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BDS Berlin – friedlicher Widerstand gegen den Besatzerstaat Israel


von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview mit Doris Ghannam von der BDS-Bewegung in Berlin. Wir haben über Israelkritik, über die Notwendigkeit eines friedlichen Widerstands gegen den Besatzerstaat Israel und die Initiativen der Bewegung gesprochen. Möchte mich herzlichst bei Doris für ihre Zeit bedanken.

Welche sind die Grundideen und wichtigsten
Initiativen der BDS Bewegung?

Die Grundideen der BDS-Bewegung ergeben sich aus dem von der palästinensischen
Zivilgesellschaft in Übereinstimmung mit allen ihren Bevölkerungsgruppen 
– im Westjordanland, im Gazastreifen, in Israel und den palästinensischen
Flüchtlingen weltweit – initiierten und konzipierten BDS-Aufruf von 2005, als
Antwort auf das für Israel folgenlos gebliebene Gutachten des IGH über die
Rechtsfolgen des Baus einer Mauer in dem besetzten palästinensischen Gebiet,
einschließlich in Ost-Jerusalem und seiner Umgebung. Es sind diejenigen, die
direkt von der israelischen Politik betroffen sind, die Organisationen und
Menschen, die ihrem Gewissen folgen, aufrufen, Israel aufzufordern, das
Völkerrecht zu respektieren, indem es die Besetzung und Kolonisation allen
arabischen Landes beendet und die Mauer abreißt; das Grundrecht der
arabisch-palästinensischen Bürger Israels auf völlige Gleichheit anerkennt; und
die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem
Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN Resolution 194 vereinbart wurde,
respektiert, schützt und fördert. Dies sind drei Grundrechte, ohne die das
palästinensische Volk sein unveräußerliches Recht auf Selbstbestimmung nicht
ausüben kann.

Die weltweite BDS-Bewegung ist angetreten, diese Forderungen zu unterstützen
und sich an entsprechenden Initiativen, die in der Bewegung als Kampagnen
bezeichnet werden, zu beteiligen. Dabei können die Kampagnen-Ziele variieren.
Unlängst hat sich die Katholische Universität von Leuven aus dem von der EU
finanzierten Forschungsprojekt LAW TRAIN, das eine Zusammenarbeit europäischer
Länder mit der israelischen Nationalpolizei vorsieht, zurückgezogen (https://bdsmovement.net/news/eu-research-collaboration-israeli-police-tatters-after-belgian-university-exit).
Die Kampagne gegen das britische Sicherheitsunternehmen G4S hat einen
wesentlichen Anteil daran, dass sich das Unternehmen aus dem Israel-Geschäft
zurückzieht (https://bdsmovement.net/stop-g4s#tab1). Die
UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (ESCWA) forderte in ihrem im
März 2017 veröffentlichten Bericht BDS-Maßnahmen um Israels Apartheidregime zu
beenden (http://bds-kampagne.de/2017/03/16/neuer-un-bericht-bestaetigt-dass-israel-ein-apartheid-staat-ist-und-ruft-zu-bds-auf/).
Norwegens größter Gewerkschaftsverband unterstützt den vollen Boykott Israels
um die Menschenrechte für die Palästinenser*innen voranzubringen (http://bds-kampagne.de/2017/05/12/norwegens-groesster-gewerkschaftsverband-unterstuetzt-den-vollen-boykott-israels-um-die-menschenrechte-fuer-die-palaestinenserinnen-voranzubringen/)
Kirchen- und Glaubensgemeinschaften in den USA boykottieren Hewlett Packard (https://www.fosna.org/hp-free-churches-july2017).



Welche sind die besonderen Herausforderungen der BDS Bewegung in
Deutschland?

