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Automatisierte Aggression

von German Foreign Policy, 18. Januar 2017. Die Bundeswehr testet autonom agierende Drohnen zur Absicherung von Luftlandeoperationen auf fremdem Territorium. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Demnach führte die Elektroniksystem- und Logistik-GmbH (ESG) auf einem Versuchsgelände des deutschen Militärs mehrere Probeflüge mit einem “Unbemannten Missionsausrüstungsträger” durch, um “Landezonen” für Hubschrauber in einem “unbekannten Gebiet” zu erkunden. 

Die Flüge hätten Ende vergangenen Jahres stattgefunden und seien “teilweise außerhalb der Sichtweite des Steuerers” erfolgt, heißt es. Die Aufgabenstellung korrespondiert mit den ebenfalls 2017 von der deutschen Heeresleitung in einem “Thesenpapier” kodifizierten Forderungen. Darin werden unter anderem Kriegsszenarien entwickelt, in denen Drohnen “feindfreie Landezonen” für den Aufmarsch deutscher Truppen auskundschaften – oder auch international geächtete Streubomben abwerfen.

Sicherheitskritische Einsatzszenarien

Wie die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion mitteilt, hat die Elektroniksystem- und Logistik-GmbH (ESG) Ende vergangenen Jahres mehrere Probeflüge mit einem halbautonomen “Unbemannten Missionsausrüstungsträger” durchgeführt. Die Flugversuche hätten auf dem Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle 61 in Manching (Bayern) stattgefunden und seien “teilweise außerhalb der Sichtweite des Steuerers” erfolgt, heißt es. Erklärtes Ziel der Tests war die “automatisierte Erkundung von Landezonen” für Hubschrauber in einem “unbekannten Gebiet”.[1] Der ESG zufolge bieten Drohnen hierbei unschätzbare Vorteile: So könne die “Identifikation” entsprechender Areale “schneller und großflächiger als bisher” erfolgen, weil diese nicht mehr von einer Crew “aufwändig aus der Luft gesucht und bewertet” werden müssten. Da sich eine Drohne außerdem im Vergleich zu einem Hubschrauber oder Flugzeug durch geringere Abmessungen und Geräuschemissionen auszeichne, sei ihr Einsatz “gerade in sicherheitskritischen Einsatzszenarien von großer Bedeutung”, erklärt das Unternehmen.[2]

Feindfreie Landezonen

Während die Bundesregierung lediglich darauf verweist, dass die “Aufklärung von möglichen Landeplätzen für Hubschrauber durch ferngesteuerte unbemannte Luftfahrzeuge” die “Sicherheit von Passagieren und Besatzungen” erhöhe [3], beschreibt ein 2017 von der deutschen Heeresleitung veröffentlichtes “Thesenpapier” [4] die zugehörigen Kriegsszenarien. Demnach könnten Drohnen oder “Unmanned Aerial Vehicles” (UAV) zur Vorbereitung einer Invasion genutzt werden: “Den eigenen Hubschraubern voraus werden Aufklärungs-UAV eingesetzt, die als luftbeweglicher Spähtrupp einen möglichst sicheren Weg und feindfreie Landezonen erkunden.” Auch sei es denkbar, die von den Hubschraubern abgesetzten “Luftlandekräfte” ihrerseits mit “Aufklärungs-UAV” auszustatten, um die Überwachung des okkupierten Territoriums zu gewährleisten. Die Landung der Helikopter selbst wiederum könne durch den “massiven Einsatz von Täusch-UAV” getarnt werden, heißt es: “Die Täusch-UAV sind so konfiguriert, dass sie den Hubschraubern des Einsatzverbandes gleichen und in Formationen operieren (Schwärmen), die der gegnerischen Luftverteidigung eine Vielzahl von Einsatzverbänden vortäuschen. Ihre Einsätze sind zeitlich und räumlich so gestaffelt, dass die gegnerische Luftverteidigung ihre Wirkmittel für diese ‘Scheinziele’ verwendet und ihr mehr Ziele geboten werden, als sie bekämpfen kann.”[5]

