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Angstlust

von Sami Omar, 05. Januar 2018. Im Grenzland von Bedrohung und
Erregung lebt die Angstlust. Man findet sie in Momenten, in denen man sich
lustvoll einer beherrschbaren Angst hingibt, um daraus eine wohlige Aufregung
zu generiere. Sie folgt eigenen Gesetzen. Sie ist expansiv, impulsiv – ein Ding
für sich.  Bergsteiger_innen kennen sie. Drogenkonsument_innen
leben mit ihr. AfD- Anhänger_innen brauchen sie.  

Sie brauchen sie, weil die AfD
sich aus vornehmlich zwei Dingen nährt: Dem Glauben an den Zustand der eigenen
Entrechtung und dem Glauben an akute Bedrohung. Angstlust schafft Arbeitsplätze
in Redaktionen und Parteibüros.
Erst in der vergangenen Woche war
wieder zu beobachten, wie sie für die völkische Rechte medial nutzbar gemacht
wurde. In einer Studie, die das Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben
hatte, werteten die Kriminologen Christian Pfeiffer, Dirk Baier und Sören Kliem
Daten der polizeilichen Kriminalstatistiken aus. Diese bezogen sich auf das
Land Niedersachsen, dessen Justizminister Professor Christian Pfeiffer von 2000
bis 2003 war. Die Studie stellt einen Zusammenhang zwischen
Kriminalitätsanstieg und dem Zuzug von Geflüchteten her, indem sie sagt, dass
der Anstieg der Gewalttaten um 10,4 Prozent zu über 90 Prozent Geflüchteten
zuzurechnen sei.
Um Angstlust an zu feuern und
nutzbar zu machen muss man mit den Erkenntnissen dieser Studie nichts weiter
tun, als die Interpretation der Wissenschaftler und anderer besonnener Menschen
weg zu lassen. Man muss verschweigen, dass Geflüchtete und Migrant_innen an
sich deutlich bereitwilliger angezeigt werden (doppelt so oft), als Bürger, der
Mehrheitsgesellschaft zugeordnet werden. Man muss verschweigen, dass Kriminalstatistiken
Anzeigen erfassen, keine Verurteilungen und in diesem Sinne der  Unschuldsvermutung vorgegriffen wird, wenn
man Verdächtige und Täter gleich setzt. Und man muss zumindest vernachlässigen,
dass Gewalttaten von Geflüchteten in den Jahren 2014 bis 2016 – dem Zeitraum,
den die Studie behandelt- zu großen Teilen Gewalttaten unter Geflüchteten sind
(75 Prozent).
In dieser Zeit kam es in den
massiv überbelegten Notunterkünften Land auf und Land ab zu unzähligen
Polizeieinsätzen, die das gestiegene Aggressionspotential von Menschen ein zu
fangen hatten, die unfreiwillig, auf engstem Raum und nach teils traumatischen
Fluchterfahrungen zusammenlebten.
All dies zu negieren und auf die
Verunsicherung der Leser_innen und Zuschauer_innen zu sezten, ist derzeit der
Treibstoff vieler Debatten, die Parteien und Redaktionen nützten, aber
keinesfalls dem Zusammenlaben der Bürger_innen – ob alt oder neu.
Angstlust klingt in den Ohren
mancher, als verspotte man jene, die sich wirklich fürchten und tatsächlich
Angst empfinden, die sie nicht ablegen oder eindämmen können.
Aber ich behaupte, dass das die
Minderheit derer ist, die über Geflüchtete reden, als seien sie eine Bedrohung
oder ein Assimilierungsprojekt. Xenophobie ist in diesem Sinne keine Phobie,
sondern eine Geisteshaltung.
Ein großer Teil der Menschen sehnt
sich danach, die Debatte um Flucht und Migration zu „gewinnen“ – als sei damit
irgendjemandem geholfen. Neben vielen Schreihälsen im Internet findet man im
Fernsehen bei Sat1 immer wieder Belege für eine vergleichsweise subtile Form
dieser Haltung. Claus Strunz, der Inhaber der Maz & More TV Produktion, die
das Sat.1-Frühstücksfernsehen herstellt, kommentiert in eben dieser Sendung die
Ergebnisse der Studie aus Niedersachsen:
„Alles, was Menschen, die mit
offenen Augen und gesundem Verstand durchs Leben gehen seit knapp zwei Jahren
sehen und sagen, ist jetzt amtlich. Diejenigen, die das stets weggeredet,
verharmlost, die ihre Kritiker als zu ängstlich, dumm oder rechtsradikal herabgewürdigt
haben – also alle Politiker in Regierungsverantwortung, außer der CSU – werden
jetzt umdenken müssen.“
Was Claus Strunz hier im Gestus
der Volksfürsorge und des fehlgeleiteten Stolzes fragt, ist im Kern:
Warum
fürchtet ihr Euch nicht endlich?