In Deutschland gewinnt eine besorgniserregende Geschichtsvergessenheit
zunehmend an Boden. Der staatlich verordnete rassistisch motivierte Aufruf
“Kauft nicht bei Juden” der Nazis wird mühelos mit einer Bewegung von
unten verglichen, die sich der Einhaltung internationalen Rechts und der
universellen Prinzipien der Menschenrechte, auch für Palästinenser*innen,
verschrieben hat. Einen solchen Vergleich anzustellen kann als völlige
Verharmlosung missverstanden werden! Umso unverständlicher sind daher
Bestrebungen, sowohl aus den Reihen politisch Verantwortlicher als auch aus der
Zivilgesellschaft, die BDS-Bewegung als antisemitisch zu diffamieren und somit
zu delegitimieren.  Dabei wird suggeriert, es gäbe eine international
anerkannte Definition von Antisemitismus. Im  Antrag  der SPD- /
CSU-Fraktion des Münchner Stadtrates “Gegen jeden Antisemitismus! – Keine
Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS-Bewegung („boykott, divestment and
sanctions“)” (http://bds-kampagne.de/wp-content/uploads/2017/11/171108_MUC_Gegen-jeden-Antisemitismus.pdf)
beispielsweise wird verschwiegen, dass die dem Antrag zunächst zugrundeliegende
EUMC- Arbeitsdefinition Antisemitismus (http://honestreporting.com/in-praise-of-the-eumc-working-definition-of-anti-semitism/)
von der Nachfolgeorganisation der EUMC, der EU-Grundrechteagentur (FRA)
fallengelassen wurde, nachdem das Dokument zuvor heftig kritisiert worden war.
Ebenfalls verschwiegen wird in dem Münchner Antrag mit Verweis auf die
Presseerklärung der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) vom
26. Mai 2016 zur Arbeitsdefinition von Antisemitismus, dass sich diese ausschließlich
auf den umrahmten Text jener Presseerklärung bezieht. Die darüber hinaus
angeführten  illustrativen auf Israel bezogenen Beispiele sind nicht Teil
der IHRA Arbeitsdefinition von Antisemitismus (http://bds-kampagne.de/2017/12/14/die-ihra-arbeitsdefinition-von-antisemitismus/).
In der Vollversammlung des Münchner Stadtrates am 13. Dezember 2017 wurde der
Antrag angenommen (https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/DOK/SITZUNGSVORLAGE/4776638.pdf)!
hier die Beschlussvorlage vom 6.12.2017 https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/DOK/SITZUNGSVORLAGE/4760943.pdf

Kritik an israelischer Politik, gar Unterstützung von BDS kann hierzulande
Einbußen auf dem Weg zu einer beruflichen Karriere bedeuten – Menschen zum
Schweigen bringen.

Um zur Frage zurückzukehren, welches die besonderen Herausforderungen der BDS
Bewegung in Deutschland sind, so ist festzuhalten, dass die BDS Bewegung ganz
offensichtlich das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Artikel 5 GG) und die
allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Artikel 25 GG) auf den Prüfstand stellt –
gegen eine Einschüchterungspolitik, wenn es um Kritik an israelischer Politik
und um die in zahlreichen UN-Resolutionen und internationalen Vereinbarungen
verbrieften Rechte der Palästinenser*innen geht.

Wie stark ist der Lobbydruck im Besonderen in Deutschland und warum?

Die Unterstützung der israelischen Politik in Deutschland seitens der
Regierungen, Parteien, Medien und öffentlichen Institutionen ist ähnlich groß
wie in den anderen großen Industrienationen. In den USA ist diese Unterstützung
noch sichtbarer und umfangreicher als hier. In Deutschland bedarf es bis heute
kaum des öffentlichen und sichtbaren Eingreifens einer Israel-Lobby, es reicht
oft aus, wenn sie flankierend zu den ohnehin stattfindenden Maßnahmen Anstöße
geben. Die Gründe hierfür sind sicherlich vielfältig. Im Ergebnis profitieren
die deutschen Parteien und Meinungsmacher*innen von der Entscheidung, die
israelische Politik bedingungslos zu unterstützen. Es herrscht die Überzeugung,
dass die Verbrechen der Deutschen am europäischen Judentum wieder
„gutgemacht“ werden können, wenn der Staat Israel und dessen Politik
unterstützt wird (statt den Überlebenden individuell zu helfen). So profitieren
beide Seiten von dieser engen Zusammenarbeit. Die Auswirkungen dieser
Parteinahme für das Kolonialprojekt des Zionismus auf die dortige einheimische
Bevölkerung, den Palästinenser*innen, müssen dabei ignoriert werden.
Inzwischen, so hat es den Anschein, glauben weite Teile der deutschen
Bevölkerung daran und reagiert dem entsprechend aggressiv, wenn ihnen diese
scheinbare Möglichkeit der Schuldabtragung genommen wird. Das kann eine
Erklärung dafür sein, warum viele Deutsche von sich aus tätig werden und es
keines besonderen Drucks einer Lobby bedarf.