Beschränkte Entscheidungen

Überhaupt erscheinen den Autoren des “Thesenpapiers” Kampfroboter und Drohnen (“Unmanned Systems”/UMS) offenbar als Allzweckwaffe – zumal wenn diese in der Lage sind, in “Schwärmen” zu operieren. So böten UMS den Vorteil, dass sie “im Vergleich zu herkömmlichen bemannten Waffensystemen schneller und günstiger hergestellt werden können”; allein die auf diese Weise geschaffene “Masse” sei geeignet, die “Durchhaltefähigkeit” und die Widerstandsfähigkeit (“Resilienz”) der Kampftruppen auf fremdem Territorium zu steigern, heißt es. Auch bestehe die Möglichkeit, “automatisierte, teilautonome oder autonome Funktionalitäten von UMS” mit bemannten Waffensystem zu kombinieren, um einen “größere(n) Raum” zu überwachen oder “mit Feuer (zu) beherrschen”. Die “Entscheidung zum Waffeneinsatz” liege dabei zwar bei den zuständigen Soldaten, könne jedoch – etwa bei “zeitkritischen Vorgängen” – “auf die Entscheidung zur Aktivierung des Systems beschränkt sein”.[6]

Submunition

Konkret denkt die deutsche Heeresleitung nach eigenem Bekunden unter anderem an “Wirk-UAV, die Panzerabwehr-Submunition verbringen können”, und an “durch Artillerie verschossene Schwärme von Submunitions-Mini-UAV”.[7] Submunition, besser bekannt als Streumunition, ist in sogenannten Clusterbomben und -granaten enthalten und wird von diesen nach dem Abwurf respektive Abschuss weiträumig verteilt. Da etliche dieser “Bomblets” nicht explodieren, sondern als Blindgänger liegen bleiben, stellen sie über einen langen Zeitraum eine extreme Gefährdung für die Zivilbevölkerung der betroffenen Gebiete dar. Die BRD ist zwar einem völkerrechtlich verbindlichen Übereinkommen beigetreten, das den Einsatz von Streumunition verbietet, jedoch nutzt sie die darin enthaltenen Ausnahmeregelungen zum Wohl der deutschen Rüstungsindustrie (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Der Bundeswehr indes geht selbst dies offenbar noch viel zu weit. So wird der Verzicht auf “Clustermunition” im “Thesenpapier” der deutschen Heeresleitung wörtlich als “Selbstbeschränkung” bezeichnet, aus der sich bereits ein “gegnerischer Fähigkeitsvorsprung” ergeben habe.[9]

Deutsches Patent

Dass es sich bei den von den deutschen Streitkräften gewünschten Drohnen zur “Verbringung” von “Submunition” keineswegs um Zukunftsmusik handelt, zeigt eine Patentanmeldung aus dem Jahr 1987. Unter der Bezeichnung “Drohne mit Gefechtskopf” gab der Nürnberger Rüstungskonzern Diehl hier folgendes zu Protokoll: “Eine Sturzflugdrohne soll für effektive Bekämpfung auch hartgepanzerter Zielobjekte ausgelegt werden. Dafür ist die Drohne mit einer abtrennbaren Heckstruktur ausgestattet, um nach Übergang aus einer hohen gestreckten Suchflugbahn in eine Sturzflugbahn auf eine Zielansammlung aus der Bugstruktur rückwärts einen Stapel von Suchzünder-Submunitionen auszugeben, die während ihres fallschirmgebremsten, rotierenden Abstiegs mit ihren Zündsensoren das Gelände spiralförmig nach einem zu bekämpfenden Zielobjekt abtasten.”[10]
[1] Bundestags-Drucksache 19/257.
[2] Automatische Erkundung von Landeplätzen für Hubschrauber mittels Drohnen. www.esg.de 22.11. 2017.
[3] Bundestags-Drucksache 19/257.
[5], [6], [7] Autorenteam Kdo H II 1 (2): Thesenpapier: Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig? Strausberg 2017.
[8] Siehe hierzu Weiche Ziele.
[9] Autorenteam Kdo H II 1 (2): Thesenpapier: Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig? Strausberg 2017.
[10] Deutsches Patentamt: Offenlegungsschrift DE 3722038 A1.