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“Lügen von Polizei-Beamten” Forderung nach neuen Ermittlungen im Fall Oury Jalloh

Von MiGAZIN, 20. November 2017. Polizei und
Staatsanwaltschaft stehen im Fall Oury Jalloh unter Druck. Jetzt
bekanntgewordenen Ermittlungsakten zufolge wurde der Asylbewerber vermutlich in
Polizeigewahrsam und von Polizisten getötet. Menschenrechtsorganisationen und
Oppositionspolitiker fordern jetzt neue Ermittlungen. Sie sprechen von
institutionellem Rassismus.



Der vor mehr als zwölf Jahren in einer Dessauer Polizeizelle
verbrannte Asylbewerber Oury Jalloh wurde nach Recherchen des ARD-Magazins Monitor
mit hoher Wahrscheinlichkeit getötet. Mehrere
Sachverständige hielten einen Tod durch Fremdeinwirkung für wahrscheinlicher
als die lange verfolgte These der Selbstanzündung, berichtete Monitor unter
Verweis auf die Ermittlungsakten. Vertreter der Linken und der Grünen in
Sachsen-Anhalt forderten erneut eine umfassende, unabhängige Aufklärung des
Falls.
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Landtag
von Sachsen-Anhalt, Sebastian Striegel, erklärte, „Lügen von Polizei-Beamten“
hätten eine Aufklärung des Falls bislang verhindert. Die
Menschenrechtsorganisation Amnesty International verlangte, Straftat-Vorwürfe
gegen Polizisten in Deutschland generell wie in anderen europäischen Staaten
von unabhängigen Ermittlern untersuchen zu lassen.

Konkrete Verdächtige aus Polizeikreisen
Laut Monitor geht der langjährige Ermittler der
Staatsanwaltschaft Dessau, der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, von
einem Tötungsverbrechen bis hin zum Mord aus. Demnach hält Bittmann es für
wahrscheinlich, dass Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers mindestens
handlungsunfähig oder sogar schon tot war und mit Brandbeschleuniger besprüht
und angezündet worden sei.
Der Oberstaatsanwalt benennt laut Monitor in
dem Brief sogar konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer
Polizeibeamten. Als Motiv für die Anzündung Jallohs gilt die Vertuschung einer
vorangegangenen Straftat an dem Asylbewerber. Jalloh starb am 7. Januar 2005 in
einer Dessauer Polizeizelle, an Füßen und Händen gefesselt an eine Matratze bei
einem Brand. Es gab mehrere Gerichtsverfahren. Jalloh sollte die Matratze mit einem
Feuerzeug selbst angezündet haben.

Staatsanwaltschaft wollte Fall schließen
Die Anwältin der Familie Jalloh, Gabriele Heinecke,
sagte dem Magazin, angesichts der neuen Erkenntnisse sei die Einstellung des
Verfahrens ein Skandal. Die mittlerweile zuständige Staatsanwaltschaft Halle
hatte vor etwa einem Monat angekündigt, den Fall zu schließen, da sich keine
ausreichenden Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung
ergeben hatten und eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten sei. Die Anwältin
der Familie hat dagegen Beschwerde eingelegt und will angesichts der neuen
Erkenntnisse Strafanzeige erstatten.
Auch Amnesty-Polizeiexperte Alexander Bosch
kritisierte die Staatsanwaltschaft. Diese habe sich im Fall Jalloh zu lange
geweigert, wegen Mordes zu ermitteln. Einer Petition zur Wiederaufnahme des
Ermittlungsverfahrens
zum Tod von Oury Jalloh schlossen sich bis
Sonntagmittag mehr als 80.000 Unterstützer an.

„Zäsur in der Prozessgeschichte“
Die innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im
Landtag von Sachsen-Anhalt, Henriette Quade, sprach am Donnerstag mit Blick auf
den Monitor-Bericht von einer „Zäsur in der Prozessgeschichte“. Es bestätige
sich erstmals der Verdacht: „Oury Jalloh, das war Mord“. Der rechtspolitische
Sprecher der Grünen-Fraktion, Striegel, bezeichnete den Fall als „eine offene
Wunde im Rechtsstaat». Der Tod von Oury Jalloh sei ohne den Blick auf
institutionellen Rassismus nicht erklärbar.
In Deutschland scheitern nach Angaben des
Statistischen Bundesamts 92 Prozent der Ermittlungen gegen Polizisten.
Verfahren wegen Körperverletzung führen bei Amtsträgern nur in 22 Prozent der
Fälle zu einer Verurteilung, während 67 Prozent der beschuldigten
Privatpersonen verurteilt werden. Grund dafür sei, dass bei Vorwürfen gegen
Polizisten oft kein konkreter Täter ermittelt werden könne, da Polizisten oft
nicht gekennzeichnet seien und nicht gegen Kollegen aussagten, sagte
Amnesty-Experte Bosch. Gerichte hielten Aussagen von Polizisten zudem oft für
glaubhafter als Aussagen von Privatpersonen. (epd/mig)