Auf welche Hauptinitiativen fokussieren Sie im Besonderen in Deutschland?

In Deutschland beteiligen sich Palästinasolidaritäts- und BDS-Gruppen an der
weltweiten Kampagne Stop HP (http://stophp.de/),
auch das Unternehmen SodaStream (http://bdsberlin.org/sodastream/) ist trotz Umzugs von
der Westbank in den Naqab (Negev) auch weiterhin ein Boykottziel, ist es doch
ein Profiteur der israelischen Regierungsstrategie, die Industrialisierung der
Naqab (Negev)-Wüste durch Fördergelder zu subventionieren und nimmt damit
billigend die Entwurzelung der seit Generationen dort ansässigen einheimischen
beduinischen Bevölkerung in Kauf. Palästina-SolidaritätsaktivistInnen und
-gruppen in Berlin sowie im In- und Ausland haben KünstlerInnen des Pop
Kultur-Festivals 2017 aufgerufen,  ihre Teilnahme zu überdenken (http://bds-kampagne.de/?s=pop+kultur)
– die Kulturabteilung der israelischen Botschaft hat dem Festival 500 Euro als
Reisekostenzuschuss für Künstler*innen zur Verfügung gestellt (http://www.pop-kultur.berlin/blog/statement-bds-boykott-kampagne/)


Was haben Sie erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Die BDS-Kampagne ist inzwischen so erfolgreich, dass sie von der israelischen
Regierung zur größten Bedrohung des Staates Israel erklärt worden ist. Bereits
12 Jahre nach dem Beginn der BDS-Kampagne kann auf eine Vielzahl von Erfolgen
in fast allen Bereichen zurück geblickt werden. Einige der großen international
agierenden Konzerne, die noch vor einigen Jahren von der Besatzung der Westbank
mit profitierten wie z.B. Veolia, G4S und Orange haben sich in Teilen oder
komplett zurückgezogen. Berühmte Künstler*innen weltweit haben erklärt so lange
nicht mehr in Israel aufzutreten, bis internationales Recht eingehalten wird.
In Deutschland konnte bisher auf die Beteiligung der Deutschen Bahn an dem
Bahnprojekt Tel Aviv – Jerusalem, dass in Teilen durch die besetzte Westbank
führt, aufmerksam gemacht werden, was dazu führte, dass sie sich aus diesem
Projekt verabschiedet haben. Die Aufmerksamkeit ist inzwischen auch auf den
deutschen Konzern HeidebergCement gelenkt worden, die einige Steinbrüche in der
Westbank betreibt.

Doch der Erfolg ist nicht allein im Rückzug einiger Firmen und Konzerne zu
sehen. Das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Immer mehr Firmen
überlegen es sich heute zweimal, bevor sie sich dafür entscheiden durch die
Beteiligung an der völkerrechtswidrigen Ausbeutung und Unterdrückung der
palästinensischen Bevölkerung zu einem Ziel der internationalen BDS-Kampagne zu
werden.

Der größte Erfolg der BDS-Kampagne liegt jedoch nicht im Materiellen, sondern
in der Eröffnung einer Diskussion über die israelische Politik und den
Verstößen gegen das internationale Recht, die es so noch nicht gegeben hat.

Wie wichtig ist Vernetzung mit anderen Organisationen und warum?

Die Vernetzung mit anderen Organisationen ist eine natürliche Entwicklung einer
sich ständig ausweitenden Kampagne. Sie führt dazu, dass Ressourcen effektiver
eingesetzt werden können. Durch den internationalen Austausch mit anderen
Bewegungen werden die eigenen Ideen und Ansätze immer wieder reflektiert und
überprüft. So wird es vermieden, dass die eigene Politik allein aus der eigenen
Befindlichkeit heraus entwickelt wird. Es wird also genau das Gegenteil von dem
erreicht, was die Unterstützer*innen der israelischen Politik in Deutschland
als ihre Antriebsquelle haben: Ihre unreflektierte deutsche Befindlichkeit.