Körperstrafe ist heute ein Tabu-Thema. Sie gilt generell als inakzeptabel, eine differenzierte Betrachtung wird nicht zugelassen. Dies stigmatisiert die Christen regelrecht und verpasst ihnen einen gesellschaftlich verordneten Maulkorb.» (cft-Bulletin 3/2013)
Damit nahm der cft-Prediger Mannhart Stellung zu einer Untersuchung von «Infosekta» über die diversen, evangelikalen Erziehungsmethoden, die als dogmatisch-machtorientiert, dogmatisch-wahrheitsorientiert, autoritativ-dogmatisch und autoritiativ-partizipativ bezeichnet wurden und die mehrheitlich körperliche Gewalt als Mittel der Erziehung empfahlen.
Statt sich von der körperlichen Gewalt als Erziehungsmittel klar zu distanzieren, beklagte Mannhart die Stigmatisierung der Christen und die gesellschaftlich verordnete Einschränkung der «Meinungsfreiheit» («Maulkorb»).
Es geht um biblische Wahrheiten, nicht um Meinungsfreiheit
Es ist das gleiche Schema, mit dem auch die Klage der cft über die angeblich bedrohte «Meinungsfreiheit» im Fall Regli präsentiert wird: Der SVP-Politiker, der mit seinen Aussagen Homosexuelle diskriminiert, wird zum Diskriminierten umfunktioniert, nur weil seine homophoben Behauptungen auf berechtigte Kritik und Ablehnung stossen.
Denn hier geht es nicht um Meinungen und Meinungsfreiheit, sondern um biblische Wahrheiten. In der Schweiz dürfen ChristInnen sehr wohl die Bibel zitieren, aber sie müssen mit Kritik und Widerspruch rechnen. Das sind die Spielregeln einer offenen, diskursiven Gesellschaft.
Fundamentalistische Gläubige, die im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein glauben, nehmen jedoch Kritik als Diskriminierung und als Einschränkung ihrer Verkündigungen wahr. Damit sprechen sie implizit den KritikerInnen die Meinungsfreiheit ab. Wer die absolute Wahrheit kennt, braucht tatsächlich keine Meinungsfreiheit. Das christliche Mittelalter lässt grüssen.