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Präsident Trump: Durchaus berechenbar



Erich Gysling / 07. Dez 2017 –

Jerusalem als Hauptstadt Israels: US-amerikanischer Courant normal oder evangelikaler Aufbruch zum Marsch Richtung Harmagedon?

 

Erich Gysling
© Bernard van Dierendonck
Donald Trump hat mit seiner
Jerusalem-Entscheidung in zugespitzter Form fortgeführt, was
Vorgängerpräsidenten seit Jimmy Carter in den Siebzigerjahren angebahnt
haben. Auch sie, immer vorangetrieben vom Kongress, spielten sich zwar
gerne als «ehrliche Makler» auf, aber in den Stunden der Wahrheit gaben
sie grünes Licht zugunsten Israels und zuungunsten der Palästinenser.
Sie übten allenfalls milde Kritik an der ständig vorangetriebenen
Besiedlung des Westjordanlands und der Enteignung von Arabern innerhalb
der von Israel willkürlich ausgeweiteten Grenzen des annektierten
Jerusalems, drohten in Einzelfällen auch mit dem Einfrieren von Geldern,
aber spätestens nach einigen Wochen kehrte Washington zum courant
normal zurück. So untergruben die USA faktisch seit Jahrzehnten die Idee
einer Zweistaatenlösung. In der UNO blockierten sie israelkritische
Resolutionen mit dem Veto oder übten, allerdings nur in extremen
Ausnahmefällen, Stimmenthaltung.
Also ist das,
was der US-Präsident jetzt entschieden hat, nichts als eine Fortsetzung
der alten Politik respektive die Anerkennung von Realitäten? Nein, Trump
hat eine neue Negativ-Qualität in den Konflikt eingebracht: er hat den
Verhandlungsprozess im Nahen Osten (beschönigend als
Friedensverhandlungen bezeichnet) definitiv zum Stillstand gebracht.
Weshalb?
Donald Trump orientiert sich bei seinen scheinbar sprunghaften
Entscheidungen konsequent an den Präferenzen seiner Wählerbasis – bei
der Nahost-Politik ist es das Konglomerat von Erzkonservativen und
Evangelikalen. Von der Öffentlichkeit wenig beachtet, spielt offenkundig
der informelle Beraterstab von «wieder erweckten» Christen eine
wesentliche Rolle. Er besteht aus 26 Persönlichkeiten, die Zugang zum
Präsidenten haben und deren Credo darin besteht, dass Israel aufgrund
biblischer Texte immer recht hat, dass die Geschichte der Menschheit
unweigerlich auf Harmagedon zuläuft, also auf die in der Offenbarung des
Johannes vorausgesagte Entscheidungsschlacht im «Krieg des grossen
Tages Gottes». Gemäss dieser Sichtweise haben die Palästinenser kein
Recht auf das Westjordanland und ohnehin nicht auf Jerusalem.
Erzkonservative
und Evangelikale bilden in den USA einen Wählerblock von geschätzten 60
bis 70 Millionen. Sie sind für jeden Politiker bedeutend wichtiger als
die jüdische Gemeinschaft – die innerlich vielfältig ist und keineswegs
nur aus Netanyahu-Sympathisanten besteht. Donald Trump als Werkzeug der
viel gescholtenen sogenannten jüdischen Lobby und Jared Kushners zu
bezeichnen, greift auf jeden Fall zu kurz. Und auch die in den Medien
immer wieder präsentierte Interpretation, Trump sei sprunghaft und
unberechenbar, verkennt Wesentliches: dieser Präsident vollzieht genau
das, was er seinen Anhängern im Wahlkampf versprochen hat. Und er ist
zäh, hat Durchhaltevermögen. Das zeigte sich auch beim Einreiseverbot
für Menschen aus mehreren muslimischen Ländern, das er so lange, wenn
auch modifiziert, durchzog, bis die Justiz ihm recht gab.
Das
verheisst nichts Gutes für die Zukunft. Versprach Donald Trump nicht
auch schon die Abkehr vom Atomvertrag mit Iran und die Wiedereinführung
von zusätzlichen Sanktionen? Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis
der Präsident sich diesem Thema zuwenden wird.