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„Man sollte eher von Israelfrage als von Palästinafrage sprechen“: Mahmoud Suboh, palästinensischer Dichter

Von Milena Rampoldi, ProMosaik, 25.
Februar 2018.
Hier im Folgenden mein Interview mit Mahmoud
Suboh, Arzt, Dichter und aktives Mitglied der Palästinensischen Gemeinde in  Sardinien (Comunità Palestinese della Sardegna). Wir
haben unter anderem über die Schwierigkeiten und Herausforderungen der
pro-palästinensischen AktivistInnen unserer Zeit gesprochen.


Alan Hart war der Überzeugung, dass die
palästinensische Diaspora eine wesentliche Verantwortung übernehmen muss, um
einen palästinensischen Staat aufzubauen. Wie siehst du das?
Ich möchte meine Gedanken zum Thema mit den Worten von Alan
Hart, Gott sei seiner Seele gnädig, beginnen, da ich der Überzeugung bin, dass
ein Teil der Lösung, wenn nicht die gesamte Lösung, Aufgabe der
Diaspora-Palästinenser ist. Denn Israel wurde ja aus dem Ausland aus gegründet,
und somit außerhalb von Palästina! Daher müssen wir an der öffentlichen Meinung
weltweit arbeiten und eine kommunikative Fähigkeit entwickeln, um mit den
Menschen und den Institutionen ins Gespräch zu kommen. Das ist der erste
Schritt, den wir tätigen müssen. Danach müssen wir uns organisieren und die
palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten nicht nur durch unsere
Proteste, sondern auch finanziell unterstützen, indem wir auch außerhalb von
Palästina einen demokratischen und sehr gut organisierten palästinensischen
Staat gründen, der sich für diese Bevölkerung  einsetzt. Wir können uns nicht leisten,
einfach zuzusehen und zu protestieren, ohne eine kommunikative Strategie zu
entwickeln und ohne die Palästinenser in Palästina finanziell zu unterstützen…
Welche sind die Hauptziele der Palästinensischen
Gemeinde Sardinien?
Ihr Ziel besteht in der Erörterung der palästinensischen
Frage, die man eigentlich mal anfangen müsste, israelische Frage zu
nennen. Denn die Israelis sind die Eindringlinge, deren Problem die Welt lösen
sollte! Palästina ist unser Land. Und sie sind die Flüchtlinge, nicht wir. Sie
haben uns besetzt und massakriert. Aber es bleibt trotzdem dabei, dass sie das
Problem sind.
Die Palästinensische Gemeinde muss auch in der Lage sein, den
eigenen Kindern, die wahrscheinlich noch nie in Palästina waren, zu vermitteln,
was Ungerechtigkeit und Freiheit bedeuten und wie man das Thema angehen muss.
Sie muss ihnen beibringen, ihre Vorurteile zu überwinden, um die
Voraussetzungen zu schaffen, damit sie die zukünftigen freien Menschen sein
können, die sich weltweit für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.
Wie kann man die weibliche Teilnahme in den
palästinensischen Bewegungen steigern?
Ich denke, man sollte die weibliche Rolle mehr wertschätzen. Denn
wir haben es den Frauen zu verdanken, wenn das palästinensische Volk noch
existiert und noch Widerstad leistet. Die Frauen sind die wahren Pfeiler aller
Revolutionen und aller Erfolge in diesem Kampf. Wir sollten den Frauen mehr
Platz einräumen, aber vor allem müssen wir auch mehr Informationen über ihre
Rolle verbreiten.
Welche sind die wichtigsten Schwierigkeiten, mit denen
eure Gemeinde zu kämpfen hat?
Ich glaube, dass die palästinensischen Gemeinden heute in einem
wesentlichen Unbehagen leben. Erstens haben sie kein zusammenhängendes,
kohärentes und an die derzeitige Realität angepasstes Programm. Europa wird
immer rechtsradikaler, und wir tun uns schwer, uns Gehör zu verschaffen.
Vielleicht ist unsere Mentalität zu traditionell und zu wenig innovativ.
Vielleicht sind wir nicht in der Lage, den Ereignissen zu folgen. Wir sind sehr
stark mit der Politik verbunden und denken, dass diese im In- und Ausland
dasselbe Programm und dieselbe Strategie haben sollte. Das ist ein großes
Hindernis, glaube ich.
Wie denkst du Poesie und Kunst zur
Völkerverständigung beitragen können?
Ich bin der Meinung, dass es für die humanistische
Orientierung unserer Landsleute nichts Besseres gibt als Kultur, Poesie,
Erzählungen, Musik und Gastronomie. Denn diese Dimensionen schweißen die Völker
zusammen. So schaffen wir die Bedingungen für einen Dialog auf Augenhöhe, um
den Duft unserer Haut zu riechen und denselben Schlag unserer Herzen zu hören….
Welche sind die besten Mittel, um uns für die
palästinensische Frage einzusetzen?
Ich bin von Natur aus optimistisch, bin mir aber auch der
ziemlichen Ausweglosigkeit der Lage bewusst. Aber diese betrifft nicht nur
Palästina aufgrund der dauernden Kolonisierung seines Territoriums. Das
Völkerrecht ist abhandengekommen. Die EU und die UNO sind vollkommen abwesend.
Im gesamten Nahen Osten, in Afghanistan, Pakistan, Nigeria, Tschad… herrscht
Krieg… nun befürchtet man auch noch den Ausbruch eines Krieges zwischen Nord-
und Südkorea!
Die Hoffnung, dass das palästinensische Volk seine Einheit
wiederfindet, weil diese Einheit die notwendige und wesentliche Waffe ist, um
Israel und seine Verbündeten herauszufordern, und dass die von den Kriegen niedergemetzelten
Völker ihren Befreiungsweg finden, muss uns zusammenschweißen. Wir müssen uns
vereinen gegen einen Feind, der zwar verschiedene Formen annimmt, aber immer
ein und derselbe ist. Die Menschen müssen verstehen, dass die einzige Rettung
in der Errichtung einer gemeinsamen Front besteht, die sich der Politik der
Zäune und Mauern widersetzt und eine Politik gestaltet, die diese abbaut. Das
ist meiner Meinung nach der einzige Weg und die einzige Rettung. Wir brauchen
eine kosmopolitische Weltanschauung, ein gemeinsames Schicksal und einen
gemeinsamen Kampf. Man muss sich dessen überzeugen, dass der Nationalismus
bisher nur Tod und Zerstörung verursacht hat.

Was wünscht du dir für 2018?
Ich hoffe, dass die Frauen wieder ihre wesentliche Rolle in
den Befreiungskriegen und in der Gestaltung des Internationalismus übernehmen. 

Außerdem dürfen wir nicht auf einen Heerführer oder Retter
warten. Jeder von uns muss sich so verhalten, als wäre er es und die Verantwortung
für die Geschehnisse übernehmen.