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Mutter-Courage – von Weißen Müttern und Schwarzen Kindern

von Sami Omar, 25. Februar 2017. Als
ich zum erstem mal angespuckt wurde war ich noch in der Grundschule. Eine alte
Frau schimpfte mich einen „schwarzen Teufel“ und schoss mit großem Geschick
einen Klecks Speichel auf meinen Hals. Etwas später passierte Ähnliches bei
einer Reise in die DDR. 


Die waren immer sehr beliebt bei mir, wegen Besuchen bei meiner Tante Christa und des Baumkuchens aus Salzwedel. Meine Liebe zu dem Gebäck hat den Staat überlebt. Die Liebe meiner Mutter hat das Angespucktwerden erträglicher gemacht. Meine
Mutter ist eine weiße, deutsche Frau. Und das macht mich zu einem Kind mit
besonderen Kompetenzen. Wir schwarzen Kinder weißer Eltern sind entlang der
Regelwerke gesellschaftlicher Farbenlehre gewachsen. Wir kennen jedes Klischee,
jede Deutung und Zuschreibung, die Menschen erdacht haben. Manchmal streichelt
die Gesellschaft uns damit. Zärtlich. Blind für die innere Abwehr und den
Schmerz der Berührung. Ein Kompliment für krauses Haar kann wie ein Anfassen,
ein Nahekommen sein. Eine Gewalt von sanftem Griff. Ein N-Wort, mag einem Hieb
aus voller Wucht gleichen. Wir verweigern mit Freude das, was wir in den
Zwischenräumen ethnischer Zuschreibungen geübt sind solcher Anklage bei zu
legen: Beweise!
Immer
wieder werden sie von Menschen eingefordert, die viel eher um Entschuldigung zu
bitten hätten. „Wo ist dein Schmerz? Wo die Diskriminierung? Zeige mir doch, wo
ich etwas falsch gemacht habe!“, schreit ein trotziges weißes Gewissen im Kampf
um die Deutungshoheit über Rassismus.
Wir
schwarzen Kinder der Norm arbeiten gegen den Unglauben einer Gesellschaft an,
die immer noch zu häufig den Schmerz verleugnet, den sie selbst verursacht.
Dabei muss man nur nachfühlen und nachdenken können, was es heißt, seiner Würde
für unwürdig gehalten zu werden. Man muss es nicht selbst erleben. Das ist es,
was Empathie bedeutet. Weiße Mütter schwarzer Kinder werden von Worten und
Taten gegen ihre Kinder in ein Resonanzsystem getroffen, dass aus Liebe gewoben
ist. Dazu muss man nicht schwarz sein – sondern ehrlich. Meine Mutter weiß
nichts von all den Debatten über critical-whiteness und deutsch-kolonialem
Erbe. Sie hat sich um mich zu verdient gemacht, als dass ich sie damit
beschäftigen wollte.
Doch
die Mütter aus unseren Tagen sind Frauen im Licht der neuen Aufklärung. Sie
kennen keine Rassenschande. Gnade dem, der sie N*-Schlampen schimpft, wie es
noch meinen ersten Freundinnen widerfahren ist. Sie fordern die Achtung und
Würde ein, die ihren Familien gebührt. Sie brechen mit alten Freunden und
streiten mit Großeltern, wenn nötig. Sie sagen, was geht, und was nicht, was
schmerzt und warum – in Schule, Kindergarten und Sportverein. Allzu oft müssen
sie die Einheit ihrer Familie gegen Trennungen nach Hautfarbe verteidigen. Sie
wissen, dass das Wort „Mutter“ recht eigentlich ein Verb ist, weil manche von
ihnen ihre Kinder nicht selbst geboren haben und anderen ihre Kinder nicht
zugeschrieben werden, ohne dass sie sie an die Hand nehmen.
Schwarze
Menschen leben seit hunderten von Jahren in Deutschland. Es ist nicht neu, dass
sie es prägen und mitgestalten. Es ist nicht neu, dass Mütter und Väter nicht
die gleiche Hautfarbe teilen. Neu ist, dass diese Familien Normalität schaffen,
statt sie zu fordern. Sie pochen auf die Anerkennung der Realität als plural
und der Vergangenheit als kolonial. Sie erziehen ihre Kinder dazu, auf dass
diese nicht müde werden, dafür zu handeln und darüber sprechen. 
Als
ich damals angespuckt wurde gehorchten mir meine Beine vor Wut nicht und meine
Augen wässerten auf vor Verzweiflung. Ich sagte zu der Alten: „Und sie sind
bald tot.“ Wieder zu Hause nahm meine Mutter -eine fromme Frau- all das zur
Kenntnis und belohnte mich mit einer Geste ihrer Wangen, die sagte:                      
Das hast du gut
gemacht!